Wärmedämmung in der Kritik
Wie derzeit bei Baumessen üblich, steht auch bei der am Dienstag in München eröffneten Messe Bau die Wärmedämmung im Mittelpunkt des Interesses. Doch bereits im Vorfeld der am 24. Januar zu Ende gehenden Schau wurden auch Zweifel an der Wirksamkeit einiger dieser bauphysikalischen Maßnahmen laut.
Um den Energieverbrauch im Gebäudebereich zu senken, offeriert die Industrie viele Verfahren der Wärmedämmung. Doch es mehren sich kritische Fragen. Einige lauten: Welche Folgen hat das Dämmen auf Gesundheit und Brandsicherheit? Rechnen sich die bauphysikalischen Maßnahmen überhaupt? Die Liste der Pro- und Contra-Argumente ist lang.
Kein Zweifel: Rund 40 % des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland entfallen auf den Gebäudebereich. Da ist es wichtig zu wissen, dass eine gut gedämmte Gebäudehülle vor allzu großem Verlust teuer erkaufter Heizwärme schützt. Im Jahr 2013 kam für die Behaglichkeit in Häusern 70,2 % der gesamten Haushaltsenergie zum Einsatz. Entsprechend vielfältig das Angebot an Dämmstoffen auf der Bau 2015.
Die bauphysikalischen Produkte auf der Messe reichen von Mineralwollprodukten über Holzfaserdämmplatten bis hin zu Hartschaumelementen. Während letztgenannte aus Polystyrol bestehen, werden die Mineralwollmatten aus zermahlenem und anschließend gesponnenem Glas oder Stein gefertigt. Vorteil der Mineralwollprodukte: Sie gelten als „nicht brennbar“. Polystyrolplatten sind zwar preisgünstiger, werden von Brandschutzexperten aber „nur“ in die Kategorie „schwer entflammbar“ eingestuft.
Kritiker führen derweil mindestens vier Einwände gegen das Dämmen ins Feld. Während einzelne Ökonomen vorrechnen, dass das Wärmedämmen sich nicht rentiere, warnen Bedenkenträger vor der Gefahr für die Gesundheit von Hausbewohnern durch Schimmelpilzbildung. Andere Zweifler argumentieren, die Dämmmaßnahmen verunstalteten Gebäude und seien im wahrsten Sinne des Wortes „brandgefährlich“.
Bedenken zum eventuell verfehlten ökonomischen Ziel der Dämmmaßnahmen im Hochbau unterstützt eine Berechnung aus Großbritannien. So stellt eine im Jahr 2012 erarbeitete Studie der Universität Cambridge die mathematische Annahme zur Berechnung des theoretischen Heizenergiebedarfs in Deutschland in Frage.
Forscher der britischen Hochschule verglichen die Ergebnisse theoretischer Bedarfsrechnungen – den „Energiekennwert“ – mit dem tatsächlichen Heizenergieverbrauch von 3400 Wohnhäusern in Deutschland. Das Ergebnis: In älteren Wohngebäuden mit geringer oder gar keiner Dämmung lag der tatsächliche Verbrauch an Gas oder Öl um 30 % bis 40 % unter den errechneten Werten.
Während deutsche Energieberater bei den Immobilien von einem durchschnittlichen Verbrauch von 225 kW je Quadratmeter und Jahr ausgehen, kamen die Forscher aus Cambridge nur auf 150 kW. Hingegen ermittelten die Briten bei der Mehrzahl neuer Niedrigenergiehäuser, also dick gedämmter Gebäude, höhere Verbrauchswerte als kalkuliert.
Ein weiteres Problem, das bei üppig gedämmten Häusern zu Tage tritt: Die Fassaden neigen zu hässlicher Veralgung. Da die Funktion einer Wärmedämmung darin besteht, den Wärmestrom aus dem Gebäude heraus zu vermindern, führt dieser Effekt dazu, dass die Oberfläche der betreffenden Fassade im Winter und in der Übergangszeit kälter wird als die einer ungedämmten Außenwand. Entsprechend bleibt die vor Wärmeverlust geschützte Fassade bei nasser Witterung länger feucht und begünstigt so die Veralgung. Hausbesitzer kennen das Problem bereits bei Balkonen und unbeheizten Garagen.
Andere Dämmgegner warnen vor der Gefahr einer Schimmelpilzbildung im Gebäudeinneren. Durch das Bestreben, bei Dämmaktivitäten die Gebäudehülle abzudichten, käme der Luftaustausch zum Erliegen, was die Luftfeuchtigkeit in den Räumen erhöhe und der Schimmelpilzbildung Vorschub leiste. Bauphysiker legen in der Tat großen Wert auf Abdichtung der Außenwandkonstruktion, um Wärmebrücken zu vermeiden.
Die Hauptkritik am deutschen Dämmeifer zielt aber auf einen „nicht hinreichenden Brandschutz“: Der vielfach zu Dämmzwecken verwendete Baustoff Polystyrol könne sich bei länger andauernder Brandeinwirkung entzünden, und zwar trotz seiner Einstufung als “schwer entflammbar”, warnen Kritiker. Tatsächlich gab es in Deutschland Fälle, bei denen ganze Fassaden mit Polystyrolplatten unter starker Flammen- und Rauchentwicklung abgebrannt sind.
Der bisher folgenschwerste Brandfall, bei dem Polystyrol eine Rolle spielte, ereignete sich am 11. April 1996 auf dem Gelände des Düsseldorfer Flughafens. Im Bereich eines Empfangsgebäudes kam es zu einem Brand mit 17 Toten. Man hatte außerhalb des Terminals Schweißarbeiten durchgeführt, wobei die Schweißstelle in Verbindung stand mit einer Zwischendecke, die in das Empfangsgebäude führte. Die Zwischendecke war mit Polystyrol-Hartschaumplatten ausgekleidet.
Zu all den Argumenten, mit denen Kritiker die Wärmedämmaktivitäten im Hochbau in Frage stellen, nehmen jetzt in einem Positionspapier fünf Institutionen aus Deutschland und Österreich Stellung. Es handelt sich um die Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA), das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP), das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das Energieinstitut Vorarlberg (EIV) und das Tübinger Planungsbüro ebök.
Viele Kritikpunkte würden aus dem Zusammenhang einer komplexen Planungs- und Bauaufgabe gerissen, ärgert sich Volker Kienzlen, KEA-Leiter und Initiator der Analyse. Wirtschaftlichkeitserfolge, die aus Dämmaktivitäten hervorgingen, ließen sich nachweisen. Gesundheitsprobleme, die auf das Dämmen zurückzuführen seien, entbehrten jeder Grundlage. Und Warnungen vor Brandgefahren durch Einsatz von Polystyrolplatten würden arg übertrieben, vor allem von Fernsehanstalten.
Hinsichtlich der Kritik, das Dämmen erbringe keinen wirtschaftlichen Erfolg, geben die Verfasser des deutsch/österreichischen Positionspapiers zu Bedenken, dass sich viele Investitionen schon deshalb rentierten, weil man die energetische Sanierung an den normalen Renovierungszyklus koppeln könne. Stehe das Gerüst für die Putzerneuerung schon, seien die Dämmmaßnahmen günstiger und würden über ihre Lebensdauer gerechnet mehr Einsparungen bringen als sie gekostet hätten.
Für Wirtschaftlichkeitsaussagen dürften nur die Mehrkosten für die Energieeinsparung zugrunde gelegt werden, rechnen die Verfasser des Positionspapiers vor, nicht die „Sowieso-Kosten“ der baulich notwendigen Instandhaltung, etwa neuer Dachziegel.
Ein sich hartnäckig haltender Einwand gegen die Wärmedämmung lautet, die Wände müssten „atmen“ können, um die Bewohner mit Frischluft zu versorgen und um Schadstoffe und Feuchtigkeit abzuführen. Dichte Wände seien gesundheitsgefährdend, und da hätte die Dämmung einen negativen Effekt.
„Das Bild der atmenden Wand im Sinne eines Luftaustausches zwischen Innen- und Außenraum entbehrt jeder funktionalen Grundlage“, so die Verfasser der deutsch/österreichischen Analyse. Einen Luftaustausch durch Außenwände gebe es nicht, ob gedämmt oder ungedämmt. Außer sie seien baufällig.
Die Verfasser des Positionspapiers erinnern daran, dass Schimmel eher dann auftritt, wenn sich warme Raumluft an Wandoberflächen abkühlt und dadurch die relative Feuchte der Luft dort stark zunimmt. Im Extremfall kommt es dann sogar zur Kondensatbildung.
Ein zusätzlicher, von außen angebrachter Wärmeschutz führe hingegen immer zu einer Anhebung der Oberflächentemperatur der Wand und senke so das Feuchte- und Schimmelrisiko, erläutern die Verfasser. Eine konsequente Vermeidung von Wärmebrücken, etwa an den Fenstern oder der Balkonplatte, minimiere das Risiko weiter.
Brennende Dämmungen seien in Deutschland äußerst selten, wiegeln die Verfasser die schwerstwiegende Kritik gegen das Dämmen ab, wobei dieser Vorwurf aber nur auf den Werkstoff Polystyrol zielt. Von den 200 000 Brandereignissen pro Jahr seien die Vorfälle, bei denen die Fassadendämmung eine Rolle spiele, an „einer Hand abzuzählen“, so das Positionspapier. Ein Teil der Häuser, die von Bränden heimgesucht wurden, hätten sich zudem noch in der Bauphase befunden.