ANTRIEBSTECHNIK 24. Jun 2019 Specht Lesezeit: ca. 3 Minuten

Über Stock und Straße mit dem Mercedes GLA

Lange Zeit hat Mercedes das Feld der Kompakt-SUVs der Konkurrenz überlassen. Jetzt steigen die Schwaben ein in dieses lukrative Segment. Nicht still und leise, sondern mit geballter Allradkraft. Unter der Haube des GLA, der auch in Genf ein Blickfang am Daimler-Stand sein dürfte, steckt jede Menge Offroad-Hightech.

Auf zu neuen Märkten: Mit dem Kompakt-SUV-Modell GLA wagt sich Mercedes in neues Terrain vor. Unterschied zu vielen Wettbewerbern: der vollumfänglich geländetaugliche Allradantrieb „4Matic“.
Foto: Daimler

Bei Mercedes bedeutet der Begriff „4Matic“ zwar stets das Gleiche, nämlich vier permanent und automatisch angetriebene Räder. Im technischen Aufbau unterscheiden sich die Systeme dennoch grundlegend, zumindest seit Einführung der MFA-Plattform („Mercedes Front Wheel Architecture“) vor zwei Jahren.

Denn während bei den Limousinen der C-, E- und S-Klasse das Allradsystem vom Hinterradantrieb herrührt und das Moment auch an die Vorderräder verteilt wird, geht man bei der 4Matic für die A-Klasse und deren Derivate B-Klasse, CLA und GLA den genau umgekehrten Weg. „Das System ist eine komplette Neukonstruktion“, sagt Rüdiger Rutz, Leiter Gesamtfahrzeugversuch Compact Cars bei Mercedes. Entwickelt wurde die 4Matic, die vom Beginn an mit im Lastenheft stand, zusammen mit AMG.

Aus gutem Grund: Die edle Tuning-Tochter aus Affalterbach bietet erstmals in ihrer Geschichte nicht nur ein Kompaktmodell an, sondern bestückt dieses Auto auch gleich noch mit dem weltweit stärksten 2-l-Vierzylinder (265 kW), der jemals in ein Großserienfahrzeug eingesetzt wurde. Ohne Allradantrieb wäre die hohe Motorleistung nicht absetzbar. Selbstredend, dass auch der in diesem Sommer verfügbare GLA 45 AMG (ab 55 871 €) serienmäßig mit 4Matic ausgestattet ist.

Bei den übrigen GLA-Varianten – Ausnahme ist der Einstiegsbenziner GLA 200 – kosten vier permanent angetriebene Räder 2214 € Aufpreis. Die Investition dürfte bei winterlichen Straßenverhältnissen und auch bei dynamischer Kurvenfahrt jeden Euro wert sein. Mercedes hat hier erheblichen Aufwand getrieben, um den besten Kompromiss zwischen Asphalt und Gelände zu finden. 18 Monate durchliefen 24 Prototypen jeweils einen 80 000 km langen sogenannten Track&Field-Dauertest, bei dem die Nordschleife des Nürburgrings wie auch ein Panzerübungsgelände auf dem Programm standen. Erhältlich ist die 4Matic ausschließlich mit dem ebenfalls von Mercedes entwickelten Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe DCT. Den Leistungsfluss zum hinteren Antriebsstrang übernimmt dabei eine „Power Take-off Unit“ (PTU), die in das DCT integriert wurde und somit den selben Ölkreislauf nutzen kann.

„Durch die kompakte Bauweise sind wir 25 % leichter als der Wettbewerb“, sagt Entwickler Rutz. Die Effizienz der insgesamt nur 75 kg wiegenden 4Matic spiegelt sich auch im Verbrauch wider. Durchschnittlich fließen nur 0,5 l mehr durch die Brennräume als bei dem identisch motorisierten Fronttriebler.

Die eigentliche Allradintelligenz sitzt laut Mercedes aber an der Hinterachse. Hier kommt eine Mehrscheiben-Lamellenkupplung zum Einsatz, die sich nicht nur platzsparend ein Gehäuse mit dem Differenzial, sondern ebenfalls den selben Ölkreislauf teilt. Letzteres war ein wichtiger Punkt bei den Entwicklungsvorgaben, um die Lamellenkupplung kompakter und leichter auszulegen sowie bei hoher Belastung einer Überhitzung vorzubeugen.

Bei geöffneter Kupplung wird die Vorderachse angetrieben. Schließt die Kupplung, werden die Antriebsmomente je nach Schlupf innerhalb weniger Millisekunden zwischen Vorder- und Hinterachse verteilt (Torque on Demand). „Beim Beschleunigen aus dem Stand reicht eine viertel Radumdrehung, bis das gesamte Moment hinten ist“, sagt Rutz. Ausgelegt wurde das vollvariable System so, dass bis zu 100 % des Antriebsmoments auf die Achse mit dem hohen Reibwert übertragen werden könnte. Eine Differenzialsperre fehlt im GLA, vorne wie hinten. Diese Funktion übernimmt das ESP durch gezielten Bremseingriff, der je nach Situation vorausschauend aktiviert wird (Torque Vectoring). Der Fahrer bekommt hiervon nichts mit. Er spürt höchstens, wie spurstabil der GLA auch durch beherzt gefahrene Kurven geht. Das ESP bremst dann das innere Vorderrad leicht ein, um das Giermoment des Autos zu erhöhen und zugleich die Untersteuertendenz zu mindern.

Geländeausfahrten dürften zwar eher zu den weniger üblichen Freizeitbeschäftigungen eines GLA-Fahrers gehören. Doch auch abseits befestigter Straßen schlägt sich der Schwabe wacker. Das bei der 4Matic-Version serienmäßige Offroad-Programm, das über einen kleinen Schalter auf der Mittelkonsole aktiviert wird, gibt über den Bordbildschirm Auskunft über Lenkwinkel, Quer- und Längsneigung. Steile Bergabfahren lassen sich locker mit einem weiteren Schalter meistern. Die Elektronik führt den GLA im Schritttempo den Hang hinunter, ohne dass der Fahrer auch nur einen Fuß auf dem Pedal haben muss. Ihm bleibt nur das Lenken.

Das Volumenmodell der Baureihe dürfte der GLA 200 CDI 4Matic (ab 36 509 €) werden, dessen 2,2-l-Diesel (OM 651) 100 kW leistet und für den ein Normverbrauch von 4,9 l/100 km angegeben wird. Ende des Jahres soll der 1,6 l kleine Diesel aus der Kooperation mit Renault Einzug in den GLA halten. Der „OM 607“ genannte Vierzylinder leistet 80 kW und wird ab
Juli bestellbar sein.

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