„Ingenieure müssen in Compliance-Abteilungen“
VDI nachrichten: Hätten die Abgas-Manipulationen bei Volkswagen durch die Befolgung von Compliance-Regeln entdeckt werden müssen?
Meine: Compliance-Management-Systeme, mit denen die Einhaltung von Gesetzen und Regeln in den Unternehmen überwacht werden, beschränken sich heute in allen Unternehmen auf Korruptionsbekämpfung, Kartellrechtsverstöße und die Frage, ob sich Mitarbeiter am Unternehmen bereichert haben. Technische Prozesse stehen bisher nicht im Fokus der Compliance.
Hartmut Meine
Jahrgang 1952, hat Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Karlsruhe studiert, war Fertigungsplaner bei Telefunken und ist seit 1998 IG-Metall- Bezirksleiter Niedersachsen/Sachsen-Anhalt.
Meine ist u. a. Mitglied der Aufsichtsräte von Volkswagen und Continental.
Wie kann die Einhaltung von Grenzwerten sichergestellt werden?
Compliance-Management-Systeme müssen um technische Aspekte erweitert werden. Heute sind die für Compliance Verantwortlichen überwiegend Wirtschaftsjuristen, Wirtschaftsprüfer und Betriebswirte. Ich glaube, dass technische Prozesse von Mitarbeitern mit dieser Qualifikation nicht beurteilt werden können. Daher schlage ich vor: Auch Ingenieure müssen in Compliance-Abteilungen beschäftigt werden.
Warum kann die Einhaltung von Regeln nicht in den Fachabteilungen kontrolliert werden?
Diejenigen, die prüfen, müssen von den Fachabteilungen getrennt sein, so wie die Revisionsabteilungen, die es in den Unternehmen schon lange gibt. Die interne Revision prüft stichprobenartig in Abteilungen oder Standorten, und das weltweit. Dabei werden betriebswirtschaftliche Prozesse nach Fehlverhalten im Management oder von Mitarbeitern untersucht. Die Compliance-Abteilungen treten dann auf den Plan, wenn sie von der Revision auf mögliche Unkorrektheiten hingewiesen oder von einem Whistleblower informiert werden.
Wie kann man denen auf die Schliche kommen, die manipuliert haben?
Zwei Dinge sind notwendig: In den Unternehmen muss sich die Mentalität ändern. Wenn die Gefahr besteht, dass die eigenen Regelverstöße ans Tageslicht kommen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Regelverstößen kommt. Dazu braucht man technisch qualifizierte Beschäftigte.
Wie soll die Überprüfung erfolgen: Durch ständige Kontrolle ober durch Stichproben?
Wir brauchen kein neues System. Bei kritischen Fragen, bei denen es z. B. um Grenzwerte oder Umweltschutzstandards geht, müsste stichprobenartig geprüft werden. Dafür gibt es schon nationale wie internationale Richtlinien, auf die aufgebaut werden kann.
Bei VW sollen Grenzwerte in dem gegebenen Kostenrahmen nicht einzuhalten gewesen sein. Betrug war dann der Ausweg.
Ein Ausweg in die komplett falsche Richtung. Je größer die Gefahr, dass Unregelmäßigkeiten entdeckt werden, umso eher wird sich das Verhalten aller Beteiligten ändern. Es gilt, Strukturen aufbauen, um ein bestimmtes Verhalten zu stützen.
Müsste auch der Kostendruck in vielen Unternehmen ins Visier genommen werden?
Der enorme Kostendruck und vor allem unrealistische Kostenziele sind natürlich ein Problem. Die Einhaltung von gesetzlichen Regelungen darf das aber nicht infrage stellen.
In welcher Branche gibt es den größten Bedarf an Technik-Compliance?
Derzeit dreht sich die Debatte um die Motorsoftware bei VW. Die Einhaltung von Grenzwerten und technischen Standards ist aber auch in anderen Branchen ein Thema, vor allem dort, wo es um Standards des Umwelt- und Verbraucherschutzes geht. Ich denke dabei auch an die Nahrungsmittelindustrie. Die Skandale in der Branche zeigen, dass es einen Bedarf an Compliance-Management-Systemen gibt, in denen auch naturwissenschaftliche Experten arbeiten.
Hat sich die Mentalität in deutschen Unternehmen mit der Einrichtung von Compliance-Management-Systemen geändert?
Deutlich, beispielsweise in den Einkaufsabteilungen. Früher waren teure Präsente oder Einladungen zu opulenten Mahlzeiten durchaus üblich. Das ist radikal eingeschränkt worden. Dies zeigt, dass Compliance-Systeme positiv wirken.