Ukraine-Krieg: „erhebliche direkte und indirekte Folgen“ für deutsche Automobilindustrie
In einer ersten Kurzexpertise skizziert Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach die Bedeutung des Kriegsausbruchs für die deutsche Automobilbranche.
„Der kriegerische Angriff von Russland auf die Ukraine hat erhebliche direkte und indirekte Folgen für die Automobilindustrie“, resümierte Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Während die Ukraine als Automobilmarkt keine relevante Rolle spiele, habe Russland lange Zeit als wichtiger Zukunftsmarkt der globalen Automobilindustrie gegolten. 2012 habe sich der Markt mit 2,8 Mio. abgesetzten Fahrzeugen dem Niveau des deutschen Markts angenähert. Allerdings kam danach ein Abwärtstrend und seit 2015 liegt er bei zwischen 1,4 Mio. und 1,8 Mio. Fahrzeugen. Im Jahr letzten Jahr wurden in Russland rund 1,67 Mio. Pkw und leichte Nutzfahrzeuge abgesetzt. Damit kommt Russland nach Südkorea und vor Frankreich und UK auf Rang 8 der weltweit größten Automobilmärkte.
Absatzstärkste Herstellergruppen im Jahr 2021 sind der CAM-Mitteilung zufolge Hyundai (inkl. Kia) mit rund 380 000 Fahrzeugen sowie Avtovaz (Lada) mit 351 000 und Renault-Nissan-Mitsubishi Allianz mit 212 000 Fahrzeugen, wobei Renault seit 2017 auch einen Mehrheitsanteil an Avtovaz besitzt. Unter den deutschen Herstellern hat die Volkswagen-Gruppe mit 204 000 Fahrzeugen einen Marktanteil von 12 %. BMW und Mercedes kamen auf je rund 3 %.
Russland-Sanktionen treffen Volkswagen-Gruppe mit am stärksten
„Die zu erwartenden wirtschaftlichen Sanktionen treffen insofern neben dem Hyundai Konzern die Renault-Nissan-Mitsubishi Kooperation sowie auch die Volkswagen-Gruppe am stärksten“, folgert Bratzel. Da die Marktrelevanz von Russland für Volkswagen jedoch nur bei 2 % liegt (also das Verhältnis des Absatzes in Russland zum Gesamtabsatz des Konzerns weltweit), seien die negativen direkten Absatzeffekte ähnlich wie bei BMW und Mercedes-Benz jedoch als moderat einzuschätzen. „Renault-Nissan-Mitsubishi ist dagegen aufgrund der hohen Absatzanteile der Gruppe sowie des russischen Tochterunternehmen Avtovaz wirtschaftlich am stärksten betroffen.“
Russland-Sanktionen: „erhebliche Störungen der Lieferkette“
„Russland wird lange Zeit als wichtiger Absatzmarkt und Produktionsstandort für die Automobilindustrie ausfallen. Zwar sind die konkreten Effekte des Krieges und der anstehenden Sanktionen noch nicht genau abzusehen. Allerdings dürfte das Anlagevermögen von Automobilherstellern und Zulieferern in Russland erheblich an Wert verlieren“, so Bratzel.
Die Automobilindustrie wird seiner Meinung nach „für viele Jahre“ keine relevanten Investitionen in Russland tätigen. Aber auch die indirekten Folgen für die Automobilbranche in Deutschland und Europa seien „erheblich“. Grundsätzlich müsse aufgrund des Russland-Ukraine-Krieges und der anstehenden Sanktionen mit erheblichen Störungen der Lieferkette der Produktion in Russland gerechnet werden.
Sanktionen: Werke deutscher Hersteller in Russland betroffen
Besonders betroffen dürfte die Renault-Gruppe mit seinen Autowerken im Land sein, so die Kurzbewertung. Aber auch Volkswagen und andere Hersteller betreiben Fahrzeugwerke in Russland. „Die meisten dieser Werke sind für die Fahrzeugproduktion zu hohen Anteilen auf die Teilebelieferung aus dem Ausland angewiesen. Die absehbaren Sanktionen könnten in kurzer Frist zu einem Stopp der Teileversorgung aus Europa und auch aus anderen Ländern führen. Damit droht der Stillstand der Produktionsbänder in Russland“, heißt es in Bratzels Text.
Russland und die Ukraine würden allerdings als Zulieferstandort der globalen Automobilindustrie nur eine untergeordnete Rolle spielen. Aber auch hier sei mit Störungen der Lieferkette zu rechnen. „Aufgrund der komplexen Wertschöpfungsnetzwerke der Automobilindustrie könnten Zulieferer vorgelagerter Produktionsstufen negativ betroffen sein, was in der Folge zu Engpässen in der Teileversorgung der europäischen Werke führen kann.“