Automation als Lösung 03. Jul 2020 Von Martin Ciupek Lesezeit: ca. 6 Minuten

Universal Robots baut Ökosystem aus

Den zunehmenden Wettbewerb sieht Jürgen von Hollen, Präsident von Universal Robots (UR), positiv. Er spricht zudem über die Rolle der Mutter Teradyne und die nächsten Ziele des Unternehmens.

Jürgen von Hollen, Präsident von Universal Robots.
Foto: Universal Robots

VDI nachrichten: Es gibt immer mehr Wettbewerber im Bereich kollaborierender Roboter – kurz Cobots. Wie bewerten Sie das und wie differenzieren sie sich?

von Hollen: Es ist normal, dass man in einem Wachstumsmarkt auf immer mehr Wettbewerber trifft. Geprägt wird der Markt dabei von Ländern, die erkannt haben, dass Robotertechnik eine Enabling-Technologie ist, also neue Sachen ermöglicht.

Bei manchen Wettbewerbern kann man sich sicher fragen, wie ihre Strategie aussieht, aber grundsätzlich halte ich Wettbewerb für gesund. Das treibt uns voran, was Innovationen angeht. Gleichzeitig verschafft jeder Wettbewerber kollaborierenden Robotern zusätzliche Aufmerksamkeit. Lange waren wir die Einzigen, die die Fahne dafür hochgehalten haben. Ich sehe, dass klassische Roboterhersteller, die anfangs eher skeptisch waren, nun auch dabei sind. Das tut dem Thema gut und hilft, den Markt auszubauen.

Bezüglich unserer Wettbewerbsfähigkeit glaube ich, dass es ein Vorteil ist, dass bei uns 740 Mitarbeiter zu 100 % auf kollaborative Roboter fokussiert sind. Zudem glaube ich, dass unser Ökosystem sehr stark ist. Gerade diese Kombination unterscheidet uns von den traditionellen Roboterherstellern. Ich denke, das ist auch schwierig zu kopieren. Auch innovative Start-ups müssen dazu erst einmal auf eine gewisse Zahl von Kunden und Partnern kommen.

Sicherheit definiert Traglast

Bei etablierten Herstellern von Industrierobotern gibt es einen Wettbewerb hinsichtlich der Größe und Traglasten. Wie steht UR dazu?

Die Sicherheit definiert hier also die Grenze. Wenn der Roboter dadurch immer langsamer arbeiten muss, ist schließlich die Effizienz nicht mehr gegeben.

Hinsichtlich der einfachen Handhabung im Sinne von „ease of use“ sehen wir dagegen, dass andere Hersteller die Ideen der Mensch-Maschine-Interaktion auch auf größere Roboter übertragen, auch wenn diese dann nicht wirklich kollaborativ arbeiten. Da könnte also mehr gehen.

Wo liegt für Sie das Maximum?

Voriges Jahr haben wir den UR16e mit 16 kg Traglast auf den Markt gebracht. Ich kann mir noch vorstellen, dass wir in Richtung 20 kg gehen. Das scheint mir im Moment auch das Maximum für eine effiziente und sichere Mensch-Roboter-Kollaboration zu sein.

Änderungen im Innern

Optisch haben sich Ihre Roboter in den vergangenen Jahren kaum verändert. Was hat sich dahinter getan?

Wir haben uns bewusst dazu entschieden, die Roboter äußerlich nicht zu verändern. Im Inneren und um den Roboterarm herum gibt es natürlich große Änderungen. Mit der neuen Generation E-Series sehen wir die Roboter zunehmend als Plattform. Der Roboter ist für uns nur die Basis, um näher an die Anwendung zu kommen. Wichtig sind zunehmend Software und Sensorik. Damit gewinnt die einfache Integration an Bedeutung. Wir glauben, dass kollaborierende Roboter künftig noch stärker gefragt sein werden, wenn sie sich immer einfacher nutzen und integrieren lassen. Die Komplexität dahinter für die Nutzer rauszunehmen, wird damit zu einer wesentlichen Aufgabe für uns.

Seit der Übernahme durch Tera­dyne hat sich bei Universal Robots einiges geändert. Wie hat sich das auf die Organisationsstrukturen ausgewirkt?

Firmen gehen über die Zeit durch unterschiedliche Entwicklungsphasen. UR war über viele Jahre im Start-up-Modus. 2017 habe ich schon gesehen, dass wir die nächste Phase angehen müssen. Wir haben von einer innovativen und disruptiven Idee gelebt. Das haben die drei Gründer einmalig hinbekommen. Als Firma wollen wir nun die nächsten Innovationsschritte gehen. Das ist etwas anderes. 2017 waren wir vielleicht noch etwa 300 Mitarbeiter, die man noch mit Start-up-Strukturen führen konnte. Inzwischen sind wir weit über 700 Mitarbeiter. Da geht das nicht mehr. Dazu braucht man andere Strukturen.

Dafür ist nicht jeder Mensch gemacht und nicht jeder möchte in der Phase dabei sein. Auch wenn sich die Gründer inzwischen von der operativen Seite zurückgezogen haben. Wir haben aber noch gute Kontakte, insbesondere zum Gründer Esben Østergaard.

Lieferketten robust gestaltet

Wie groß ist der Einfluss von Teradyne auf UR?

Als ich von Bilfinger zu UR wechselte, war es für mich eine der Bedingungen, dass ich selbst über die Ausrichtung und die Zukunft von Universal Robots entscheiden möchte. Das haben wir auch so gemacht. Denn Teradyne ist in einem sehr weit entwickelten Geschäftsfeld tätig. Es gibt weltweit nur zwei große Anbieter, die Halbleitertestanlagen entwickeln. Das ist ein großer Unterschied zu UR.

Uns hat es sehr geholfen, dass Teradyne weltweite Lieferketten hat und ein hervorragendes Management. 2017 haben wir sehr viel zusammen gemacht, um die Lieferketten von UR robust zu gestalten. Denn wir hatten gemerkt, dass unsere damaligen Lieferanten gar nicht mehr mit unserem Wachstum mithalten konnten. Das ist vermutlich auch der Grund, warum wir jetzt in der Corona-Krise gar keine Probleme mit unserer Lieferkette hatten.

Aus meiner Sicht war Teradyne ein idealer Käufer, weil das Management dort an das Wachstum in dem Marktsegment glaubt – und zwar langfristig.

Gibt es denn überhaupt Synergien zu den Geschäftsbereichen von Teradyne?

Es gibt nur sehr wenige Überlappungen, denn deren Produkte haben Lebenszyklen von vielen Jahren und kosten Hunderte von Millionen Dollar. Dazu kommt, dass wir in der Regel ganz andere Unternehmen ansprechen. Wir haben weltweit sehr viele Anwender bei kleinen und mittleren Unternehmen, aber auch einige bei großen Konzernen. Bei Teradyne gibt es keine kleinen Kunden. Dadurch haben wir einen zu 100 % indirekten Vertrieb zu unseren Tausenden Kunden und unsere Muttergesellschaft hat einen direkten Vertrieb zu einer zweistelligen Zahl an Kunden. Da gibt es deutliche Unterschiede auch hinsichtlich des Marketings.

Ökosystem mit Potenzial

Viele reden über die Plattformökonomie. Aber wie baut man ein Ökosystem wie Ihr UR+ auf?

Am Anfang, also 2016, gab es bei UR nur die Idee. Da wurde viel diskutiert und schnell war klar, dass das alleine nicht zu schaffen war. Im Laufe des Jahres haben wir gemerkt, dass es nur sehr langsam voranging. Irgendwann 2017 ging es dann plötzlich mit neun UR+-Partnern los und wir mussten Ressourcen aufbauen, um die Zertifizierung dieser Produkte und die Unterstützung der Partner stemmen zu können. Seitdem geht es steil nach oben. Ich glaube, viele unserer Partner haben gemerkt, dass es ihnen und ihren Kunden viele Vorteile bietet. 2018 kamen dann die ersten Anfragen von Vorständen, die den Vertrieb ganz an uns abgeben wollten.

Aber in dem Ökosystem stecken doch sicher noch weitere Potenziale?

Mit dieser Frage beschäftigen wir uns gerade. In einem Jahr werden wir da genauer sehen, was damit noch funktioniert. Nach meiner Einschätzung geht es immer um die Anwendung, also die Erledigung einer bestimmten Aufgabe. Das Ökosystem wird die Anwendung prägen, weil sowohl Entwicklungskompetenz als auch Kundennähe gegeben sind. Es geht uns nicht um eine Plattform für Entwickler. Wir binden auch Systemintegratoren und Distributoren ein. Zusammen haben wir ein Potenzial, das wir alleine nicht hinbekommen hätten.

Systemintegratoren nutzen Plattform

Werden Systemintegratoren überflüssig, weil es für Kunden einfacher wird, sich Systeme selbst zusammenzustellen?

Das glaube ich nicht. Denn unsere Plattform wird größtenteils von den Systemintegratoren selbst genutzt – nach wie vor. Man merkt, dass Endkunden zwar schauen, aber wenn es konkret wird, die Verantwortung lieber an einen Systemintegrator bzw. Distributor abgeben.

Dazu kommt, dass der Markt so riesig ist und es so viele unterschiedliche und komplexe Anwendungen gibt, dass das nur wirklich gute Systemintegratoren gut lösen können.

Natürlich profitieren auch Systemintegratoren davon, wenn wir die Komplexität bei der Konfiguration immer mehr rausnehmen. Der Systemintegrator verkauft ja Stunden und nicht einfach einen Cobot. Aus dem Verkauf eines Roboters generiert er keinen Mehrwert. Dabei entstehen Anwendungen, auf die nur ein Systemintegrator kommt. Um den Aspekt haben wir uns bisher noch kaum gekümmert, da gibt es also noch Potenzial.

Welche Lösungen begeistern Sie besonders?

Aktuell bin ich generell sehr begeistert von der Kreativität der Menschen, die in den Fabriken zeitweise nicht operativ arbeiten konnten. Weil die Technologie so einfach ist, brauchen sie nur wenig Zeit von der Entwicklung eines Prototypen (proof of concept) zum Produkt. Gerade in den Bereichen Medizin, Pharma und Lebensmittel tut sich sehr viel in Sachen Automatisierung. Dort sind die Unternehmen durch Corona nun extrem fokussiert.

Das muss man sich mal vorstellen: Die Hauptkundengruppe rund ums Automobil ist kurzzeitig nahezu komplett ausgefallen und plötzlich steigt die Nachfrage aus anderen Bereichen, in denen Roboter bisher kaum ein Thema waren. Für uns ist das eine enorme Motivation. Es wird noch spannend, was sich da künftig an den Märkten abspielen wird. Die Notwendigkeit von Flexibilität, die in der Corona-Pandemie umso wichtiger ist, wird auch künftig in den Köpfen bleiben. Das wird sich nicht mehr umkehren lassen. Denn bei der Investition von Millionenbeträgen überlegt sich jeder Manager, ob das in fünf oder zehn Jahren noch die richtige Investition ist.

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