Bosch-Manager: Technologieoffenheit bei Antrieben der Zukunft
Uwe Gackstatter, Vorsitzender des Bereichsvorstands Powertrain Solutions Division der Robert Bosch GmbH, hält es für einen Fehler, einseitig auf batterieelektrische Antriebe zu setzen.
VDI nachrichten: Mit welchem Antrieb fahren wir morgen – darüber wird derzeit viel diskutiert. Wie steht Bosch da in Sachen Antriebe und wohin geht die Reise?
Gackstatter: In unserem Bereich Powertrain Solutions vereinen wir alle Antriebstechnologien – angefangen von Diesel- und Benzineinspritzsystemen über Gasinjektoren bis hin zur Elektromobilität mit Batterie und Brennstoffzelle. Und das für alle Fahrzeugsegmente, vom Pkw über Motorräder und dreirädrige Rikscha-Taxen bis hin zu 40-Tonnern und Baumaschinen sowie Diesellokomotiven und Schiffsmotoren. Unser klares, kommuniziertes Ziel ist die CO2-neutrale Mobilität.
Das dürfte eine Mammutaufgabe sein, auch für Bosch.
In der Tat, diese Transformation ist anspruchsvoll und braucht daher Zeit. Wir investieren massiv in die Elektromobilität, allein in diesem Jahr 700 Mio. €. Großes Potenzial sehen wir auch in der Brennstoffzelle, vor allem im Nutzfahrzeugbereich. Es ist gut, dass die Elektromobilität kommt, und sie wird auch zum Kerngeschäft von Bosch werden. Aber die Vorleistungen müssen wir aus dem bestehenden Antriebsgeschäft finanzieren.
E-Mobilität ja – aber nicht nur
Also soll alles elektrifiziert werden. Wie kommt Bosch dabei voran?
Bosch ist in der Elektromobilität wohl so breit aufgestellt wie kein zweites Unternehmen – vom E-Bike bis zum Truck. Mehr als 2,5 Mio. Fahrzeuge fahren überall auf der Welt bereits mit elektrischen Antriebskomponenten von Bosch. In China sind wir Marktführer im Bereich Elektromobilität bei Pkw. Das wollen wir auch weltweit werden.
Was ist dann mit dem guten alten Diesel? Ein Auslaufmodell?
Keineswegs. Moderne Diesel haben ähnlich wie Benziner nahezu keinen Einfluss mehr auf die Luftqualität. Nach unseren derzeitigen Prognosen fährt 2030 zwar bereits ein Drittel aller neuzugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeuge weltweit rein elektrisch. Zwei Drittel werden dann aber immer noch von einem Diesel oder Benziner angetrieben, viele davon als Hybrid. Aber vor allem in Europa gerät der klassische Verbrennungsantrieb durch die CO2-Regulierung und die geplante EU-Gesetzgebung zur Abgasnorm Euro 7 massiv unter Druck. Wir werden also bis Ende des Jahrzehnts deutlich höhere Elektrifizierungsanteile bei Pkw und Nutzfahrzeugen sehen.
Ist Bosch denn personell dafür aufgestellt?
Die Anzahl der Mitarbeiter in der Verbrennertechnik wird geringer werden. Gleichwohl wollen wir mit so vielen Menschen wie möglich durch die Transformation kommen. Für uns heißt das, dass wir unter anderem versuchen, Mitarbeiter aus den klassischen Antriebsbereichen für neue Aufgaben fit zu machen. Wir haben Qualifizierungsprogramme, um die Transformation zu unterstützen. So können wir – eine entsprechende Eignung vorausgesetzt – zum Beispiel einen Maschinenschlosser zu einem Softwareingenieur qualifizieren.
Verbrennungsmotoren noch lange im Einsatz
Sie setzen in Deutschland konsequent auf die Transformation. Andere Länder sind noch nicht so entwickelt. Wie gehen Sie dort vor?
Wir werden in vielen Regionen dieser Welt noch lange Verbrennungsmotoren sehen. Darum arbeiten wir daran, Benziner und Diesel noch effizienter zu machen und immer die bestmögliche Technik zum Schutz von Klima und Umwelt anbieten zu können. Europa will mit dem sogenannten Green Deal Vorreiter werden, aber wir sind weltweit aufgestellt und sehen Unterschiede in der lokalen Nachfrage. Daher müssen wir uns auch auf die unterschiedlichen Erfordernisse einstellen.
Haben Sie Beispiele dafür?
Japan möchte Vorreiter bei der Brennstoffzelle werden, daher arbeiten wir dort mit unseren Kunden bei der Entwicklung von Brennstoffzellen zusammen.
Mit Euro-7-Verbot für Verbrennungsmotoren durch die Hintertür?
Kommen wir zurück nach Europa, wo gerade die Diskussionen um Euro 7 anstehen …
… und uns nach wie vor einige Sorgen bereiten. Die ersten Vorschläge einer Expertengruppe von Ende 2020, die Euro 7 ausarbeiten soll, wären einem Verbot für Verbrennungsmotoren durch die Hintertür gleichgekommen. Ein Strukturbruch mit den entsprechenden sozialen Verwerfungen wäre die Folge gewesen. Diesel und Benziner hätten so gut wie keine Emissionen mehr ausstoßen dürfen, in jedem noch so unrealistischen Szenario und von Kilometer null an, bei -10 °C, bergauf mit einem Wohnanhänger am Haken. Spitzenleistung bereits in der ersten Sekunde geht nicht ohne vorübergehend erhöhte Emissionen. Ingenieure wissen, dass die Systeme für die Abgasnachbehandlung wie für den Katalysator erst eine Betriebstemperatur von rund 200 °C erreichen müssen, damit sie optimal arbeiten. Inzwischen hat das Beratergremium nachgebessert. Die Pläne bewegen sich zwar immer noch hart an der Grenze des technisch Machbaren, sind aber nicht mehr völlig unerreichbar. Dass hier jetzt Bewegung reingekommen ist, werte ich zunächst einmal als eine gute Nachricht.
Inwiefern?
Maßstab für eine neue Schadstoffregulierung sollte die Verbesserung der Luftqualität sein. Wenn die Vorschläge, wie anfangs geschehen, dermaßen über das Ziel hinausschießen, verhindert die Regulierung nur, dass die neueste und effizienteste Technik auf den Markt kommt. Stattdessen werden dann alte Autos länger gefahren, und für den Umwelt- und Klimaschutz ist nichts erreicht. Das scheint die Politik jetzt erkannt zu haben.
Wie streng soll Euro 7 denn werden?
Das ist noch weiter in der Diskussion und noch lange nicht geklärt. Aktuell sieht es nach einer Verschärfung der Grenzwerte um den Faktor fünf bis zehn im Vergleich zur Euro-6-Norm aus. Zugleich stellt sich die Herausforderung, diese solide im realen Straßenverkehr messen zu können. Hinter der Messtechnik sehen wir aktuell noch Fragezeichen. Damit das aber noch einmal deutlich gesagt ist: Wir plädieren durchaus für niedrigere Grenzwerte und auch für die Regulierung neuer Stoffe wie Ammoniak mit dem Ziel der Luftverbesserung. Aber es muss technisch und wirtschaftlich realisierbar bleiben. Wir bauen darauf, dass die EU-Kommission diesen neu eingeschlagenen Weg jetzt nicht mehr verlässt.
Strenge CO2-Flottenziele
Und wie sieht es bei CO2 aus?
Die EU-Kommission plant in diesem Jahr für den Pkw-Bereich eine weitere Anhebung der CO2-Flottenziele. Derzeit ist eine Reduzierung von 37,5 % bis 2030 vorgesehen. Im Rahmen des Green Deal erwägt die Politik nun, diesen Wert auf 50 % oder mehr zu verschärfen. Das würde bedeuten, rein elektrische Fahrzeuge müssten mindestens 60 % der Neuzulassungen 2030 ausmachen, um das Ziel nicht zu verfehlen. Mit dieser Vorgabe wird der reine Verbrennungsmotor in Europa zum Auslaufmodell. Dabei können wir alle Antriebsalternativen, Diesel und Benziner ebenso wie Elektrofahrzeuge, CO2-neutral betreiben.
„Herstellung von E-Fuels muss endlich industrialisiert werden“
Sie meinen mit alternativen Kraftstoffen. Daran wird doch schon kräftig geforscht.
Richtig, die Stichworte sind hier fortschrittliche Biokraftstoffe aus Rest- und Abfallstoffen oder CO2-reduzierte bzw. CO2-neutrale Kraftstoffe, die auf regenerativem Wasserstoff basieren, die sogenannten E-Fuels. Diese Kraftstoffe sind längst praxistauglich. Die Verfahren für die Herstellung von E-Fuels sind bekannt, jetzt müssen sie industrialisiert werden – auch, um die Herstellungskosten zu senken. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Kraftstoffe in ausreichenden Mengen hergestellt werden. Unsere Einspritztechnik kann damit umgehen.
Woran fehlt es dann?
An politischem Willen. Es ist klar, dass CO2-neutrale Kraftstoffe kein Ersatz für die Elektromobilität sind, aber eben eine notwendige Ergänzung. Denken Sie nur an die vielen Millionen Bestandsfahrzeuge. Allein in Europa sprechen wir von geschätzten 270 Mio. Pkw, die als Diesel oder Benziner auf den Straßen unterwegs sind. In den nächsten Jahrzehnten kommen weitere hinzu. Wir werden unsere Klimaziele nur erreichen, wenn auch diese Fahrzeuge einen Beitrag zum Klimaschutz leisten – und das können sie mit E-Fuels.
Wobei der Wirkungsgrad nicht gerade berauschend ist.
Das kommt darauf an. Mit lokal erzeugtem Grünstrom, der direkt in der Batterie gespeichert wird, ist das E-Auto in der Tat weit vorne. Wir werden aber in Deutschland, allein schon vom benötigten Flächenbedarf her, nie genug erneuerbare Energie erzeugen können, um alle Bedarfe – Haushalte, Industrie und Verkehr – CO2-neutral zu stillen. Wir werden also auch weiter auf Energieimporte angewiesen sein.
Alternative für Erdöl exportierende Länder
Also muss Energie importiert werden?
Es gibt auf dieser Welt Regionen, die deutlich bessere Voraussetzungen für die Erzeugung erneuerbarer Energien haben. Umgewandelt in Wasserstoff, lässt sich Grünstrom zum einen speichern, zum anderen auch exportieren – beispielsweise per Schiff. Wenn ich importierten Wasserstoff rückverstrome in Ladestrom für E-Autos oder weiterverarbeite zu E-Fuels, dann liegt der Wirkungsgrad ungefähr gleich auf. Vorteil zudem: Wir können den Erdöl exportierenden Ländern Alternativen aufzeigen, damit sie nicht weiter das Öl aus der Erde holen. Zumal dort sehr gute Bedingungen zum Beispiel für Photovoltaikanlagen bestehen, aber auch für Windenergie. Die Alternative ist also, solchen Staaten zu signalisieren, dass wir von ihnen CO2-neutrale Kraftstoffe anstelle der fossilen Kraftstoffe abnehmen.
Was also fordern Sie von der Politik?
Dass das Thema Klimaschutz und Mobilität ganzheitlich betrachtet wird, vom Antrieb über die Infrastruktur bis hin zur Produktion von Strom, Wasserstoff und CO2-neutralen Kraftstoffen. Gerade bei den Themen Infrastruktur und grüne Energieproduktion sehen wir noch gewaltige Lücken. Der Ausbau kommt der politischen Zielsetzung in keiner Weise hinterher. Wir brauchen Technologie- und Anwendungsoffenheit. Ich plädiere: Gebt den Ingenieuren Freiräume, damit sie die besten Lösungen finden können! Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass wir auf diesem Planeten die große Herausforderung des Klimawandels in den Griff bekommen, indem wir den Ingenieuren vorschreiben, welche Technologien sie zu entwickeln haben.