Katastrophenschutz 14. Jul 2022 Von Christiane Schulzki-Haddouti Lesezeit: ca. 4 Minuten

Starkregen: Vorsorgen gegen die „Sturzflut von oben“

Forscher fordern Risikokarten als Vorsorge gegen Starkregen. Dieser löste unter anderem im Juli 2021 eine Flutkatastrophe im Ahrtal aus. Eine gesetzliche Verpflichtung, Starkregen-Gefahrenkarten zu erstellen, gibt es allerdings nicht.

Spätestens wenn sich die Wassermassen nach einem Starkregen durch den Dorfkern wälzen, zeigt sich, welche Häuser besonders bedroht sind. Risikokarten könnten helfen, Schäden vorzubeugen.
Foto: imago images/Marius Schwarz

Mitte Mai dieses Jahres lagen die Nerven in der Bevölkerung in Bad Neuenahr-Ahrweiler wegen eines drohenden Unwetters blank. Nach kurzen, starken Regenschauern waren wenige Tage zuvor wieder einige Keller vollgelaufen. Aus Furcht vor neuen Wassermassen füllten deshalb Bauhofmitarbeiter und freiwillige Helfer insgesamt 12 000 Sandsäcke neu ab. Das Bewusstsein dafür, was Starkregenfälle in der Umgebung anrichten können, hat sich seit der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer sprunghaft geschärft. Doch im Kreis Ahrweiler war Bad Neuenahr-Ahrweiler die einzige Kommune, die Sandsäcke zur Verfügung stellte. Klar ist auch, dass Sandsäcke allein beim nächsten Starkregen das Problem nicht lösen. Zudem wird in Kommunen abseits der Zerstörungszone Starkregen noch immer stiefmütterlich behandelt, wie aktuelle Untersuchungen bestätigen.

Starkregen-Vorsorge ist mangelhaft

Bundesweit gebe es „massive Versäumnisse“ bei der Vorsorge, stellt die Studie „Starkregen und urbane Sturzfluten – Agenda 2030“ der Technischen Universität (TU) Kaiserslautern Anfang des Jahres fest. In Auftrag gegeben wurde sie von der Initiative „Verantwortung Wasser und Umwelt“ der AG Tiefbau. In der AG Tiefbau sind Bauunternehmen sowie der Deutsche Baustoff-Fachhandel (BDB) aktiv.

„Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat Deutschland im letzten Sommer geschockt und noch einmal kräftig wachgerüttelt“, sagt Theo Schmitt von der TU Kaiserslautern, der an der Studie federführend mitgewirkt hat. Doch es gebe kaum eine Region in Deutschland, die vor Starkregen und urbanen Sturzfluten sicher sei. Schmitt prognostiziert: „In den kommenden Jahren werden Wetterextreme schlimmer – sie werden an immer mehr Orten, immer häufiger und heftiger auftreten.“ Entsprechend paradox wirkt die Trägheit der Politik, hier angemessene Vorsorge voranzutreiben.

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Wetterphänomene wie Starkregen werden zunehmen

„Die Sturzflut kommt quasi von oben – von jetzt auf gleich. Ohne Deich, ohne Schutz“, sagt Wolfgang Günthert, der ebenfalls an der Studie mitgewirkt hat. Am Institut für Wasserwesen der Universität der Bundeswehr München befasst er sich mit Sturzflutenmanagement. Geflutete Straßen, vollgelaufene Unterführungen, Keller und Tiefgaragen – durch das wärmere Klima steigt die erwartete Häufigkeit solcher Ereignisse. Im Moment sind Gemeinden jedoch nicht einmal verpflichtet, eine Starkregenrisikokarte zu erstellen. Diese könnten helfen, in Gebieten mit hohem Schadensrisiko die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Aktuell gibt es nur Empfehlungen zu der Maßnahme.

Kurz vor der Flut in Deutschland vom 14. Juli 2021: Der Starkregen am Abend mit dem noch ahnungslosen Individualverkehr, der am Folgetag teils keine Straßen mehr befahren konnte. Am Aufnahmeort in der nordrhein-westfälischen Ruhrmetropole Essen fielen 73 Liter Regen auf den Quadratmeter.

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Starkregen mit entsprechenden Schäden am 14.07.2021 im nordrhein-westfälischen Hagen.

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Ruhrhochwasser im Juli 2021 bei Essen-Kettwig im Ortsteil Vor der Brücke.

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Nach der Hochwasser-Katastrophe vom Juli 2021 im Erftkreis gehen die Aufräumarbeiten im dritten Tag danach weiter. Bei den Bergungsarbeiten der zerstörten Autos in Erftstadt-Liblar kommen auch Sonar, Bundeswehrpanzer und Taucher zum Einsatz: Sie überprüfen die massiv beschädigten Fahrzeuge auf der B256 Luxemburger Straße. Die Fahrerinnen und Fahrer der Autos und Lkw waren von den Wassermassen überrascht worden, konnten sich nach bisherigen Erkenntnissen offenbar noch eilig in Sicherheit bringen.

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Hochwasser in Mülheim an der Ruhr im Juli 2021. Nach langen heftigen Regenfällen trat der Fluss aus dem Bett und überschwemmte die Landschaft und Ortschaften; es ist der höchste Pegelstand, der je gemessen wurde. Im Bild pumpt die Feuerwehr Wasser aus den Straßen ab.

Foto: imago images/Jochen Tack

Außerdem muss die finanzielle Unterstützung, die in den einzelnen Bundesländern zur Verfügung steht, von den Kommunen aktiv abgerufen werden. Das funktioniert aber nicht so gut: In Bayern beispielsweise haben nur 98 von 2056 Gemeinden seit der Flutkatastrophe im Juli 2021 Fördermittel zum Sturzflutmanagement abgerufen, obwohl jede von ihnen von Stark­regenereignissen betroffen sein könnte.

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Gesetzeslage klammert Starkregen-Ereignisse weitgehend aus

Doch auch in anderen europäischen Ländern sind Überflutungen durch Starkregen noch kein verbindlicher Teil des Hochwasser-Risikomanagements. Um zumindest in Deutschland voranzukommen, fordert Starkregenforscher Schmitt Bund und Länder auf, die Städte und Gemeinden bei ihrem Kampf gegen den Starkregenschutz nicht nur finanziell zu unterstützen, sondern auch zu einem Starkregen-Risikomanagement zu verpflichten. Auch ein Jahr nach der Flutkatastrophe an Ahr und Erft klammert die aktuelle Gesetzeslage Starkregenereignisse noch immer weitgehend aus.

Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) erfasst etwa keine Überflutung aus überlasteten Abwasseranlagen. Überflutungen infolge von Starkregen stuft es nur als „generelles Risiko“, nicht aber als „signifikantes Risiko“ ein, zeigt die Kaiserslauterer Studie auf. Deshalb würden „für Bereiche, die von Überflutungen durch Starkregen betroffen sind, keine Risikogebiete bestimmt“. Entsprechend fehle die Verpflichtung, dazu Risikokarten zu erstellen und zu berücksichtigen. Ähnlich ist der Effekt, wenn sich die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten noch immer nur auf Bereiche in Verbindung mit „ausufernden Gewässern“ bezieht, nicht aber auf Gebiete, die zunächst nur von Starkregen betroffen wären.

Risikokarten sollen helfen, Flutkatastrophen nach Starkregen zu vermeiden

Starkregenkarte für „Starkregen extrem“ der Stadt Bonn im Geoinformationssystem der Stadt. Die gefährdeten Bereich sind in türkis bis lila eingefärbt – je dunkler, desto höher der zu erwartende Pegel. Foto: Screenshot/Bundesstadt Bonn

Gefahren- und Risikokarten für Starkregen sind ein zentrales Mittel des Katastrophenmanagementsso sehen es zumindest die Extremregenforscher. Aus politischer Sicht haben die Karten jedoch auch Sprengkraft, weil die dann notwendigen Vorsorgemaßnahmen zunächst Kosten bedeuten oder aufgrund der Gefahrenlage sogar unpopuläre Bauverbote ausgesprochen würden.

Nach Vorstellung der Forscher sollen auf künftigen Risikokarten die Überflutungsgefahren bis auf das einzelne Haus genau eingetragen werden. Mit einer solchen Karte könnte die Wirkung von Starkfluten digital simuliert werden. Schmitt: „Was wir dringend brauchen, ist eine systematische Analyse der örtlichen Gefahrenlage.“ Wichtig seien Daten zur Topografie mit lokalen Grünflächen, zum Geländegefälle, zur Kapazität von Kanalsystemen sowie meteorologische Daten. Sie seien die Basis für ein Starkregenwasser-Management, mit dem Städte in Zukunft „wassersensibel“ entwickelt werden sollten.

Es gibt bereits Maßnahmen, um Schäden durch Starkregen zu minimieren

Langfristig könnten Hausbesitzer von Risikokarten profitieren und gezielter Maßnahmen für den Schutz der Gebäude treffen: Angefangen bei Dachbegrünung, die Regenwasser zurückhält, über Regenbecken und oberirdische Sammelflächen bis hin zu geschützten Kellereingängen, Lichtschächten und Einfahrten von Tiefgaragen.

Die Konzepte sind jedoch lange bekannt. Die Universität der Bundeswehr München hat mit Partnern aus der Industrie, Planern und Kommunen vor über zehn Jahren das Simulationsmodell GEOCPM entwickelt, mit dem alle Gefahren – Oberflächenabfluss, Außengebietswasser, kanalinduzierte Überflutung und Gewässerüberschwemmung – georeferenziert und gekoppelt gemeinsam simuliert und dargestellt werden können. „Das heißt, Ingenieure haben bereits die erforderlichen Instrumente für die Gefahrenerkennung entwickelt, die den Kommunen zur Verfügung stehen und bereits mehrfach angewandt wurden“, sagt Günther. Deshalb sei es „umso verwunderlicherer, dass diese Instrumente so wenig angewandt werden“.

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