Raus aus der Wohnungsnot mit Umbau und Neubau
Laut einer Studie, die heute auf dem Wohnungsbau-Tag in Berlin vorgestellt wurde, könnten allein durch Umbau 4,3 Mio. neue Wohnungen geschaffen werden. Der Klimaschutz bei Altbauten sei zudem möglich, koste aber bis 2045 ganze 3,6 Billionen €.
Die Baubranche steht vor einer großen Herausforderung: 400 000 Wohnungen sollen den Zielen der deutschen Bundesregierung zufolge jährlich bis zum Ende der Legislaturperiode neu geschaffen werden – jede vierte davon soll eine Sozialwohnung sein. Zusätzlich stehen ehrgeizige Klimaschutzziele im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP, die enorme Auswirkungen auf das Bauen und Wohnen haben werden.
Gemeinsam präsentierten sieben Organisationen und Verbände der Bau- und Immobilienbranche dazu heute auf dem 13. Wohnungsbau-Tag 2022 in Berlin ein Konzept, wie diese „Herkulesaufgabe für ein neues Wohnen“ gemeistert werden kann. Als Verbändebündnis Wohnungsbau legten sie eine aktuelle Studie des Bauforschungsinstituts Arge e.V. (Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen) aus Kiel vor.
Mehr Wohnungen: Hoffnung liegt auf Mix aus Umbau und Neubau
Darin setzen die Wissenschaftler beim „Mammutprogramm Wohnen“ der Ampelkoalition auf einen Mix aus mehr Neubau und deutlich mehr Umbau im Gebäudebestand. Das sei, so die Bündnissprecher, – zusammen mit mehr Klimaschutz beim Wohnen – allerdings nur zu erreichen, wenn der Staat eine Reihe von zusätzlichen Steueranreizen setze und KfW-Programme anpasse beziehungsweise neue Förderungen schaffe.
Wohnungsbau ohne zusätzliches Bauland durch Umnutzung und Umbau
„Aus der vorhandenen Gebäudesubstanz kann erstaunlich viel herausgeholt werden: Das Potenzial, das allein der Umbau bestehender Gebäude bietet, liegt bei über 4,3 Mio. neuen Wohnungen. Genug also, um in Kombination mit dem Bau komplett neuer Wohnhäuser das Ziel der Bundesregierung zu erreichen. Der Vorteil der Umbauoffensive: Es gibt eine enorm hohe Anzahl neuer Wohnungen – ohne dafür auch nur einen einzigen Quadratmeter Bauland zusätzlich zu benötigen“, sagt Arge-Institutsleiter Dietmar Walberg.
Mehr bezahlbare Wohnungen in der Stadt
Eine gewaltige Chance sieht Wissenschaftler Dietmar Walberg hierbei im Umbau von Büros, die auch nach der Corona-Phase durch das Etablieren vom Homeoffice nicht mehr gebraucht werden. Rund 1,9 Mio neue Wohnungen könnten demnach so entstehen. Und das relativ kostengünstig: Der Umbau von Büros koste pro Quadratmeter Wohnfläche knapp 1300 €, im Neubau seien es hingegen mehr als 3400 €/m2.
Häuser aufstocken, um bezahlbare Wohnungen zu schaffen
Auch die Dachaufstockung bei Wohnhäusern, die in der Nachkriegszeit bis zum Ende der 1990er-Jahre gebaut wurden, bietet nach Angaben der Studie enormes Potenzial: Rund 1,5 Mio. neue Wohnungen sind hier durch On-Top-Etagen möglich. Und das, so die Experten, zu Kosten von weniger als 2500 €/m2. Dazu kämen noch einmal rund 560 000 Wohnungen, die durch das Aufstocken von Verwaltungsgebäuden und Bürokomplexen entstehen könnten. Zusätzlich bieten On-Top-Etagen auf Supermärkten, Discountern, Einkaufspassagen und Parkhäusern die Chance auf rund 420 000 neue Wohnungen – meistens in attraktiven Citylagen.
Fahrplan für mehr als 19 Mio. klimaneutrale Wohnungen
Vor allem liefert die Wohnungsbaustudie der Arge auch einen Fahrplan dafür, wie das Wohnen klimaneutral werden kann: Die Wissenschaftler setzen auf mehr Energiesparsanierungen bei den knapp 19,3 Mio. Wohngebäuden in Deutschland. Hier fordern sie, einen „Turbogang“ einzulegen: Rein rechnerisch sollte künftig jeder 55. Altbau pro Jahr energetisch komplett modernisiert werden. Bislang ist es nur jedes 100. Wohnhaus. Damit würde die jährliche Sanierungsrate von derzeit 1 % auf dann 1,8 % steigen.
Kosten und Nutzen beim Wohnungsbau abwägen
Bei der Klimaschutzmodernisierung fordern die Wissenschaftler der Arge allerdings, Kosten und Nutzen gründlich abzuwägen, um das Wohnen nicht unverhältnismäßig teuer zu machen. Deshalb favorisieren sie bei energetischen Sanierungen von Gebäuden das Effizienzhaus 115 als Standard. Der Grund: Ein voll sanierter Altbau würde dann beim Energieverbrauch sogar bis auf 15 % an einen Neubau mit seinen heute – im Gebäudeenergiegesetz (GEG) – vorgeschriebenen Standards heranreichen.
Beim künftigen Neubau empfiehlt die Studie das Effizienzhaus 70. Schließlich sei es beim Neubau genauso wie beim Modernisieren notwendig, die Ressourcen im Blick zu haben – vor allem auch Fachkräfte und staatliches Fördergeld. Beides sei knapp. Und hier bieten die Effizienzstufen 115 (Altbau) und 70 (Neubau), so die Arge, einen „machbaren Mittelweg“. Die jährlichen Kosten für die von der Arge empfohlenen Energiesparsanierungen beziffert die Studie auf bis zu 150 Mrd. €/Jahr. Bis 2045 sollen es dann 3,6 Billionen € sein. Dann nämlich soll Deutschland klimaneutral wohnen.
Keine klimaneutralen Wohnungen ohne grüne Energie
Ohne zusätzliche grüne Energie fürs Heizen und für Strom wird das allerdings nicht gehen, so die Arge. Und um die Energiesparoffensive bei Altbauwohnungen überhaupt erst einmal anzustoßen, müsse der Staat Anreize für die Modernisierung setzen: Mindestens 30 Mrd. € seien hierfür pro Jahr an Förderung notwendig, so die Empfehlung der Studie.
Nach dem KfW-Förderstopp: wie es weitergeht
Würde die Politik die Energiespar-Messlatte noch höher legen, dann wären auch die Kosten und notwendige Förderungen dafür enorm viel höher: Um ein bestehendes Ein- oder Zweifamilienhaus auf das Niveau vom KfW-Effizienzhaus 115 zu bringen, nennt die Studie Kosten zwischen 660 €/m2 und 1070 €/m2 Wohnfläche. Dagegen koste das Effizienzhaus 40 mindestens 50 % mehr – in der Spitze sogar knapp 1600 €/m2.
Maximale Standards wären falsch investiertes Geld beim Wohnungsbau
Wissenschaftler Walberg spricht hier vom „falsch investierten Euro“. Grundsätzlich gelte: Im Neubau seien höhere Standards leichter zu erreichen als bei Altbauten.