Atomkraft: Europas erster EPR-Reaktor gestartet
Gut ein Dutzend Jahre später als ursprünglich beabsichtigt ist im finnischen Kernkraftwerk der Reaktor Olkiluoto 3 (kurz OL3) am Dienstag, nachts um 3:22 Uhr, zum ersten Mal kritisch geworden. OL3 ist mit dem Reaktor im französischen Flamanville der erste, der in Europa das Konzept des als hochsicher geltenden EPR (European Pressurised Water Reactor) umsetzen soll.
Es hat lang gedauert: von den ersten Ansätzen im Jahr 1989, als die französische Framatome und die Nuklearsparte des deutschen Industriekonzerns Siemens begannen, einen hochsicheren Druckwasserreaktor der dritten Generation zu entwickeln; über den Baubeginn am 12. August 2005 im finnischen Kernkraftwerkskomplex Olkiluoto bis hin zum gestrigen Start, der „ersten Kritikalität“, wie es in Fachkreisen heißt. Der Reaktor läuft seit gestern, dem 21. 12. 2021, 3:22 Uhr, das ist rund zwölf Jahre später als geplant. 2009 war ursprünglich mal angedacht.
Ab Ende Januar 2022 soll OL3, so die Kurzbezeichnung für den Kraftwerksblock, Elektrizität zur kommerziellen Stromversorgung ins finnische Netz einspeisen. Dann erreicht die Stromerzeugung etwa 30 % der Volllast. Der Betreibergesellschaft Teollisuuden Voima Oyj (TVO) zufolge soll die Volllast im Juni erreicht werden, dann lassen sich mit dem neuen Kraftwerk nach Unternehmensangaben rund 14 % des finnischen Strombedarfs decken. Es ist die erste Inbetriebnahme eines neuen Kernkraftwerks in Finnland innerhalb von 40 Jahren. Die Nordeuropäer planen, dass Kernkraft Teil ihres zukünftigen Stromerzeugungsmix sein wird.
EPR: Reaktordesign, getrieben von Sicherheitsfragen
Technisch-inhaltlich wurde das EPR-Konzept getrieben von einer Empfehlung der deutschen Reaktorsicherheitskommission aus den 1990er-Jahren für einen gemeinsamen deutsch-französischen Druckwasserreaktor, den man zuerst European Pressurised Water Reactor (EPR) benannte. Die Besonderheit ist eine spezielle Absicherung bei der Beherrschung von Kernschmelzunfällen, die es bei den Kernkraftwerken der sogenannten 2. Generation so noch nicht gab, der sogenannte Core Catcher.
Um eine Kernschmelze komplett zu beherrschen, soll dieser Sicherheitsbehälter das sogenannte Corium, den geschmolzenen Kernbrennstoff, sicher auffangen können, sodass es nicht in die Umgebung gelangen kann. Ansonsten ist es möglich, dass das Corium durch die Fundamentplatte des Reaktorgebäudes nach außen tritt und so die Umwelt, zum Beispiel das Grundwasser, verunreinigen kann. Ein Beispiel dafür sind die Reaktorunfälle im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi.
Neue Kernkraftwerke in Europa: zäher Weg, steigende Kosten, technische Probleme
Als Finnlands Parlament sich 2002 entschloss, das neue Kernkraftwerk OL3 zu errichten, war es die erste Entscheidung dieser Art in Europa für einen Reaktorneubau seit gut einem Jahrzehnt. Etwas später folgte Frankreich, der EPR dort entsteht am Kraftwerksstandort in Flamanville. An beiden Standorten kam es immer wieder zu baubedingten und auch technischen Verzögerungen. Die Franzosen begannen 2007, jetzt ist die kommerzielle Stromerzeugung mit dem EPR dort für 2024 geplant. In Großbritannien sollen zwei EPR gebaut werden, im Kraftwerk Hinkley Point. Die erste Inbetriebnahme aber erfolgte 2018 bereits in China. Dort ging der erste EPR weltweit am 29. Juni 2018 in Taishan ans Netz, 2019 folgte ein zweiter Block.
Technisch entwickelt hat den EPR Framatome als 1600-MW-Blöcke, Siemens lieferte Turbinen und Generatoren. Speziell in Finnland unterzeichneten die beiden Unternehmen mit TVO einen Festpreisvertrag über 3,2 Mrd. € für ein schlüsselfertiges Kraftwerk. Durch die Verzögerungen lieferten sich Technologielieferanten und Betreiber teils über Jahre Gerichtsverfahren über Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe.