Hightech-Zaun gegen den Terror
Eltern mit kleinen Kindern, die unter Bandstacheldraht mit seinen rasiermesserscharfen Widerstandshaken durchrobben. Die Horrorbilder von der ungarisch-serbischen Grenze haben ein Thema wieder auf die Tagesordnung gebracht, das zumindest in Mitteleuropa zum Anachronismus geworden schien: Massive Grenzbefestigungen, um Menschen daran zu hindern, sich frei zu bewegen.
Doch während europäische Regierungen glauben, sich mit den Zäunen in Ungarn, aber auch an den EU-Außengrenzen in Bulgarien und Griechenland, vor Flüchtlingen schützen zu müssen, will sich Saudi-Arabien gegen Grenzgänger eines anderen Kalibers verteidigen: Eine Hightech-Grenzanlage soll verhindern, dass die Terroristen des Islamischen Staates und andere Gruppen religiöser Fanatiker in das Königreich eindringen und dort mit Anschlägen die Gesellschaft so erschüttern, dass sie ihrer wahnwitzigen Ideologie erliegt.
„Der König als moralische und religiöse Autorität im Islam ist ein besonders wichtiger Gegner für den IS“, erläutert Graham Griffiths, Analyst bei der Londoner Unternehmensberatung Control Risks. „Seit zehn Monaten beobachten wir eine stetige Verschlechterung der Sicherheitslage. Zuvor hatte es seit dem Jahr 2000 keine Anschläge mehr gegeben.“ Der Grenzzaun war ursprünglich gegen die Vorläufer des IS geplant: Als der Irak vor rund zehn Jahren im Bürgerkrieg versank, kündigte die saudische Regierung an, einen lang gehegten Plan endlich umzusetzen und die Grenzen zum Nachbarland mit einem Zaun zu befestigen, der mit Kameras, Radar und Sensoren ausgerüstet werden sollte. Als Generalunternehmer setzte sich Airbus Defence & Space (damals noch unter dem Namen EADS) gegen Konkurrenten wie die französische Thales und den US-Rüstungskonzern Raytheon durch. „Einmal fertiggestellt, wird der Zaun den Grenzschutz revolutionieren“, prognostizierte die britische Tageszeitung Telegraph im Jahr 2006.
Doch vor allem wegen Änderungswünschen der Saudis sollte es noch bis zum September vergangenen Jahres dauern, bis der damalige König Abdullah den rund 900 km langen Zaun an der Grenze zum Irak einweihen konnte. Die Anlage besteht aus einem Sandwall, zwei in 100 m Abstand parallel verlaufenden Zäunen, zwischen denen übereinander gestapelte Stacheldrahtrollen installiert sind, und einem Patrouillenweg. 40 Beobachtungstürme und 38 Masten für die Telekommunikation, zehn Befehlszentren und zehn mit Radargeräten und Videokameras ausgestattete Fahrzeuge sorgen für die kontinuierliche Bewachung durch 3400 Grenzschützer. 1,4 Mio. km Glasfaserkabel ermöglichen den schnellen Informationsaustausch zwischen den Posten und dem Innenministerium.
Um Eindringlinge bei Tag und Nacht bereits auf große Entfernungen zu identifizieren, installierte Airbus Bodenradargeräte aus eigener Fertigung und des französischen Thales-Konzerns sowie Wärmebildkameras des US-Herstellers Flir.
Das Spexer 2000 genannte Radargerät von Airbus nutzt hochintegrierte Sende- und Empfangsmodule, die den Radarstrahl elektronisch schwenken. Das Gerät kann gleichzeitig Ziele suchen und verfolgen, wofür bei konventionellen Radaranlagen mehrere Geräte notwendig sind. Fußgänger erkennt das System auf fast 20 km, Lkw auf nahezu 40 km. Die Wärmebildkameras vom Typ Flir Ranger HRC erfassen Personen auf einer Entfernung von mehr als 10 km und Fahrzeuge auf einer Entfernung von mehr als 20 km. Diese Fähigkeiten sind auch am Tag wichtig, um getarnte Eindringlinge in ihrem Versteck anhand ihrer Körperwärme aufzuspüren.
Im Juni 2009 gewann Airbus Defence & Space schließlich die Ausschreibung für ein Grenzsicherungssystem, das die kompletten Außengrenzen Saudi-Arabiens überwachen soll. Das französische Nachrichtenmagazin Le Point schätzte das Auftragsvolumen auf mehr als 2 Mrd. €. Im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung sind im Jahr 2012 für das Grenzprojekt 1,1 Mrd. € ausgewiesen.
Doch wie steht es um die Menschen, die die hochgerüstete Technik bedienen sollen? Zweifel an der Kampfkraft der saudischen Armee bestätigen ihr jüngstes Eingreifen im Jemen, wo sie es geschafft habe „das Chaos zu vertiefen statt zu lösen“, wie es Udo Steinbach formuliert, ehemaliger Leiter des Deutschen Orient Instituts in Hamburg. Er warnt aber davor, von der Qualität der Armee auf die der Grenzschützer zu schließen: „Die Sicherheitskräfte haben eigene Strukturen und eine eigene Ausrüstung.“
Die notorische Korruptionsanfälligkeit der saudischen Beamten, wie sie etwa GSG-9-Gründer Ulrich Wegener kritisiert (siehe Interview unten) solle man nicht überschätzen: „Korruption ist ein Teil des Systems, sie wirkt aber nicht so destabilisierend, dass wir große Sicherheitslücken zu befürchten hätten, die der IS nutzen könnte.“ Denn, so Steinbach mit Blick auf andere Regimes, Saudi-Arabien sei „ein Staat, der seine Sicherheitskräfte so bezahlen kann, dass sie nicht von der anderen Seite abgekauft werden können.“
Udo Steinbach plädiert für eine deutsch-saudische Zusammenarbeit: „Bei der Abwehr eines Feindes wie des IS, der auch uns den Krieg erklärt hat, muss man auf Zusammenarbeit setzen.“ Der Islamwissenschaftler ist überzeugt, dass Saudi-Arabien in den nächsten Jahren politisch stabil bleibt, sofern es seine Institutionen modernisiert und demokratisiert.
Bis dahin sind noch viele Rückschläge im Kampf gegen den Terrorismus zu befürchten. Im Januar entdeckten die Hightech-Kameras vier mutmaßliche IS-Terroristen, die vom Irak in das Königreich eindringen wollten. Ein saudisches Kommando stellte sie, angeführt von General Oudah al-Belawi, Kommandeur der Grenzsicherung zum Irak. Alle Angreifer starben, doch einer riss mit seiner Sprengstoffweste den saudischen Offizier mit in den Tod.