Automobil: Mangel an Chips hängt nicht allein an der Lieferkette
Die Automobilindustrie braucht eine umfassende Neudefinition ihrer Halbleiterstrategien und der Zusammenarbeit mit der Halbleiterindustrie. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie des ISF München.
Business as usual? Das ist seit der Chip-Krise in der Automobilindustrie endgültig Vergangenheit. In der Studie „The Chip Crisis in the Automotive Industry“ im Rahmen des BMBF-Projekts HyValue hat das Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung ISF München jetzt die Hintergründe und Lehren aus der Krise analysiert. Wesentliche Erkenntnis: Bei Halbleitern sind neue Strategien und eine Zusammenarbeit mit den Halbleiterherstellern wichtiger denn je.
Halbleiter: Lieferkettenprobleme führten zur Krise bei der Versorgung
Die Chip-Krise in der Automobilindustrie führt die Studie auf ein klassisches Lieferkettenproblem zurück. Zu Beginn der Covid-19-Pandemie rechneten die Automobilhersteller mit einem Nachfrageeinbruch, revidierten ihre Produktionspläne und gaben diese Information an ihre Zulieferer weiter. Die Zulieferer elektronischer Komponenten wiederum stornierten Aufträge bei den Chipherstellern. Als die Nachfrage nach Autos schließlich unerwartet schnell wieder anstieg, hatten die Halbleiterunternehmen die zuvor für die Automobilindustrie reservierten Kapazitäten umgelenkt. Sie reagierten damit auf den gestiegenen Chip-Bedarf in der Büro- und Unterhaltungselektronik, die während der weltweiten Lockdowns rasch gestiegen war. Da Chips in vielen Bereichen des Autos eingesetzt werden, vom Fensterheber bis zum Motorsteuergerät, konnte plötzlich eine große Zahl von Fahrzeugen nicht mehr fertiggestellt werden.
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Aus industriesoziologischer Sicht kommt das ISF München in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass diese Krise in der Automobilindustrie mehr ist als ein reines Lieferkettenproblem. Zudem seien die anstehenden Entwicklungen mit klassischen Supply-Chain-Management-Maßnahmen allein langfristig nicht in den Griff zu bekommen.
Halbleiter im Auto: Mit Elektrifizierung und Software steigen die Anforderungen
„Mit der Elektrifizierung und dem steigenden Softwareeinsatz in Fahrzeugen ändert sich die Rolle des Halbleitereinsatzes im Fahrzeug grundlegend“, sagt Alexander Ziegler, der die Studie am ISF München geleitet hat. Es würden nicht nur quantitativ mehr Chips benötigt, sondern auch qualitativ, da sowohl die Leistungselektronik als auch Hochleistungsrechner zu strategischen Komponenten im softwaredefinierten Elektrofahrzeug werden.
Die Chip-Krise habe diesen entscheidenden Wendepunkt in der Verwendung von Halbleitern in der Automobilindustrie und die damit verbundenen Herausforderungen für die etablierten Unternehmen in den Vordergrund gerückt, betont der Forscher. Notwendig sei eine weitreichende Neudefinition ihrer Halbleiterstrategien und die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen.
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Studie zur Chip-Krise im Automobilbau stellt sechs Handlungsfelder vor
Die Studie „The Chip Crisis in the Automotive Industry“ stellt dazu sechs Handlungsfelder vor: Transparenz hinsichtlich der Anforderungen, ein aktives Management der Risiken; die Entwicklung ganzheitlicher Chip-Strategien für Fahrzeuge; Partnerschaften mit Chipherstellern; die Stärkung der eigenen Halbleiterkompetenz und die Umsetzung von Recyclingstrategien für Halbleiter. Die Studie basiert auf Interviews mit Branchenexperten, Managern, Mitarbeitern und Betriebsräten in der deutschen Automobilindustrie sowie einer Analyse zahlreicher Dokumente.
Die komplette Studie ist als PDF-Datei online abrufbar unter: