Ein Jahr Flutkatastrophe: 14. Jul 2022 Von Christiane Schulzki-Haddouti Lesezeit: ca. 4 Minuten

Jede Menge Hausaufgaben für Politik und Wissenschaft

Ein Jahr nach der Hochwasserkatastrophe in Westdeutschland tritt die Politik noch auf der Stelle. Der Wiederaufbau im Ahrtal gilt bereits als verfehlt, weil nicht nachhaltig. Wasserwirtschaft, Landnutzung und Raumplanung müssen sich ändern, darin sind sich Experten einig.

Wenig gelernt: Nach der Flut war die Zerstörung im Ahrtal groß. Auf dem Foto zu sehen ist der Stand zu Beginn der Aufräumarbeiten. Diese sind seitdem einerseits schnell vorangekommen. Andererseits hat der Zeitdruck dazu geführt, dass beim Wiederaufbau kurzsichtig statt nachhaltig entschieden wurde.
Foto: imago images/Future Image/C. Hardt

Der Wiederaufbau im Ahrtal gilt bereits als verfehlt, weil er nicht nachhaltig auf den Schutz vor Hochwasser ausgerichtet wird. Um dieses Kriterium zu erfüllen, müssten – darin sind sich Experten einig – Wasserwirtschaft, Landnutzung und Raumplanung sich ändern. Ansätze, wie das Thema Extremregen angegangen werden kann, gäbe es sogar mehrere. Doch ein Jahr nach der Flutkatastrophe vom 14. und 15. Juli 2021 in Westeuropa gibt es noch keine bau- und wasserrechtlichen Änderungen. Das gilt sowohl auf Bundesebene als auch auf Ebene der Länder.

Aufmacher der VDI nachrichten vor einem Jahr zur Starkregenkatastrophe: Hochwasser: Alles auf Anfang

Aktivität gibt es an anderer Stelle. In Nordrhein-Westfalen kam im April 2022 erstmals die Kommission „Hochwasserschutz in Zeiten des Klimawandels“ zusammen. Der Testbetrieb eines modellbasierten Hochwasser-Vorhersagesystems wurde in NRW dann im Mai gestartet. Das System kam bereits zum Einsatz, als Anfang Juni erneut Starkregen drohte. Es berechnet Wasserstände an 23 Pegeln an 14 Flüssen in dem Bundesland. Die Daten fließen in ein hydrologisches Informationssystem der zuständigen Bezirksregierungen, das sie für ihren Hochwassermeldedienst verwenden. Das Beispiel der Vier-Flüsse-Stadt Hagen zeigt jedoch, dass es noch immer blinde Flecken gibt. Die Stadt erlitt während der Flutkatastrophe im Juli 2021 schwere Zerstörungen. Aktuell wird nur die Hälfte der Flüsse – Ruhr und Lenne – vom neuen Vorhersagesystem erfasst, die Volme und Ennepe aber noch nicht.

Die Flutwelle an der Ahr im Juli 2021 hinterlässt Schäden in ungeahnten Dimensionen, wie hier in Marienthal in der Eifel. Foto: imago images/Eibner/Augst

Starkregen: So gut sind die Vorhersagen der Auswirkungen

Wie gut die Vorhersagen sind, hatte die Hagener Simulation für ein 100-jährliches Hochwasser zwei Monate vor der Katastrophe gezeigt. Dort wurde virtuell sichtbar, welche Straßen abgeschnitten und welche Ortsteile unter Wasser stehen würden, falls es so stark regnet, wie es statistisch gesehen nur alle 100 Jahre vorkommt. Fast genauso sei es dann im Juli 2021 auch eingetroffen, erzählt Thomas Köhler vom Umweltamt der Stadt. Die Vorhersage wurde sogar übertroffen, da es sich um ein 120-jährliches Hochwasser handelte. „Die Auswirkungen des Klimawandels waren hautnah zu spüren“, sagt Köhler. Aufgrund der Ereignisse denke die Stadtgesellschaft nun um und die Verwaltung erarbeitet jetzt ein Konzept für eine „Schwammstadt“. Bei diesem Ansatz geht es darum, Regenwasser lokal aufzunehmen und zu speichern, statt zu kanalisieren und abzuleiten. Es ist ein Weg für nachhaltiges Hochwassermanagement, doch diesen in der Stadtplanung dann umzusetzen, kann Jahrzehnte dauern.

Erkenntnisse der Helmholtz-Forschungsgemeinschaft zwei Monate nach der Flut. Unwetterkatastrophe: So haben Totholz und Sedimente die Eifel-Flut verstärkt

Gefahrenkarten können gegen Starkregen helfen

Ein anderes Instrument sind Starkregen-Gefahrenkarten. Jedoch haben erst 50 von 373 Kommunen in NRW solche erstellt. Wie in ganz Deutschland ist auch hier keine Kommune dazu verpflichtet – die Erstellung ist freiwillig (siehe unseren Beitrag zu Starkregenkarten). In NRW wird sie auf Antrag mit 50 % der Erstellungskosten gefördert. Aus Rheinland-Pfalz gibt es dazu keine Angaben. Die meisten Maßnahmen der Landesregierung beziehen sich auf den Wiederaufbau. Immerhin erarbeitet ein Projekt des Landesamts für Geologie und Bergbau seit April 2022 für das Ahrtal und die Südeifel Planungsgrundlagen für gezielte Schutzmaßnahmen. Das Forschungsprojekt „FloReST“ untersucht Notabflusswege in fünf Pilotkommunen.

Politisch wurden noch kaum Maßnahmen gegen Starkregen vorangebracht

Politisch passiert wenig. Die Opposition im Bundestag macht bei dem Thema kaum Druck. Lediglich Mindeststandards für Gefahren- und Risikokarten für Starkregen sowie Starkregen-Frühwarnsysteme fordert Anja Weisgerber, Sprecherin für Umwelt und Verbraucherschutz der CDU/CSU-Fraktion. Weiter als die Regierungspläne gedacht ist das nicht, denn das steht auch bereits im Koalitionsvertrag der Ampelregierung.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Sandra Weeser kritisiert hingegen: „Es braucht einheitliche Standards für das kommunale Starkregen-Risikomanagement.“ Weeser ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. Sie setzt sich auch dafür ein, das Wasserhaushaltsgesetz zu verändern, damit es sich auch auf Starkregenereignisse bezieht und nicht wie bisher nur auf Hochwasser. Auch Anpassungen in der Baugesetzgebung hält Weeser für notwendig.

Die Forschung zum Schutz gegen Starkregen muss noch besser werden

Auch die Forschung hat noch einiges zu tun: „Die bisherigen Dimensionierungen, Risikoanalysen und auch die Warnsysteme funktionieren für kleine Einzugsgebiete nicht“, sagt Georg Teutsch. Der Wissenschaftliche Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) macht klar: „Da muss deutlich nachgebessert werden.“ Andere Fachleute, wie Wasserrisikoexperte Klaus Piroth, sehen die Wasserwirtschaft in der Pflicht: Sie müsse „geeignete Bemessungsabflüsse für die Gefahrenermittlung und verbesserte Methoden der Vorwarnung entwickeln und bereitstellen.“ Dafür, so der Leiter des Geschäftsbereichs Wasser und kommunale Infrastruktur beim Beratungsunternehmen CDM Smith, müsse die Vorhersage der Abflüsse aus extremen Niederschlägen und beim Prozessverständnis bei extremen Abflüssen besser werden (siehe dazu unser Interview mit Forschern der Uni Bonn). Raumplanung und Bauleitplanung müssten jetzt neue Ansätze der nachhaltigen Entwicklung in den Tälern erarbeiten, fordert Piroth vom Lenkungskreis des Bundesforschungsministeriums zu diesem Thema.

Der Wiederaufbau nach der Starkregen-Flut ist bisher nicht nachhaltig

Denn was bisher passiert ist, geht genau in die umgekehrte Richtung. Bisher sei der Wiederaufbau im stark betroffenen Ahrtal nicht nachhaltig abgelaufen, kritisiert der Biologe Wolfgang Büchs. Statt das durch die Flut verbreiterte Flussbett zu belassen, wurden mit Baggern und Planierraupen die Ahr und ihre Zuflüsse wieder aufgeschüttet, befestigt und damit eingeengt. Einen Grund für die aktuelle überhastete und wenig überlegte Vorgehensweise sieht Büchs im Landeswassergesetz: Demnach haben Anrainer drei Jahre Zeit, sich das Land, das der Fluss genommen hat, wiederzuholen. Danach wäre das Grundstück verloren.

Büchs: „Dass so ein Fluss Raum braucht und dass es der beste Hochwasserschutz ist, ihm diesen Raum zu geben, statt ihn technisch einzuzwängen – dafür fehlt an vielen Stellen noch das Bewusstsein.“ Das ebenfalls im Gesetz verankerte Verschlechterungsverbot für den ökologischen Zustand sei im Ahrtal ignoriert worden: Sogar geschützte Feuchtgebiete wurden großflächig abgeräumt, ohne dass Behörden eingegriffen hätten.

Wasserexperte Klaus Piroth appelliert, dass wichtige Fragen wie die der Landnutzung und der Vorbereitung auf Starkregenereignisse jetzt gesellschaftlich breit diskutiert werden müssen. Denn „aus der Sturzflut haben wir gelernt, dass wir uns auf Hochwasser- und Starkregenereignisse vorbereiten müssen, die mit technischen Maßnahmen allein nicht zu beherrschen sind.“

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