Wenn die Sprache dem Sound-Design zum Opfer fällt
Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten müssen sich immer wieder Kritik wegen schlechter Sprachverständlichkeit gefallen lassen. Viele Zuschauer verstehen längst nicht alles, vor allem wenn genuschelt oder sehr schnell gesprochen wird. Werden dann noch laute Musik und anderen Geräusche unterlegt, ist selbst der berühmte Bahnhof vielfach nicht mehr zu verstehen.
Wege zu verständlicherem Ton
Gemeinsam mit dem Messgerätehersteller RTW entwickelt das Fraunhofer IDMT im Forschungsprojekt „SI4B“ (Sprachverständlichkeitskontrolle für Rundfunk) ein Analysetool für Toningenieure, mit dem die Sprachverständlichkeit kontinuierlich überwacht wird. Drei Qualitätsstufen – perfekt, akzeptabel oder inakzeptabel – sind vorgesehen. So könnte der subjektive Faktor verschwinden, denn wer bei der Mischung eine Szene 20- oder 30-mal gehört hat, dürfte mit der Spracherkennung keine Probleme haben.
Auch das Institut für Rundfunktechnik (IRT) beschäftigt sich im Rahmen eines EU-Projekts mit der Sprachverständlichkeit durch Schwerhörige und sucht mit HBB4ALL für alle Bürger einen barrierefreien Zugang über den HbbTV-Standard (Hybrid Broadcast Broadband TV) zu allen Medien. Mit dem Clean-Audio-Service will das IRT selbst nach der Mischung noch eine zusätzliche Clean-Audio-Version mit besserer Sprachverständlichkeit möglich machen, die dann in einer Mediathek angeboten werden könnte.
Der Trend geht zweifellos in Richtung „objektbasiertes Audio“. Dabei wird in der simpelsten Form die Sprache separat übertragen. In den Endgeräten kann jeder den Pegel entsprechend einstellen, filtern und so bedarfsgerecht anpassen, also auch ‚helle Sprache‘ wählen. Dann ließe sich die Sprache für das individuelle Hörvermögen optimal einstellen.
Inzwischen gibt es von LG erste Fernsehgeräte mit einem sogenannten MPEG-H-TV-Audio-System. Damit wäre ein personalisierter Sound im Wohnzimmer möglich – sofern die Sendeanstalten diese Technik unterstützen. Derzeit passiert das nur in Südkorea. büc
Besonders nach „Tatort“ und „Polizeiruf“ kommt es zu Beschwerden. So auch nach dem Tatort „Dunkelfeld“, den der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) am 11. Dezember vergangenen Jahres ausstrahlte. „Uns haben bezüglich der Tonmischung sehr viele kritische Reaktionen erreicht“, erklärte die Serviceredaktion des Senders.
Dabei ist die Tonmischung kein Hexenwerk, das weiß auch der rbb. „Unsere Techniker sind professionell ausgebildete Mitarbeiter und jede Sendung geht durch eine technische Kontrolle, bevor sie gesendet wird.“ Und weiter: „Das Problem ist, dass diese hochwertigen Produktionen in ebenso hochwertigen Technikräumen gemischt und auch technisch abgenommen werden. Diese Tonqualität kann man zu Hause auf den ganz normalen TV-Geräten meist gar nicht erreichen.“
Das aber sieht Uwe Krämer von der ARD/ZDF-Medienakademie ganz anders und rät seinen Kollegen in den Sendern, „am Schluss der Produktion alles über herkömmliche Consumer-Anlagen zu kontrollieren“. Selbst in den „Technischen Produktionsrichtlinien 2016 für ARD, ZDF und ORF“ wird empfohlen, die Mischung in typischen Konsumentensituationen abzuhören bzw. zu überprüfen. Auch sollten junge Toningenieure es mit Alterssimulation versuchen und erleben, „wie es 50-, 60- oder 70-Jährigen in den Ohren klingt“, schlägt Krämer vor.
Zum modernen Sound-Design von Tatort, Polizeiruf & Co. gehört es, viele Szenen mit Musik und diversen Geräuscheffekten zu unterlegen. In den Technischen Produktionsrichtlinien heißt es dazu: „Das Mischungsverhältnis muss immer zugunsten der Sprachverständlichkeit gewählt werden.“ Schließlich ist es ein bunter Strauß verschiedener Ursachen, die die Sprachverständlichkeit beeinträchtigen. Das beginnt mit dem Drehbuch, der Auswahl der Drehorte, örtlichen Einflüssen und Hintergrundgeräuschen, der Aussprache von Schauspielern und technischen Randbedingungen bei der Aufnahme.
Denn da könne so allerlei passieren, erläuterte Hannah Baumgartner vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) während der Tonmeistertagung Ende vergangenen Jahres in Köln. Wichtige Punkte seien u. a. das richtige Mikrofonieren, also Auswahl und Einsatz der Mikrofone und deren Ton- und Pegeleinstellung. Dabei seien Stör- und Übertragungsgeräusche zu vermeiden. Doch die ökonomischen Bedingungen bewirken ein Übriges – Drehzeiten werden kürzer und neues Equipment bleibt auf den Wunschlisten.
Die Lautheit ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Geräusche, Schüsse, Beifall – nicht selten übertrieben laut gemacht – lenken bisweilen von der Sprache ab und führen laut Baumgartner zu einer „Aufmerksamkeitsverschiebung“.
Mit einer nicht minder komplexen Übertragungstechnik wird das Signal zum Empfänger geschickt. Auch da kann mitunter etwas schieflaufen. So wurden in der TV-Verbreitung via Kabel bestimmte Frequenzbereiche des Tons zu stark gedämpft. Erst kurz nach der Tonmeistertagung wurden die entsprechenden Einstellungen für den optimalen Frequenzgang geändert.
Doch auch die Heimlautsprecher – entweder in den Flachbildschirmen oder als separate Lösungen – können ebenso wie ungünstige Raumakustik oder störende Hintergrundgeräusche die Sprachverständlichkeit verschlechtern. Es ist da die Rede von einem zu geringen Signal-rauschabstand. Der Zuschauer selbst hat ebenfalls Einfluss auf die Textverständlichkeit: mangelnde Konzentration, geringes Sprachverständnis und zunehmender Hörverlust, eben die „altersbedingte Hörminderung“, spielen eine Rolle. Laut Baumgartner sind ca. 25 % der 50- bis 60-Jährigen, bis zu 50 % der 60- bis 70-Jährigen und über 60 % der über 70-Jährigen schwerhörig. Der durchschnittliche ARD- und ZDF-Zuschauer sei rund 60 Jahre alt, bei den Dritten Programmen sogar 65 – so die Fraunhofer-Wissenschaftlerin.
Eine altersbedingte Schwerhörigkeit ist irreversibel, Hörgeräte sind zweifellos die erste Wahl. Auch Techniken wie zusätzliche Lautsprecher, Soundbars, Heimkinoanlagen, Kopfhörer, Lippenlesen und Untertitel können helfen, beim Krimi besser die Guten von den Bösen zu unterscheiden.
„Wer aber nicht optimal hört und auch keine Hörhilfen tragen will, klagt schon mal schnell über Sprachunverständlichkeit“, erklärt Theresa Liebl vom Institut für Rundfunktechnik (IRT) in München. Zudem ist die Audio-Elektronik in den Flachbildschirmen ab Werk oft falsch eingestellt, gebe – so Krämer – ein „verkehrtes“ Stereosignal wieder. Und die Lautsprecher vieler TV-Geräte strahlen gegen die Wand, an der sie hängen. Erst der reflektierte Schall kommt zum Zuschauer, für Akustiker ein total falscher Ansatz.
Dabei haben ARD und ZDF das Problem schon seit Jahren im Blick. Filmschaffenden sollen die Broschüre „Sprachverständlichkeit im Fernsehen“ und die bereits erwähnten „Technischen Produktionsrichtlinien 2016“ helfen. Darin heißt es: „Die Verständlichkeit des gesprochenen Wortes soll in der gesamten Produktionskette stets Vorrang vor der dramaturgischen Gestaltung mit Musik oder durch hohe Dynamiken eingeräumt werden. Eine gute Sprachverständlichkeit erleichtert den barrierefreien Zugang für Menschen mit Hörschädigungen.“
Auch zu den Produktionsverfahren hält die Richtlinie wichtige Vorgaben parat – so wird eine Produktion in Mehrkanaltechnik, also 5.1 oder 3.0, empfohlen, „da sie die Optimierung der individuellen Abhörbedingungen beim Konsumenten durch einen separaten Sprachkanal ermöglicht“. Nun ist das Standardverfahren für die Medienproduktion und -verbreitung noch immer die zweikanalige Stereofonie. Der Mehrkanalton gilt als optional und sollte genutzt werden, wenn der Einsatz von Center- und Surroundkanälen sinnvoll ist, so bei Spielfilmen und Dokumentationen. Was aber die jeweilige Signalverarbeitung in der Heimelektronik daraus macht, ist eine ganz andere Frage.
Sprachverständlichkeit ist zudem kein nationales Problem. Die BBC hat sich bereits in den 1970er-Jahren entsprechende Kritik gefallen lassen müssen und bei Produktionen wie „Jamaica Inn“ oder „Happy Valley“ muss sie es auch heute noch. Übrigens: Selbst bei der Wiedergabe von Spielfilmen auf DVDs bzw. Blu-rays gibt es Probleme mit der Sprachverständlichkeit. Auch da ist die Sprache manchmal zu leise, Musik und Effekte sind zu laut.
Da klingt es beinahe tröstlich, wenn die Serviceredaktion zur Tatort-Beanstandung abschließend schreibt: „Wir haben Ihre Kritik verstanden und hoffen sehr, dass Sie uns und dem Tatort aus Berlin eine zweite Chance geben.“ Und die sollten die Krimi-Macher schon bekommen. Hauptsache, sie nutzen sie. Sonst müssten alle Zuschauer in die „hochwertigen Technikräume“ gehen und sich dort Tatort & Co. ansehen – und anhören.