Patient Diesel
Der Dreiklang aus Partikel-, CO2- und Stickoxidemissionen ist schwierig. Dreht man an einer Stellschraube, verändern sich die anderen.
Die Ergebnisse des Dieselgipfels der Politik mit den drei großen deutschen Autobauern VW, BMW und Daimler werden nach wie vor kontrovers diskutiert. Ein Softwareupdate soll die Stickoxidemissionen von Euro-5- und Euro-6-Diesel um bis zu 30 % verringern.
AdBlue im Detail
AdBlue, eine weltweit eingetragene Marke des Verbands der Automobilindustrie (VDA), wird für die Abgasreinigung von Kraftwagen eingesetzt, um die Abgasnormen Euro 4, Euro 5 oder Euro 6 zu erfüllen. Es handelt sich um eine klare, ungiftige Harnstofflösung.
AdBlue besteht zu 32,5 % aus hochwertigem Harnstoff, einem chemischen Syntheseprodukt aus Ammoniak und Kohlendioxid, und aus demineralisiertem, gereinigtem Wasser.
AdBlue wird in einem Schadstoffregelungssystem namens „selektive katalytische Reduktion“ (SCR) eingesetzt. In SCR-Systemen reagiert AdBlue mit den umweltschädigenden NOX-Abgasen, um daraus Wasser und Stickstoff zu erzeugen, ohne dass unerwünschte Nebenprodukte entstehen. Die exakte Dosierung von Adblue/Harnstoff bei der Abgasbehandlung übernimmt eine Steuereinheit, die das Abgas mithilfe eines Stickoxidsensors analysiert.
Im SCR-System wird Ammoniak benötigt – doch riecht das nicht nur unangenehm, sondern ist auch gefährlich. Eine Alternative bildet der harmlosere Harnstoff, der erst bei Bedarf in Ammoniak umgewandelt wird.
Laut VDA liegt der Wirkungsgrad des SCR-Verfahrens bei 80 %. Nach Ansicht einiger Experten lässt sich dieser Wert auf bis zu 98 % steigern, in Abhängigkeit davon, welche Menge AdBlue eingespritzt wird.
Abhängig von der Fahrweise werden pro Liter Dieselkraftstoff zwischen 30 und 40 ml der Harnstofflösung benötigt. Bei hohen Geschwindigkeiten und einem entsprechend hohen Dieselverbrauch von 10 l/100 km werden so bis zu 0,4 l AdBlue pro 100 km verbraucht.
Abhängig von der Bezugsquelle und der abgenommenen Menge liegt der Preis für AdBlue im Internetversandhandel zwischen 1 €/l und 3 €/l.
Es gibt bereits viele (preiswertere) AdBlue-Zapfsäulen, die allerdings für Lkw bestimmt sind. Es wird davon abgeraten, die Lkw-Zapfsäulen mit größeren Einfüllstutzen für Pkw zu benutzen.
„Dieselmotoren kann man innermotorisch nur über die Parameter Partikel, Stickoxide und Verbrauch optimieren. Gemeinsam sind sie nicht optimierbar“, sagt Ralph Pütz, Professor an der Uni Landshut und Geschäftsführer des An-Instituts für angewandte Nutzfahrzeugforschung und Abgasanalytik. „Wenn ich an einer Stellschraube eine Verbesserung erziele, verändern sich automatisch ein oder mehrere andere Parameter zum Nachteil. Das ist das Dieseltrilemma.“
Wird die Verbrennung verbessert, sinken der Verbrauch und die Partikelmasse. Aber da die Verbrennung dann heißer ist, entstehen aus dem Luftstickstoff die Stickoxide. Kurz gesagt: Weniger CO2 – mehr Stickoxide. Wenn im Umkehrschluss der Motor auf weniger Stickoxide getrimmt wird, wird die Verbrennung qualitativ schlechter und zwangsläufig steigen Partikelemission und Verbrauch an.
„Bei Nutzfahrzeugen wurden die Hausaufgaben bereits gemacht, wo vor über zehn Jahren die Abgasnachbehandlung zur Entkopplung eingeführt wurde“, erläutert Pütz. Die Motoren wurden für geringen Verbrauch und Partikelemissionen optimal eingestellt, aber dadurch wurde die Verbrennung heißer und es entstanden vermehrt Stickoxide. Diese werden nun in der Abgasnachbehandlung durch die SCR-Technik (Selective Cataylic Reduction) wirkungsvoll reduziert. Dort entsteht aus Harnstoff über Thermolyse und Hydrolyse Ammoniak (NH3), mit dem dann NOx zu Stickstoff und Wasser gewandelt werden. Das erfordert jedoch ein Temperaturfenster zwischen etwa 200 °C und 500 °C, das nicht über- und unterschritten werden darf.
Für Nutzfahrzeuge gibt es Nachrüstsysteme, mit denen die Thermo- und Hydrolyse laut dem Experten derart optimiert werden kann, dass ein Euro-5-Bus sauberer ist als ein OEM-Euro 6-Bus. „Ein so nachgerüsteter Gelenkbus emittiert dann so viele Stickoxide wie ein Mittelklasse-Pkw mit Euro 6“, sagt Pütz und verweist darauf, dass solche Systeme auch bei Pkw Verwendung finden könnten. „Platzprobleme können natürlich bei einigen Pkw auftreten, jedoch nicht bei allen.“
Das reine Softwareupdate hält Pütz für keine gute Lösung, denn es bietet keinen Ausweg aus dem Dieseltrilemma, bei dem das Drehen an einer Stellschraube zu Nachteilen in anderen Bereichen führt. Mehr noch: Neben einem erhöhten Verbrauch sind Verschleißerscheinungen im Abgasstrang zu befürchten: „Durch die kältere Verbrennung sinken zwar die Stickoxidemissionen, doch dadurch steigen auch der Verbrauch und die Verschmutzung der Abgasrückführungsventile – und falls ein Partikelfilter installiert ist, würde er frühzeitig gefüllt werden und zur Regeneration anfallen“, so Pütz.
Das Thema „Fahrverbote in Innenstädten“ wäre auch nach der durch das Softwareupdate angestrebten 30%igen Reduktion der Stickstoffemissionen nicht vom Tisch. Euro-5-Diesel haben einen Grenzwert von 180 mg NOx/km, emittieren teilweise jedoch in realistischen Fahrtests laut Umweltbundesamt durchschnittlich 900 mg/km (siehe Grafik). Nach dem Softwareupdate würden sie immer noch etwa 600 mg NOx/km in die Luft blasen – mehr als das Dreifache des Erlaubten. Euro-6-Pkw würden bei einem Grenzwert von 80 mg NOx/km nach dem Update noch immer 330 mg NOx/km in die Umwelt entlassen.
Davon abgesehen – die durch das Softwareupdate angestrebte NOx-Reduktion führe laut Pütz auf der anderen Seite zu einer Erhöhung des Verbrauchs. Und damit zu einer stärkeren CO2– und Partikelbelastung der Umwelt, was wiederum Auswirkungen auf die Feinstaubbelastung der Städte haben kann. Fahrverbote müssten Städte erlassen, wenn an 35 Tagen im Jahr der EU-Grenzwert von 50 µg Feinstaub pro m³ Luft überschritten wird.
Hardwareseitige Umrüstungen waren auf dem Dieselgipfel kein Thema. Während bei kleineren Fahrzeugen noch NOx-Speicherkatalysatoren zum Einsatz kommen, um die Euro-6-Norm erreichen zu können, benötigen besonders die größeren Modelle einen sogenannten SCR-Katalysator. „Auf der Basis einer flächendeckenden Einführung der harnstoffbasierten SCR-Katalysatortechnologie, zum Teil mit zweifacher Dosierung – motornah sowie im Unterboden – können alle heutigen und zukünftigen Emissionsgrenzwerte sicher und ganzheitlich erfüllt werden,“ ist Stefan Pischinger, der Leiter des Lehrstuhls für Verbrennungskraftmaschinen (VKA) an der RWTH Aachen, überzeugt.
Er plädiert für diese Hardwarelösung. Von einem separaten Tank aus wird eine wässrige Harnstofflösung, bestehend aus 32,5 % Harnstoff und 67,5 % demineralisiertem Wasser (AdBlue) direkt vor dem Katalysator in den Abgasstrang gespritzt. Unter Idealbedingungen funktioniert das System einwandfrei, doch auch der Einsatz von AdBlue birgt Nachteile.
So liegt sein Gefrierpunkt bei -11,5 °C, weshalb vor allem in Ländern mit strengen Wintern eine zusätzliche Beheizung des Vorratstanks notwendig ist. Diese funktioniert derzeit jedoch nur bei eingeschaltetem Motor, sodass die Abgasreinigung beim extremen Kaltstart erst einmal so lange aussetzt, bis die Flüssigkeit wieder aufgetaut ist.
Schätzungen des ADAC gehen davon aus, dass durch den SCR-Katalysator der Stickoxidausstoß um 94 % reduziert werden kann, wobei etwa 2 l Harnstofflösung pro 1000 km verbraucht würden und der Dieselverbrauch je nach Fahrzeug um bis zu 5 % steigen kann. Die Tankgröße der Hersteller variiert von 12 l bis 25 l bei Pkw und 50 l bis 100 l bei Lkw.
„Die installierte Tankgröße ist grundsätzlich kein Limitierungsfaktor für den Wirkungsgrad des installierten Abgasnachbehandlungssystems, sondern definiert zunächst die Frequenz des Wiederbefüllens. Das Intervall des Nachfüllens hängt aber, neben dem Motorrohemissionsverhalten, in erster Linie vom Fahrprofil und den herrschenden Umgebungsrandbedingungen ab“, so Pischinger weiter.
Darüber hinaus könne seiner Ansicht nach auch die Verwendung eines motornahen NOx-Speicherkats, stromaufwärts vor dem AdBlue-basierten SCR-Katalysator, eine hilfreiche Ergänzung des Gesamtemissionskonzepts für einige Anwendungen darstellen, um ein geringes Emissionsverhalten in allen Betriebszuständen zu gewährleisten.
Das generelle Ende des Verbrennungsmotors sehen Experten noch lange nicht: „Die Verbrennungskraftmaschine ist nicht Teil des Problems, sondern auch zukünftig Bestandteil innovativer Lösungen, in vielen Fällen in Kombination mit elektrischen Antrieben, die hervorragend als Fahrantriebe für Kraftfahrzeuge geeignet sind“, meint Christof Kerkhoff, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik (VDI-FVT). „Aus meiner Sicht ist das aktuell eine sehr vielschichtige Diskussion mit starker politischer Prägung und viel zu wenig Bezug zu Fakten.“
Für Dieter Schaudel, Technologieberater im Bereich Automation und Verfahrenstechnik, wurden Fehler schon viel früher gemacht. Sie ließen sich nicht auf Soft- oder Hardwaremaßnahmen reduzieren: „Nicht die Software ist das Problem, sondern eine kommunikationsfeindliche Unternehmenskultur, in der Vertuschen bis hin zu kriminellem Handeln möglich ist“, kritisiert Schaudel. Er fordert von den Automobilkonzernen die Rückbesinnung auf grundlegende Unternehmensethiken wie Wahrhaftigkeit, Vertrauen, Verlässlichkeit und Integrität.