BAUSTOFFE 08. Jul 2019 Fabian Kurmann Lesezeit: ca. 5 Minuten

Beton holt technologisch auf

Selbstheilung, 3-D-Druck und Computertomografie – das sind nur einige der Trends, die die Baubranche langsam erobern. Damit folgt sie den Spuren anderer Industrien.

„Shotcrete 3D Printing“ ist eine der neuen Technologien beim Beton. Im Einsatz ist sie bereits im Digital Building Fabrication Laboratory der TU Braunschweig.
Foto: ITE, TU Braunschweig

Turbinenteile für Flugzeuge kommen heute bereits aus dem 3-D-Drucker, die Autoindustrie schickt Bauteile durch den Röntgen-Computertomografen, die Flügel von Windrädern erhalten ihre Stabilität durch Faserwerkstoffe und Kunststoffe schließen Risse von selbst. Und beim Bau?

„Der Bau entdeckt jetzt Technologien für sich, die in anderen Bereichen schon lange etabliert sind“, so Horst-Michael Ludwig, Direktor des Instituts für Baustoffkunde an der Bauhaus-Universität Weimar, am Rande der 20. Internationalen Baustofftagung (Ibausil) in der Universitätsstadt. Wissenschaftler und Industrievertreter diskutierten dort vor Kurzem Entwicklungen rund um das Thema Beton.

Die Branche brauche oft etwas länger, was aber notwendig sei. „Aus dem Sicherheitsgedanken heraus können wir nicht die innovationstreibende Branche sein“, sagt der Forscher. Welch gravierende Auswirkung etwa ein Brückeneinsturz haben kann, sah man zuletzt in Genua. Neuerungen müssen also gründlich vorbereitet werden. „Insgesamt müssen wir uns auf intelligente Systeme zubewegen, die auf Umwelteinflüsse und kritische Situationen selbst reagieren“, sagt Ludwig. Das gelte sowohl für das Tragverhalten wie auch für das Material. „Was in der Kunststoffindustrie funktioniert, muss uns auch im Bau gelingen.“

Horst-Michael Ludwig, Direktor des Instituts für Baustoffkunde an der Uni Weimar.
Foto: Universität Weimar

Ein Ansatz in diese Richtung ist selbstheilender Beton, der mittlerweile in ersten Pilotprojekten, etwa in Antwerpen, eingesetzt wird. Christian Große forscht auf dem Gebiet: „Brücken und Straßen sind auf eine Lebensdauer von mindestens 80 bis 100 Jahre ausgelegt“, sagt der Professor für zerstörungsfreie Prüfung an der TU München. „Da ist es praktisch, wenn sich das Material bei Schäden selbst heilen kann.“ Ursprünglich sei diese Technologie auch für Abschnitte des Fehmarnbelttunnels zwischen Deutschland und Dänemark vorgesehen gewesen. Durch Verzögerungen bei der Planung des Großprojekts sei das nun aber fraglich.

Kleine Organismen, die Große und sein Team dem Beton beigeben, verschließen Risse im Material wieder von selbst. Sobald Wasser eindringt, werden die Bakterien aktiv. „Effizient ist das aber nur, wenn die Risse sich nicht laufend unter dynamischer Wechsellast wieder öffnen“, schränkt der Forscher ein. Denn die Einzeller brauchen zum Reparieren einige Wochen, in denen sie Lactat, das ebenfalls zugegeben wird, verstoffwechseln. Sie scheiden Calciumcarbonat, einen Bestandteil der Zementstruktur, aus und reparieren damit. Da die Bakterien zum Arbeiten eine gewisse Feuchtigkeit benötigen, funktioniert die Technologie in unseren Breiten beispielsweise besser als in trockenen Gebieten.

Ein anderer Ansatz bei der Selbstheilung sind Kapseln mit Reaktivharz. Sobald ein Riss entsteht, wird der Inhalt freigesetzt und versiegelt den Riss innerhalb kurzer Zeit. Große forscht auch an einer Verbindung der Ansätze. „Die Kombination aus Reaktivharzkapseln und Bakterien ist interessant, weil Erstere Risse schnell verschließen und Letztere mehrmals aktiviert werden können und sehr langsam wachsende Risse immer wieder verschließen“, sagt er.

Untersuchungen für ein Zulassungsverfahren des selbstheilenden Betons laufen bereits. Die Kosten liegen laut Große beim Anderthalbfachen bis Doppelten von regulärem Beton. „Die Mehrkosten könnten im größeren Maßstab aber in Zukunft auf 5 % bis 10 % sinken“, so der studierte Geophysiker. Interessant sei auch, dass mit Epoxidharz reparierter Beton nach Erfahrung der Münchner eine 10 % bis 20 % höhere Festigkeit hat als normaler Beton, da die Harze die Poren im Material verschließen.

Beton und Polymere zusammen zu denken, dafür plädiert Oliver Weichold, Professor am Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen. „Wenn man sowohl Polymere als auch Beton versteht und die Vorteile kombinieren kann, liegt darin einiges an Potenzial.“ So kann beispielsweise eine Versiegelung von Beton das Eindringen von Tausalzen und CO2, die zur Korrosion von Bewehrungsstahl beitragen, unterbinden. Außerdem könne man damit den Betonoberflächen auch Eigenschaften wie Fluoreszenz verleihen.

Bei Abwasserrohren und anderen Bauteilen, die starken chemischen Angriffen ausgesetzt sind, wird seit einiger Zeit der Zement komplett durch Polymere ersetzt. Das deutsche Unternehmen Polycare hat sogar ein Baukastensystem für Wohnhäuser entwickelt, bei dem der Polymerbeton mit Wüstensand angemischt werden kann. Dieser Sand ist zu fein und die Körner zu rund für den Zementbeton. Polymerbeton dagegen kommt mit Wüstensand zurecht. Mit den richtigen Bindemitteln hält die Materialkombination ähnlich viel Druck aus wie Zementbeton, reagiert aber besser auf Biegebelastungen.

Während in Afrika erste Zulassungen für den Baustoff erteilt wurden, wird er sich in Europa wohl nicht so leicht durchsetzen. „Wenn die Anforderungen an Nachhaltigkeit weiter steigen, keine ‚grünen‘ Reaktivharze zur Verfügung stehen und die Verwendung von Wüstensand nicht als ökologischer Vorteil gerechnet wird, könnte Polymerbeton in Europa künftig unter Druck geraten“, sagt Weichold.

Bessere Karten bei der Nachhaltigkeit hat hier sogenannter Ökobeton, bei dem die Menge an Zement reduziert ist. Er zählt für Horst-Michael Ludwig zu den sogenannten Hochleistungsbetons, ähnlich wie selbstverdichtender Beton und ultrahochfester Beton.

Die Entwicklungen haben aber einen Preis. „Früher hatten wir ein Dreistoffsystem, heute haben wir ein Fünf- oder Sechsstoffsystem“, sagt der Institutsdirektor. Während die Baustoffe auf der einen Seite leistungsfähiger werden, verlieren sie auf der anderen an Robustheit. Das heißt, sie reagieren sehr sensibel auf kleinste Veränderungen in der Zusammensetzung und der Herstellungsweise oder durch Umwelteinflüsse auf das Material. „Diese Hochleistungsbaustoffe bei der momentanen Situation auf der Baustelle einzusetzen, ist, als wollte man mit einem Ferrari auf einem Feldweg fahren“, bringt es Ludwig auf den Punkt. Es fehle an Know-how und an dafür notwendigen Geräten.

Erste Lösungsansätze, wie die Innovationen im Baustoffbereich in die Anwendungen auf der Baustelle oder im Fertigteilwerk übertragen werden können, gibt es bereits: der 3-D-Druck mit Beton. „Die additive Fertigungstechnik wird uns helfen, Hightechmaterialien in hoher Qualität und Gleichmäßigkeit einzubauen und die Subjektivität des Einbauprozesses zu reduzieren“, sagt Ludwig.

Mit dem Begriff 3-D-Druck wird in der Regel ein Verfahren assoziiert, bei dem Beton über einen Roboterarm auf in Bahnen abgelegt wird – ähnlich wie bei den 3-D-Druckern für zu Hause. Forscher der TU Braunschweig differenzieren allerdings drei unterschiedliche Methoden. Neben dem bekannten Extrusionsverfahren wird beim Druck im Partikelbett ein Material wie Sand in einer Fläche ausgebracht. Dann wird dort, wo eine feste Struktur entstehen soll, ein Bindemittel aufgetragen, zum Beispiel Zement. So wächst ein Bauteil Schicht für Schicht im Partikelbett.

Vorteile der Technologie sind laut den Forschern, dass man sehr feine Strukturen realisieren kann und keine Einschränkungen beim Design hat, da das Partikelbett zum Beispiel auch Tür- und Fensterstürze trägt, bis das Bindemittel ausgehärtet und die Konstruktion stabil ist. Beim Extrusionsverfahren müsste man entweder extern abstützen oder temporäre Stützstrukturen mit ausdrucken.

Eine dritte Variante ist das sogenannte Shotcrete 3D Printing (SC3DP). Dabei wird Beton schichtweise aufgespritzt. Die Dicke einer Schicht wird dabei durch die Geschwindigkeit des Roboterarms gesteuert, der Abstand der Düse regelt die Breite. Durch die Bewegungsenergie, mit der das Material auftrifft, haftet es an den darunterliegenden Schichten. In Maßen lässt sich daher auch vertikal oder kopfüber schichten.

Bei einem weiteren großen Thema, der nichtmetallischen Bewehrung, etwa durch Carbonfasern, wurden Fortschritte beim Brandschutz präsentiert. Auf die Frage nach dem Recycling scheint es momentan jedoch noch keine gute Antwort zu geben. Trotzdem ist Baustoffexperte Ludwig zuversichtlich: „Die Grundidee wird sich, nachdem wir einige noch offene Fragen geklärt haben, gerade im Ingenieurbau durchsetzen.“

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