Mit Lidar in die autonome Auto-Zukunft
Sinkende Kosten durch den Verzicht auf mechanische Komponenten stärken die Rolle von Lidar-Sensoren. Eine Mehrheit der Automobilhersteller ist überzeugt, dass nur die Kombination aus Sensoren – Kameras, Radar ebenso wie Lidar – autonome Fahrzeuge sicher macht.
Wehe, es steht etwas im Wege und keiner bemerkt es. Die Umgebung im Blick zu behalten und das Gesehene richtig zu interpretieren, gehört zu den großen Herausforderungen für autonom fahrende Vehikel. Neben den in heutigen Fahrerassistenzsystemen eingesetzten Kameras und Radarsensoren rückt nun verstärkt Lidar (Light Detection and Ranging) in den Fokus, das anstelle der Radiowellen des Radars auf pulsierenden Laserstrahlen basiert.
Mit Stückpreisen im Bereich fünfstelliger Dollarbeträge war dieses System allerdings bislang kein Lichtblick für künftige Serienfahrzeuge. Nachdem verschiedene internationale Hersteller die komplexen und teuren beweglichen Spiegelkomponenten durch pure und stationäre Elektronik ersetzt haben, zeichnet sich ein Silberstreif am Horizont ab. „Sobald mit der Großserienfertigung dieser Solid-State-Modelle der Preis in den dreistelligen Bereich fallen wird, sehe ich eine wirklich konkurrenzfähige Entwicklung“, sagte Hanno Holzhüter, Projektmanager Forschung des Hamburger Lidar-Herstellers Ibeo, am Rande des ITS-Weltkongresses, der vom 11. bis 15. Oktober in der Hansestadt stattfand. Ibeo hatte im Sommer aus China den nach eigenen Angaben weltweit ersten Serienauftrag für die Produktion von mechanikfreien Lidar-Sensoren für die Automobilindustrie bekommen.
Der Trick: Elektronik statt sensibler Mechanik
Klassische Lidar-Sensoren arbeiten nach dem Scannerprinzip: Der Laserstrahl aus einer Lichtquelle wird von rotierenden Spiegeln Zeile für Zeile und Punkt für Punkt auf die zu beobachtende Umgebung gelenkt und das reflektierte Licht auf dem umgekehrten Weg dem Sensor zugeleitet. Das erfordert eine extrem präzise Mikromechanik für die drehenden Komponenten. Solid-State-Lidar-Sensoren, wie sie unter anderem von Ibeo, Continental und Cepton jetzt bis zur Serienreife entwickelt wurden, kommen dagegen ohne mechanische Bauteile aus.
Ibeo hat auf der kreditkartengroßen Sende- und Empfangseinheit des IbeoNext-Lidar-Sensors in 80 Zeilen jeweils 128 Sendepunkte untergebracht, die zugleich Empfänger des vom detektierten Objekt reflektierten Lichtimpulses sind. Der Laser pulsiert in einer Frequenz von 25 Hz, pro Scan wird jede Zeile mehrere Hundert Mal abgetastet. In der zum System gehörenden Rechnereinheit werden die Informationen aus allen Lidar-Sensoren des Autos zu einem 360°-Lagebild zusammengeführt.
Großteil der Automobiler schwört auf Kombination der Sensoren
Die Frage, ob diese oder andere Technologien die passende Orientierungshilfen für autonome Fahrzeuge sind, hat bisweilen Züge eines Richtungsstreits. Erst im Mai hatte Tesla-Chef Elon Musk gezeigt, dass er auch bei diesem Thema andere Wege nimmt als der Rest der mobilen Welt. Seine derzeit mit Radar und Kameras ausgestatteten Elektromobile sollen sich künftig allein optisch orientieren. Den Gedanken an Lidar-Sensoren hatte Musk zuvor als Irrweg abgetan.
Die große Mehrheit in der mobilen Autonomieszene schwört dagegen auf eine Kombination aus verschiedenen Sensorsystemen. „Damit ein autonom fahrendes Auto jede Verkehrssituation auch bei ungünstigen Licht- und Witterungsbedingungen zweifelsfrei wahrnehmen kann, braucht es ganz unterschiedliche Sensoren“, heißt es beispielsweise im Unternehmensbereich Next Generation Mobility der ZF Friedrichshafen AG.
Bei Dunkelheit schlägt die Stunde von Radar
Kamera, Radar und Lidar besitzen sich ergänzende Fähigkeiten. Kameras können dank ihrer hohen Auflösung Details und sogar Farben erkennen. „Es ist heutzutage verhältnismäßig einfach, kamerabasiert Objekte zu identifizieren“, erläutert Holzhüter. Bei eingeschränkter Sicht und Dunkelheit schlägt die Stunde der Radardetektoren, die seit der Frühzeit der Fahrerassistenzsysteme im Auto Platz gefunden haben. Sie ermitteln Entfernungen und Bewegungen sehr präzise; die von ihnen ausgesendeten Radiowellen mit Frequenzen zwischen 77 GHz und 81 GHz lassen sich durch Regen, Nebel oder Staubpartikel nicht ablenken. Doch wegen der Wellenlänge im Millimeterbereich sind Radarsysteme eher etwas „fürs Grobe“.
Die punktgenauen Laserstrahlen im Mikro- und Nanometerbereich erkennen dagegen Details selbst auf Entfernungen von 200 m bis 300 m. „Sie sind also in der Lage, die Schwächen der anderen beiden Sensoren zu kompensieren“, ist Holzhüter überzeugt. „Das macht sie so wertvoll für die Sensorfusion.“
Lidar kompensiert die Schwächen von Kamera und Radar
Großunternehmen der Automotive Branche wie Continental haben die gesamte Sensorenbandbreite in ihrem Portfolio. Im April präsentierte der Automobilzulieferer auf der Automesse in Shanghai eine neue Generation von Radarsensoren mit höheren Abtastraten, einer 360°-Umfelderfassung und mit Reichweiten von bis zu 250 m. Zudem entwickelten die Hannoveraner eine neue hochauflösenden Mono-Kamera für eine bessere Nachtsicht und ein breites Sichtfeld von bis zu 125° – wichtig für das Erkennen querender Objekte.
Im vergangenen Jahr hatte Continental bereits einen Solid-State-3-D-Lidar-Scanner für den Nahbereich vorgestellt. Durch eine Minderheitsbeteiligung am amerikanischen Lidar-Pionier Aeye sicherte sich der Konzern zudem den Zugriff auf einen Lidar-Scanner für die größere Distanz, der allerdings mit mikromechanischen Bauteilen auskommt.
Die beiden Solid-State-Sensoren von Continental und Ibeo unterscheiden sich bei einem ähnlichen Grundprinzip in konzeptionellen Details. Continental setzt auf einen sogenannten Flashing-Lidar, der sein Sichtfeld mit einem einzigen für das menschliche Auge unsichtbaren optischen Puls füllt. Das ermöglicht hohe Bildraten, begrenzt aber die Reichweite – jeder einzelne Lichtstrahl dieses Impulses muss genügend optische Energie haben, damit es seine Reflexion wieder zurück zum Sensor schafft – die Energie des Lasers ist aber durch die Vorschriften für den Augenschutz begrenzt.
Ibeo leuchtet mit dem Sequential Flash Lidar nur den Teil des gesamten Sichtfelds aus, den der Sensor gerade im Blick hat. „Wir senden das Licht gezielt dorthin, wo es auch benötigt wird. So entsteht ein hochaufgelöstes Bild“, erläutert Holzhüter.
Fahrzeuge brauchen Hochleistungsrechner
Unabhängig von dem eingesetzten Sensortyp ist eine Punktwolke das Ergebnis der Laserstrahlauswertung. Auf dem ITS-Kongress und bei anderen Präsentationen wird diese Wolke in Projektionen sichtbar, auf denen Objekte nur punktweise und doch erkennbar dargestellt werden.
Um diese Informationen mit den Daten aus anderen Sensorsystemen zu verknüpfen und daraus Handlungen abzuleiten, sind im Fahrzeug Hochleistungsrechner erforderlich.
Continental hat ein solches Rechenzentren im Programm. Ibeo kann indirekt darüber verfügen – der Miteigentümer ZF Friedrichshafen hat mit dem ZF Pro AI gerade den nach eigenen Angaben leistungsfähigsten Rechner auf den Markt gebracht – er kann bis zu 1 Billiarde Rechenschritte pro Sekunde absolvieren.
Lidar sitzt auch in neuen iPhones
Ökonomisch nimmt die Punktwolke ebenfalls Formen an: Continental hatte bereits im Oktober 2020 den Beginn einer Serienfertigung für die Assistenzsysteme in Premiumfahrzeugen eines nicht näher genannten Herstellers angekündigt. Ibeo hat vor Kurzem einen Vertrag mit dem chinesischen Autohersteller Great Wall über die Belieferung mit Lidar-Sensoren ab 2022 abgeschlossen.
Die Hamburger haben aber nicht nur den Verkehrsmarkt im Blick: Kurz vor dem ITS-Kongress vereinbarten sie eine strategische Partnerschaft mit dem chinesischen Unterhaltungselektronikkonzern AAC Technologies. Das Unternehmen beliefert u. a. Apple mit akustischen und optischen Komponenten für die iPhones, die seit 2020 auch über Lidar-Scanner verfügen.