Autozulieferer in der Krise: Wie Unsicherheiten Arbeitsplätze gefährden
Die Autozulieferer stecken mitten in der Transformation – und leiden unter der Sprunghaftigkeit von Politik, Endkunden und manchen Herstellern. Darum sind die Zeiten für mittelfristige Zukunftsplanung der Manager, Ingenieure und Forscher so anspruchsvoll wie nie. Tausende Stellen, Standorte und ganze Unternehmen der Branche sind in Gefahr. Doch mancher Schrumpfungsprozess ist auch notwendig.
Man stelle sich vor: Die EU-Kommission hätte 2020 beschlossen, dass ab 2035 der Verkauf von Fleischerzeugnissen verboten und vorher schrittweise verteuert werde. Alle Wurstfabrikanten, Metzger oder Restaurantketten müssten ihr Angebot in Windeseile umstellen – und auch die Zulieferer drängen, statt Schlachtvieh rasch auf Soja, Erbsen oder pflanzliches Eiweiß zu setzen. Firmen müssten schnell Milliarden Euro investieren, forschen, entwickeln und fertigen, um diese Transformation zu wuppen. Nur: Die Kundschaft würde erst mal nicht mitziehen – und der Absatz von Fleischprodukten und veganer Kost bräche gleichzeitig ein.
Eine absurdes Katastrophenszenario?
„Nein“, sagt der Chefingenieur eines großen Autokonzerns energisch. „Ersetzen sie einfach ,Fleisch‘ durch ,Verbrenner‘ – dann begreifen sie die Lage in der Autoindustrie.“ Seinen Namen möchte der Produktionschef nicht in den Medien lesen – die Sorgenfalte im Gesicht soll aber erwähnt werden.
Stellenabbau: Bosch, Continental und ZF streichen Tausende Arbeitsplätze
Was der Fachmann beschreibt, bedroht derzeit die wichtigste Branche hierzulande. Und beinahe jeden Tag müssen Autozulieferer eine neue Hiobsbotschaft unter die Mitarbeitenden, Aktionäre und Öffentlichkeit bringen: Bosch plant den Abbau von bis zu 3200 Arbeitsplätzen in der Autozulieferung. Continental will bis Ende nächsten Jahres insgesamt 7150 Arbeitsplätze in Verwaltung sowie Forschung und Entwicklung streichen. ZF Friedrichshafen stellt bis zu 14.000 Stellen weltweit zur Disposition, davon allein 12.000 in Deutschland. Bertrandt, Brose, Vitesco, Mahle … die Liste der Firmen, die vor großem Stellenabbau stehen, ist schier endlos. Und viele stellen sogar die Zukunft ganzer Standorte zur Debatte. Oder sind insolvent, so wie jüngst Autositzikone Recaro.
Dabei haben die Transformation hin zur Elektromobilität, die Verlagerung auf Auslandsstandorte oder erhöhte Produktivität ohnehin bereits massiv Arbeitsplätze in der deutschen Leitbranche gekostet: Die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Automobilzulieferindustrie ist seit 2019 von 304.000 auf inzwischen 270.000 gesunken. Und laut einer Studie des Ifo Instituts planen drei Viertel der befragten Zulieferer Kostensenkungsmaßnahmen, davon fast die Hälfte einen Stellenabbau.
Forschung und Entwicklung zurückgegangen
Eine Abwärtsspirale, die nicht zuletzt auch die Zukunft der dort beschäftigten Ingenieure gefährdet. Denn Investitionen in Forschung und Entwicklung sind branchenweit um durchschnittlich 15 % zurückgegangen.
Nicht nur Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsenmetall, beschreibt die Situation als „mittleres Erdbeben“. Der Verbandssprecher aus dem Heimatland von Volkswagen fordert: „Die Leute sollen Autos kaufen, egal ob Verbrenner, Hybrid oder Elektro.“
Genau das aber geschieht nicht – und ist einer der Hauptgründe für die aktuellen Schwierigkeiten. Über alle europäischen Märkte hinweg registriert der europäische Verband der Automobilhersteller aktuell bis dato 1,12 Mio. Pkw-Neuzulassungen, 4,2 % weniger als im Vorjahr. Und drei der vier Volumenmärkte schwächeln besonders. Der deutsche Markt verliert um 7 %, Frankreich 11,1 % und Italien 10,7 %. Einzelne Marken wie Tesla, Mini, Audi, Ford oder Renault sind hierzulande noch stärker gebeutelt.
Käufer verunsichert
Viele Menschen sind offenbar verunsichert, ob der Wandel zur E-Mobilität, das Ende der Verbrenner und verschiedenste staatliche Lenkungsmaßnahmen so weitergehen wir bisher. Autoexperte Frank Schwope von der Fachhochschule des Mittelstands in Hannover erkennt ein „Hüh und Hott: Verbrenner-Aus 2035 – ja, nein, vielleicht. Man muss sehen, was kommt.“ Die Folge sei „eine Kaufzurückhaltung“.
Da wird manche Kursbestimmung zum frommen Wunsch. Vitesco-CEO Andreas Wolf etwa fordert im Einklang mit seinen Kollegen bei anderen Zulieferern: „Wir müssen unsere Strukturen an die veränderten Marktbedingungen anpassen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Aber genau das ist in einem hoch volatilen Markt eben schwierig.
Gerade ihre Kunden, die Hersteller von Stellantis über Volvo, BMW oder Volkswagen, haben sich in den vergangenen Jahren mit Selbstverpflichtungen zur Elektrifizierung geradezu ein Wettrennen geliefert, massiv die Werke umgerüstet und neue Fertigungen aufgebaut, analysiert die Managementberatung Atreus. Zudem würden sie beispielsweise durch eigene Batteriemontagen Fertigungstiefe in ihre Werke zurückholen, die traditionell von Systemlieferanten wie Magna, ZF oder Conti übernommen wurde.
Niedrige Margen, Fachkräftemangel und hohe Kosten bremsen Transformation
Die Zulieferer müssen entsprechend umsteuern und Kapazitäten umschichten. Schon das ist angesichts deren oft weit geringerer Margen und Kapitalstärke ein Kraftakt. Die Rendite der deutschen Zulieferer habe sich nach Zahlen von Atreus innerhalb weniger Jahre von durchschnittlich 8 % inzwischen fast halbiert. In der Absatzflaute haben die Hersteller zudem bei Elektroautos radikal die Schichten zusammengestrichen, Werksferien verlängert oder Leiharbeit zurückgefahren. Maßnahmen, die Zulieferer nicht in gleicher Weise finanziell stemmen können – zumal, wenn sie von ihren OEMs zu „Just-in-time“ verpflichtet werden.
Zudem gibt es bei großen Systemlieferanten wie ZF oder Conti auch einzelne kleinere Standorte, die ganz auf die Produktion allein für Verbrenner benötigter Teile spezialisiert sind. Sie umzustellen kann betriebswirtschaftlich her zu teuer sein, wenn in anderen Werken von der Fabrikplanung Platz genug geschaffen wird. Dazu kommt der Fachkräftemangel, gerade an unattraktiven Standorten. Daneben fehlt aber auch durch einen weiteren Grund oft das Personal, um die Transformation ans Band oder in die Fabrikleitung zu bringen: Wegen des demografischen Wandels wird ohnehin die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte in ganz Europa im kommenden Jahrzehnt rapide sinken. Auch Autozulieferer sind daher gut beraten, sich darauf mit noch mehr Automatisierung und weniger Personalbedarf einzustellen. Steigende Energiekosten, viel Bürokratie und hohe Lohnkosten sind für diese Entwicklung ein zusätzlicher Turbo.
E-Mobilität und globale Märkte bieten Chancen für Wachstum
Das alles bedeutet allerdings nicht, dass die Autozulieferer zu weiterem Siechtum verurteilt sind. Zum einen dürfte schon im kommenden Jahr der Wandel zur Elektromobilität wieder weiter in Fahrt kommen. Die Marktforscher von Dataforce prognostizieren etwa, dass Elektroautos vom Jahr 2025 an wieder stetig steigende Marktanteile gewinnen werden. Überdies profitieren die Zulieferer auch von ihren Absatzerfolgen in China, Indien oder USA, die gerade in hochqualifizierten Bereichen auch in Deutschland Arbeitsplätze sichern. Und der Zwang zum Schrumpfen kann auch eine Konzentration auf wirkliche Kernstärken „Invented in Germany“ zur Folge haben – wie die angekündigte Entscheidung von Continental, sich wieder auf das traditionsreiche Reifengeschäft zu fokussieren.
Den Satz des Mahle-Chefs Matthias Arleth werden darum viele Wettbewerber unterschreiben: „Die Transformation der Automobilindustrie erfordert schmerzhafte Einschnitte, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Wer die aber bewältigt, kann aus seinen heimischen Werken in Zukunft neue Möglichkeiten erschließen – und neben den etablierten Kunden beispielsweise auch chinesische Autohersteller beliefern. Schließlich bauen BYD, Chery, Leapmotor und viele Newcomer gerade in Europa Fabriken auf. Lieferanten werden noch gesucht.