Eine Frage des guten Willens
Das Renommee der Branche hat unter den Skandalen gelitten. Ein Ökonom, ein Sozialwissenschaftler und ein Auto-Lobbyist über die Nachwirkungen.
Die deutschen Autohersteller liefern den Medien fortwährend Schlagzeilen. Nachdem die größten Wellen in der Dieselaffäre verebbt waren, sorgten die drei großen Automobilhersteller VW, Daimler und BMW erneut für Aufsehen. Abgastests an Affen und sogar an Menschen tragen zum Imageverlust bei.
Unmittelbar nach Veröffentlichung der rechtlich zwar erlaubten, aber ethisch fragwürdigen und von VW, Daimler, BMW und Bosch gesteuerten Forschungen ruderte VW-Chef Matthias Müller zurück und verurteilte die Tierversuche als „falsch, unethisch und abstoßend“. Bosch-Chef Volkmar Denner mahnte, nur mit Transparenz und einer sachlichen Debatte könne die Branche verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.
Wenn von Mauscheleien und Tricksereien die Rede sei, verbietet sich der Fingerzeig auf die komplette Branche, meint VDA-Geschäftsführer Joachim Damasky: „Nicht die Automobilindustrie insgesamt hat schwere Fehler begangen, sondern einige Unternehmen. Pauschalurteile sind deshalb nicht gerechtfertigt.“ Die Software-Manipulationen müssten nicht die mehr als 600 Hersteller und Zulieferer verantworten, die der VDA vertritt, sondern einige wenige. „Klar ist, dass das Fehlverhalten weniger das Ansehen aller beschädigt. Deshalb ist es das gemeinsame Anliegen aller VDA-Mitgliedsunternehmen, alles daranzusetzen, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.“
Die Branche habe aus Fehlern gelernt. „Das Bewusstsein, dass wir uns stets im Rahmen des gesellschaftlich und ethisch Verantwortbaren bewegen müssen – ohne die Innovationskraft zu lähmen –, ist deutlich erkennbar gewachsen“, betont Joachim Damasky.
Es sei nur folgerichtig, so der VDA-Geschäftsführer, dass die Automobilindustrie aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung bei der Politik auf offene Ohren stoße. „Pauschale Kritik am Lobbyismus ist ein Zerrbild der politischen Wirklichkeit. Bei der Arbeit des VDA handelt es sich um eine legitime und in einer Demokratie verankerte Interessenvertretung.“
Zum Thema Diesel meint Damasky: „Richtig ist, dass Euro 6a heute nicht mehr Stand der Gesetzgebung ist. Seit dem 1. September 2017 gelten schärfere Kriterien für die Abgasmessung.“ Statt im bisherigen NEFZ-Messverfahren werden die Emissionen im WLTP- und RDE-Zyklus getestet, die realitätsnähere Angaben zum Kraftstoffverbrauch von Pkw machen sollen. „Die neue Norm Euro 6c gilt dabei für den WLTP-Zyklus, die Norm Euro 6d-Temp bzw. 6d für den RDE-Zyklus. Die Grenzwerte der Euro-6-Norm bleiben jedoch gleich“, sagt Damasky.
Aber glaubt noch jemand an ehrbare Kaufleute in der Autoindustrie? Auch wenn nicht permanent und überall in der Branche gelogen werde, habe die Autoindustrie „da und dort die Grenzen des ethisch Vertretbaren überschritten“, findet der Wirtschaftsethiker Andreas Suchanek von der Leipzig Graduate School of Management. „Offenbar geschah das, weil man den Eindruck hat: ,Damit kommen wir durch, die anderen machen das doch auch.‘“ Wenn die Konzerne von der Politik Unterstützung erhielten und nicht abgestraft würden, stecke man mitten im Sumpf.
Suchanek befürwortet die enge Kooperation der ökonomisch immens wichtigen Autoindustrie mit der Politik, verurteilt sie aber, wenn das zulasten Dritter – sprich: von Bürgern und Umwelt – geht. „Es braucht einen ethischen Kompass: Bis hierhin und nicht weiter! Da gab es in der Vergangenheit oft zu große Nähe und Duldung unverantwortlichen Verhaltens.“
Große Machtfülle gehe mit gesellschaftlichen Verpflichtungen einher, die Autokonzerne häufig vernachlässigten, so der Wirtschaftsethiker. „Vertrauen ist mehr denn je zu einem Vermögenswert geworden. So erschüttert nichts Vertrauen so sehr wie gebrochene Versprechen und gebrochene Gesetze. Das zu vermeiden, muss man gestalten und organisieren können.“ Dazu fehlten häufig Ressourcen und Kompetenzen.
Um Sachverhalte zu ändern, bedarf es zunächst einmal des guten Willens. Den aber zweifelt Ludger Pries bei den großen Autobauern an. Der Bochumer Sozialwissenschaftler beschäftigt sich seit den 1980er-Jahren mit der nationalen wie internationalen Automobilindustrie, speziell mit den drei großen deutschen Konzernen BMW, Daimler und Volkswagen.
„Vor wenigen Jahren war ich noch der Meinung, die Autoindustrie sei zur systematischen Fehleraufarbeitung bereit. Daran scheint man jedoch immer noch kein großes Interesse zu haben. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass die Unternehmen jetzt feststellen, dass ihnen die Entwicklung – vor allem in China – davonläuft und dass das, was man in 15 bis 20 Jahren verschlafen hat, ein schnelles Aufarbeiten nahezu unmöglich macht.“
Gleichzeitig verbuchten Automobilhersteller trotz vieler Fehlentscheidungen und falscher Strategien Markterfolge, die mindestens so groß seien wie vor den Skandalen. Was nicht an zukunftstauglichen Produkten liege. Weder Konzerne und ihre Ingenieure noch Politik und Konsumenten wollten sich aus der Komfortzone bewegen, weil sie sich „in dem alten Modell von individueller, benzin- oder auch dieselgetriebener Mobilität einigermaßen wohlfühlen“, so Pries.
Statt Lehren zu ziehen, verkauften Autobauer ihre Kunden für dumm. „Sie werden von den Konzernen in dem Glauben gehalten, dass sie für sich selbst und für die Umwelt etwas Gutes tun, wenn sie ihren alten Diesel gegen einen neuen 6a-Diesel umtauschen.“ Für Pries ist es skandalös, dass Unternehmen nach dem Dieselbetrug mit einer Strategie erfolgreich seien, die Kunden an der Nase herumführt. Autos, die die Luft ein bisschen verpesten, sollen gegen Autos eingetauscht werden, die leistungsstärker und keinesfalls sauberer sind.
Richte die Politik jetzt ihren Finger auf die bösen Autobauer, solle sie zunächst einmal in den Spiegel schauen. „Die Nähe zwischen Politik und Autoindustrie hat sich im Laufe der Jahrzehnte intensiviert, sodass beide für das Geschehene verantwortlich sind“, meint Pries. Das Kraftfahrtbundesamt und andere öffentliche Stellen seien die Politik des Durchwinkens über Jahrzehnte mitgefahren. Erst im Jahr 2016 hätten sie angefangen, etwas kritischer hinzuschauen.
Der Volkswagen-Konzern ist für Pries der Inbegriff eines alten, männerdominierten und von „Car Guys“ dominierten Konzerns. „Er reproduziert seine Hierarchie, weil das Management und die ebenfalls recht hierarchisch strukturierte Arbeitnehmerseite sich in dieser Hinsicht wechselseitig stabilisieren. Das ist ziemlich einmalig.“
Dieses Gebilde sei aber nicht in Stein gemeißelt. An der Basis und im mittleren Management sowie in den F&E-Abteilungen sei Murren vernehmbar. Spätestens seitdem ein VW-Manager in den USA zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, herrsche nicht nur bei VW Unruhe.
Der Sozialwissenschaftler hofft auf die Lernfähigkeit in den Chefetagen. „Vielleicht setzen die Unternehmen dann ihre ,Wir-haben-verstanden-Strategien‘ in die Realität um und stellen Produkte her, die sie schon vor zehn Jahren hätten haben können und sollen.“