BAU 28. Jun 2019 Fabian Kurmann Lesezeit: ca. 6 Minuten

„Eine Blaupause für andere Großprojekte“

Die Elbphilharmonie ist offiziell eröffnet. Dirk Rehaag, Leiter Building bei Hochtief und verantwortlich für den Bau des Konzerthauses, zieht ein Resümee.

Zehn Jahre Bauzeit: Seit dem 11. Januar ist die Elbphilharmonie in Hamburg eröffnet.
Foto: Thies Rätzke/Elbphilharmonie

VDI nachrichten: Diese Woche fanden die Eröffnungskonzerte der Elbphilharmonie statt. Ursprünglich waren sie für 2013 geplant. Werten Sie die Elbphilharmonie trotz massiver Kosten und Zeitverzögerung als Erfolg?

Dirk Rehaag: Ja. Das zeigt sich an der Begeisterung und Wertschätzung, die das Projekt bei den Hamburgern und Besuchern erfährt. Uns als Hochtief hat das Projekt internationales Renommee eingebracht. Zuletzt hatten wir Kunden aus New York zu Besuch, die von der architektonischen aber auch von der funktionalen Qualität tief beeindruckt waren. Es gab natürlich ein paar Geburtsfehler bei diesem Projekt. Die Planung war nicht ausreichend fortgeschritten, die Abstimmung mit den Nutzern war noch nicht erfolgt und die Vertragskonstellation war nicht angemessen. Allein die Anforderungen eines Hotels, eines Konzertbereichs, eines Wohn- und eines Gastronomiebereichs sowie eines öffentlichen Platzes in einem Gebäude übereinzubringen, hat mehr Aufwand und Zeit gebraucht als anfangs gedacht.

„Ich glaube, dass wir uns in Europa und auch weltweit nicht verstecken müssen. Wir haben eine hohe Bau- und Planungsqualität und wir haben in Deutschland unglaublich hohe Sicherheitsstandards.“ Dirk Rehaag, Leiter Building bei Hochtief Infrastructure.Foto: Hochtief

Mit über 500 Mio. € Mehrkosten für die Stadt eine ziemlich teure Fehleinschätzung.

Wir haben 2013 erkannt, was falsch war und gemeinsam mit der Stadt Hamburg und dem Architekten reagiert. Alle Termine wurden seitdem eingehalten und wir hatten auch keinerlei weitere Kostensteigerung. Das ist im Gesamtbild natürlich immer noch nicht befriedigend. Aber jeder, der das Gebäude sieht, kann nachvollziehen, dass man für einige Themen mehr Zeit und Geld gebraucht hat. Das soll keine Entschuldigung für den schlechten Start sein, aber Besucher vor Ort erkennen an, dass das, was wir hier hingestellt haben, ein Beispiel für deutsche Ingenieurkunst ist.

Dirk Rehaag

Leiter Building bei der Hochtief Infrastructure GmbH. Davor war er von Juli 2013 bis April 2016 Geschäftsführer von Hochtief Building.

Seit 1995 in unterschiedlichen Positionen beim Baukonzern Hochtief, etwa als Bau- und Projektleiter in den Hochbau-Niederlassungen Kiel und Hamburg. Von 2006 bis 2013 war er Projektleiter beim Bau der Hamburger Elbphilharmonie. Bis zur Eröffnung gehörte das Projekt jedoch noch zu seinem Verantwortungsgebiet.

1967 geboren, studierte er Bauingenieurwesen an der Technischen Universität Karlsruhe. An der Universität Toronto erwarb er zusätzlich den Master of Business Administration.

Er ist froh, dass die Arbeit an der Elbphilharmonie nach elf Jahren für ihn endlich abgeschlossen ist.kur

Wieso hat man nicht von Anfang an angemessen geplant?

Wenn man sich die Elbphilharmonie näher anschaut, relativiert sich manche Kritik. Wer etwas Sachverstand hat, erkennt an, dass diese Bauaufgabe weit weg vom Üblichen war. Bei der Elbphilharmonie haben wir in vielen Bereichen technisches Neuland betreten, die Grenze des baulich Machbaren neu definiert: der Rohbau auf einem vorhandenen Gebäude mit einer geometrisch komplexen Lastabtragung und mit teils vorgespannten Decken; die einschalige Glasfassade, die sowohl als Absturzsicherung funktioniert als auch den Wärmeschutz garantieren muss. Das hat man nicht einfach aus der Schublade gezogen. Da musste man intensiv mit den Partnerfirmen daran arbeiten. Beim Innenausbau haben wir viele Materialien und Bauteile zum ersten Mal ausprobiert. Und dann die Gebäudetechnik. Die unterschiedlichen Nutzungen sind zwar relativ eigenständig aufgebaut, es gibt aber auch Sonderfälle: Die Kälte- und die Stromversorgung erfolgen z. B. zentral. Vor allem die hohen Sicherheitsanforderungen betreffen das gesamte Gebäude über alle Nutzungen hinweg.

Haben Sie aus den Fehlern gelernt?

Die Erkenntnis, die ich daraus ziehe ist: Ein komplexes Projekt – und das muss nicht unbedingt ein großes Projekt sein, sondern einfach eines, bei dem man nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen kann – erfordert es, vorher sehr genau die Rahmenbedingungen zu prüfen und eine angemessene Projektorganisation aufzustellen.

Ist absehbar, dass sich bei zukünftigen Großprojekten etwas an der Vorgehensweise ändern wird?

Seitdem ich bei Hochtief die Verantwortung für den Hochbau in Deutschland übernommen habe, ist das transparente Arbeiten für mich auch ein Anliegen bei anderen Projekten. Je später Probleme entdeckt werden, umso schwieriger ist es, damit umzugehen. Das deckt sich auch mit den Ergebnissen der Reformkommission zum Bau von Großprojekten. Auch partnerschaftliches Bauen spielt da hinein. Das geht aber nur, wenn man maximal offen miteinander arbeitet.

Wie stellen Sie sich eine maximal offene Zusammenarbeit vor?

Jeder der Beteiligten muss die Chance haben zu sehen, wo der andere gerade steht und wo er Schwierigkeiten hat. Es darf keine Seite Scheu haben, die anderen von Problemen in Kenntnis zu setzen. Es ist einfach eine Lebenswahrheit, dass Schwierigkeiten umso besser gelöst werden, je mehr Köpfe nach einer Lösung dafür suchen. Nicht immer hat man selbst die beste Lösung.

Die Elbphilharmonie kann man als komplexes Projekt bezeichnen. Wenn man hier Schieflagen verhindern will, dann muss man sich anschauen, was wir 2013 in der Neuordnung gemacht haben. Das könnte vielleicht eine Blaupause für andere Großprojekte sein.

Damals ist so viel schiefgelaufen, dass Hochtief sogar die Arbeit niedergelegt hat. Wie konnte es dazu überhaupt kommen?

Es gab von Anfang an unzureichende Abstimmungen mit den Nutzern. Der Konzertbereich, das Hotel oder die Wohnungen stellen ganz unterschiedliche Anforderungen, die man in einem Gebäude übereinbringen muss. Das hat noch Aufwand und Zeit erfordert. Und die Arbeitsbeziehungen waren so gestaltet, dass wir mit dem Generalplaner keinen Vertrag hatten. Alle formale Kommunikation musste also über die Stadt laufen.

Wir hatten in unserem Angebot damals einen umfangreichen Planlieferterminplan vereinbart. Denn um die Termine einzuhalten, benötigten wir die Planung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Termine waren aber nicht mit dem Generalplaner abgestimmt, der ihnen dann auch nicht zustimmte. 2012 eskalierte die Situation. Zum Glück haben wir uns aber wieder zusammengerauft. Jede Seite hat da ihren Beitrag geleistet.

 Was haben Sie dazu beigetragen, um den Konflikt wieder beizulegen?

Wir haben damals die komplette Planung in unsere Verantwortung übernommen. Wir gründeten mit dem Architekturbüro Herzog & de Meuron eine Planungsgemeinschaft und rückten auch räumlich zusammen. Wir saßen dann in den gleichen Büroflächen. Trotz aller digitalen Technik und Kommunikation ist die räumliche Nähe hilfreich, um mitzubekommen, wenn etwas Schwierigkeiten macht und diese gemeinsam gelöst werden müssen. Wenn man sich auf so viel technischem Neuland bewegt, muss man die Kompetenz der Planung und die der Ausführung an einem Ort bündeln.

Sie haben die sogenannte Neuordnung damals verhandelt. Wie wichtig war die persönliche Beziehung zwischen den Leitern?

Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu den leitenden Kollegen, auch wenn man sich in der Sache an vielen Punkten kontrovers gegenüberstand. Besonders wichtig war das, als wir 2013 die Neuordnung mit der Stadt vereinbart haben. Wenn wir zu den Beteiligten auf Seite der Stadt, aber auch vor allem auf Seite des Architekten nicht ein gutes Verhältnis und gegenseitiges Vertrauen gehabt hätten, dann hätten wir es uns nicht getraut eine Neuordnung anzugehen.

Hatten Sie manchmal schlaflose Nächte?

So einige. Zum einen, weil man nicht immer sofort weiß, wie man manche Probleme lösen soll. Aber auch, weil wir viel nachts gearbeitet haben.

Hat der Tag zum Arbeiten nicht gereicht?

Das letzte Jahr war bei uns geprägt von umfangreichen Sicherheitstest. Wir hatten mit den Behörden die zu prüfenden Szenarien festgelegt. Es wurde etwa irgendwo ein Rauchmelder ausgelöst und dann geschaut, ob die Entrauchungsanlagen anspringen, ob die akustischen Signale, der Betriebsfunk, die Nachströmung und die Aufzüge so funktionieren wie geplant, und mit dem Brandschutz und den Behörden abgestimmt. Diese vielen Abhängigkeiten wurden unter normalen Bedingungen getestet, aber auch bei einem Stromnetzausfall. So etwas konnten wir natürlich nur nachts machen. Außerdem haben wir über 1000 Begehungen für die Abnahme organisiert. Gebäude wie die Elbphilharmonie sind heute hochvernetzt. Die ganze Schwachstromtechnik, die ganzen Anlagen sind vernetzt und werden zentral gesteuert. Defekte landen in einem zentralen Sicherheitsbüro. Bei den Begehungen stellt man viele Fehler fest, die man dann beheben muss.

Wie viele Mitarbeiter hatten Sie, um das Projekt zu stemmen?

Zu Hochzeiten waren 250 Ingenieure und 750 Handwerker mit der Baustelle beschäftigt. Im Prinzip waren wir ein mittelständisches Unternehmen, mit dem Unterschied, dass unsere Prozesse sich andauernd verändern. Bei so großen Projekten steigert das den Personalaufwand teils exponentiell.

Welche Rolle haben neue Techniken und Planungen mit digitalen Modellen wie bei BIM gespielt?

Was Großprojekte im Positiven auszeichnet, ist der Pilotcharakter. Da lohnt es sich, auch mal neue Techniken auszuprobieren. Wir haben von Anfang an dreidimensional geplant. 2008 haben wir begonnen, mit BIM zu arbeiten, und die Haustechnikplanung mit der Architekturplanung auf Kollisionen geprüft. Und Bereiche mit hoher geometrischer Komplexität – wie den Konzertsaal – haben wir visualisiert und mit einem Terminplan verknüpft. So konnten wir prüfen, ob der geplante Ablauf funktioniert und ob zum Beispiel für das Einbringen von technischen Anlagen genügend Platz vorhanden ist.

Welche neuen Technologien haben Sie sonst noch verwendet?

In den letzten Jahren haben wir verstärkt iPads auf der Baustelle eingesetzt. Die Bauleiter hatten alle Pläne digital dabei und konnten Mängelaufnahmen vor Ort digital vornehmen.

Sind iPads und BIM wirklich notwendig?

Es gibt heute keine Alternative mehr dazu. Im Moment ist BIM noch zu aufwendig für ein Einfamilienhaus, aber irgendwann wird die Technik auch dort komplett eingesetzt werden. Bei Hochtief wird sie auch bei anderen Projekten immer mehr zum Standard.

Durch ausufernde Projekte wie die Elbphilharmonie oder den Flughafen BER hat das Ansehen der Bauindustrie gelitten. Wie steht es Ihrer Meinung nach um die deutsche Bauindustrie?

Ich bin bei Hochtief verantwortlich für den Hochbau in Deutschland und kann Ihnen sagen, dass der Großteil der Projekte termin- und kostentreu abgeliefert wird. Anders könnte die Bauindustrie nicht existieren und auch unsere Kunden würden nicht zurechtkommen. Ich glaube, dass wir uns in Europa und auch weltweit nicht verstecken müssen. Wir haben eine hohe Bau- und Planungsqualität und wir haben in Deutschland unglaublich hohe Sicherheitsstandards. Ein Gebäude wie die Elbphilharmonie in den Griff zu bekommen, ist schon eine außergewöhnliche Leistung.

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