Nach Wohnungsbrand in Essen: Polizeiroboter inspiziert Gebäude
Trotz aktueller Brandschutzvorrichtung brennt am Montag in Essen ein Wohnungskomplex ab. Die Brandursache gibt Rätsel auf. Da Einsturzgefahr besteht, hat die Polizei einen Roboter zur Erkundung eingesetzt. Die eigentliche Detektivarbeit bei der Ursachenforschung bleibt aber den menschlichen Sachverständigen überlassen.
Der Brand ist selbst für erfahrene Feuerwehrleute vor Ort ein Novum: In Essen brennen 35 Wohnungen eines erst 2015 fertiggestellten Wohnkomplexes bis zur Zerstörung aus, weitere werden beschädigt. Die Brandschutzmaßnahmen sind auf aktuellstem Stand, und trotzdem fackelt die Fassade des Gebäudes regelrecht ab, während es alle 128 Bewohner und Bewohnerinnen lebend aus den Flammen schaffen.
Die Brandursache ist laut Eigentümerin und Vermieterin Vivawest noch nicht geklärt, wie die Welt berichtet. Dazu müssten die Sachverständigengutachten abgewartet werden, erklärt Vivawest-Chef Christian Kromberg.
Bei der Aufklärung hat nun sogar ein Polizeiroboter geholfen, der heute das noch einsturzgefährdete Gebäude betreten hat. Ausgestattet mit zwölf Kameras, sollte er an Orte vordringen, die für Menschen zu gefährlich sind. Den 60 000 € teuren Polizeiroboter mit dem Spitznamen „Herbie“ hatte Innenminister Reul erst vor Kurzem vorgestellt.
Der Roboterhund des US-Herstellers Boston Dynamics wird bereits vom deutschen Bauunternehmen Goldbeck zur Baustellenerfassung eingesetzt. Mit seinen Sensoren ist er in der Lage, Hindernisse zu erkennen, sie zu umgehen oder darüber hinwegzusteigen. Wenn er ausrutscht, kann der Robo-Hund wieder aufstehen. Und selbst Treppen sind kein Problem. Konkurrenzprodukte werden in Deutschland, der Schweiz und auch in China bereits entwickelt.
Roboterhunde schnüffeln am Bau
Alles scheint regelkonform gewesen zu sein
Zurück nach Essen: Gemäß den Vorschriften war der Wohnungskomplex mit Brandschutztüren gegen eine schnelle Verbreitung eines Feuers ausgestattet. Die Türen seien zuletzt im März 2021 gewartet worden, sagt ein Sprecher des Hauseigentümers der Deutschen Presseagentur. Die Dämmung des Hauses erfolge überwiegend mit Mineralfaserplatten – weil diese weniger brandanfällig als Polysterol-Dämmstoffe seien.
Der Berliner Brandschutzexperte Reinhard Eberl-Pacan geht gegenüber der „Welt“ davon aus, dass bautechnisch auch alles richtig gemacht wurde: „Dass hier Mineralwolle verbaut wurde, erscheint insofern plausibel. Auf Bildern, die nach dem Brandereignis gemacht wurden, ist zu erkennen, dass diese Dämmplatten teilweise sogar noch intakt zu sein scheinen.“ Der Experte folgert, dass nicht die Fassadenoberfläche in Brand geraten sei, sondern sekundäre Bauteile wie die Balkone und Laubengänge.
Wind von Sturmtief Antonia fachte den Brand an
Am Montag lieferte der Wind von Sturmtief Antonia ordentlich Luft, die bei der Ausbreitung der Flammen sicherlich förderlich war. Falls im Außenbereich, dort, wo es die Vorschriften erlauben, Material eingesetzt wurde, was nur als „schwer entflammbar“ statt explizit als „nicht brennbar“ klassifiziert ist, könnten diese Umstände eine so massive Brandausbreitung unterstützen. Das Wohnhochhaus „Grenfell Tower“ hatte Sandwich-Module aus Aluminium mit Polystyrol-Kern. Sobald die Alu-Hülle der Module bei 660 °C schmilzt, gibt sie deren Kern frei. Und Polystyrol gilt laut DIN 4102–1 nur als „schwer entflammbar“. Allerdings brennt es bei Temperaturen, die in Bränden über 1000 °C erreichen wie Zunder. Die Welt berichtet von herabtropfendem Material auf den Fotos, die ein typisches Zeichen für geschmolzene Polystyrolbauteile sind.
Beim Grenfell Tower wanderten die Flammen scheinbar nicht nur nach oben. „Das brennende Abtropfen der Fassadendämmung sorgte zudem dafür, dass sich der Brand auch noch nach unten ausbreitete, was absolut katastrophal wirkt und deutlich in den Videos zu sehen ist“, sagte die Prüfingenieurin Sylvia Heilman damals anlässlich des Brandes. Auch dort stand fast die komplette Fassade in Flammen.
Deutschland beim Brandschutz prinzipiell gut aufgestellt
In Deutschland besteht beim Brandschutz ein präventives System. Das heißt, bevor etwas gebaut wird, müssen Prüfingenieure nach dem Vier-Augen-Prinzip unabhängig die Planungen von Kollegen prüfen und deren Bauausführung kontrollieren. Sicherheitsdefizite werden in der Regel vorher aufgedeckt.
Aber auch in Deutschland gebe es den Trend zur Privatisierung und die Tendenz, das Brandschutzniveau zu senken, sagte Peter Bachmeier, leitender Branddirektor der Einsatzvorbeugung der Münchner Feuerwehr, anlässlich des Wohnturmbrands. Wenn es um Einsparungen beim Bau gehe, gerate der Brandschutz immer wieder ins Visier, so Bachmeier. Auch in Nürnberg musste die brennbare Dämmung der Fassaden von fünf Hochhäusern entfernt werden.
Kostendruck: „Zu viel Plastik verbaut“
Christoph Schöneborn, Landesgeschäftsführer des Feuerwehrverbands, sorgt sich indes schon seit Jahren um das Brandgeschehen solcher Fassaden wie in Essen. „Hier war ganz viel Plastik verbaut“, erklärte er gegenüber Ingenieur.de.
Der Verein Deutscher Ingenieure e. V. bietet in seiner Richtlinie VDI 3819 Blatt 1 zwar Grundlagen und Kenntnisse zum Brandschutz für Gebäude, doch selbst auf dem aktuellen Stand der Technik ist ein Brand nicht unmöglich, wie Brandschutzexperte Eberl-Pacan gegenüber der „Welt“ berichtet: „Grundsätzlich haben wir in Deutschland durchaus strenge und sehr effiziente Brandschutzvorschriften. Aber man kann ein Gebäude auch nicht so bauen, dass es gar nicht mehr brennt, da stoßen wir an technische und finanzielle Grenzen.“