Energiepolitik
14. Apr 2023
Von Stephan W. Eder
Lesezeit: ca. 6 Minuten
Aus für Atomstrom in Deutschland
Mit dem 15. April 2023 endet – gesetzlich verankert – die zivile Strombereitstellung aus Kernkraftwerken in Deutschland. Ein Rückblick unseres Energieredakteurs Stephan W. Eder.
Am 15. April endet die Laufzeit der letzten sich in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke in Deutschland. Der Satz ist einfach hingeschrieben, wer aber gedacht hätte „Das ist es jetzt gewesen“, der irrt. Warum auch? Eine Technologie, die dieses Land entzweit(e) wie kaum eine andere; eine jahrzehntelange Protestbewegung, die eine eigene Partei quasi mit hervorbrachte (Bündnis 90/Die Grünen) – heute Regierungspartei; und eine weltpolitische Lage, die gerade so gar nicht nach Entspannung aussieht.
Dabei hätte es doch auch anders aussehen können: „Wenn es gut läuft, gibt es noch ein paar freundliche Worte über den rot-grünen Atomkonsens von 2000 und einen Rückblick auf ferne Zeiten, als Menschen auf die Urkraft des Atoms hofften, Umweltverbände und Bürgerinitiativen werden stolz auf den jahrzehntelangen Kampf verweisen sowie auf die strahlenden Altlasten, die noch einmal beweisen, wie berechtigt das eigene Anliegen war“, schreibt der Wissenschaftshistoriker Frank Uekötter in seinem aktuellen Buch „Atomare Demokratie“ (Steiner Verlag) in sein Resümee. Das Buch erschien letztes Jahr, seitdem lief es nicht gut in Sachen Atomausstieg: Die Begleitmusik ist aktuell deutlich dramatischer.
Zum Beispiel der „Deutschlandtrend“ vom 14. April 2023, eine repräsentative Umfrage des ARD: „Eine Mehrheit der Deutschen steht dem am Samstag geplanten Atomausstieg laut Umfragen kritisch gegenüber. Deutlich mehr als die Hälfte (59 %) hält die Entscheidung der Politik für falsch, lediglich rund ein Drittel (34 %) für richtig“, meldet die dpa. Woher kommt diese Stimmung in einer Gesellschaft, die jahrzehntelang mit dem Ausstieg aus der Nutzung dieser Technologie gerungen hat. Stimmt also der Ausstieg? Oder stimmt er doch nicht? Hier finden Sie einige Aspekte für Ihre eigene Meinungsbildung.
Der Ausstieg aus dem Atomstrom hat in der Breite längst stattgefunden
„Trotz aller Aufregung in den sozialen Netzwerken wird die von langer Hand geplante Abschaltung der Kernkraftwerke auf unser Energiesystem keine gravierenden Auswirkungen haben, da die Kernkraft in Deutschland im Jahr 2022 nur noch einen Anteil von circa 6 % an der Stromerzeugung hatte und ihre installierte Leistung nur noch bei 4 GW lag“, schrieb am 14. April der VDI (Verein deutscher Ingenieure) [Anm. d. Redaktion: Der VDI ist Eigner des VDI Verlags, in dem die VDI nachrichten erscheinen]. Eine sachliche Beschreibung, Aufregung sieht anders aus. Ist das angebracht? Ja, denn der größte Teil des Ausstiegs ist längst vollzogen – in mehr als 20 Jahren seit dem ersten Ausstiegsgesetz unter der Bundesregierung Gerhard Schröder.
Blick von der Freiluftschaltanlage auf das Institutsgebäude des ersten Kernkraftwerks der DDR bei Rheinsberg am 6. Mai 1966. Das Kernkraftwerk ist mit einem Druckwasserreaktor ausgerüstet, der mit leicht angereichertem Uran als Brennstoff arbeitet. Die hier erzeugte Elektroenergie reicht aus, um etwa eine Stadt wie Leipzig mit Strom zu versorgen.
Foto: picture-alliance/ dpa
Blick auf den Reaktor des Kernkraftwerks Rheinsberg, des ersten KKW der DDR, am 6. Mai 1966.
Foto: picture-alliance/ dpa
Beginn der Anti-AKW-Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Ostern 1975 fand in Wyhl am Kaiserstuhl (Oberrhein) eine Demonstration gegen den später gescheiterten Bau des Kernkraftwerks Süd (KWS) statt, u. a. mit einem Holzschild: „Kein KKW in Wyhl und auch nicht anderswo“. Auf einem Transparent steht: „Zukünftige Generationen klagen an!“
Foto: imago images/Eckhard Stengel
Außenansicht des Kernkraftwerks Gundremmingen vom 14. Dezember 1978. Das KKW war mit 237 MW elektrischer Leistung das erste größere Kernkraftwerk, das in der BRD Strom erzeugte. Block A nahm Ende 1966 den kommerziellen Betrieb auf, das KKW Lingen folgte ein Jahr später.
Blick auf die Baustelle der atomaren Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) Wackersdorf im April 1989, kurz vor dem offiziellen Baustopp. Wenige Wochen nach dieser Aufnahme wurden im Mai 1989 die Bauarbeiten eingestellt, der jahrelange Protest gegen die WAA war erfolgreich.
Foto: imago images/Wolfgang Maria Weber
Blick auf das Gelände des Schnellen Brüters in Kalkar am Niederrhein im April 1994. Das Kraftwerk ging nie in Betrieb, heute befindet sich auf dem Gelände ein Freizeitpark.
Die stillgelegten Reaktoren 1 bis 5 im Kernkraftwerk Lubmin bei Greifswald auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1997. Damals bereitete man bereits den Rückbau vor. Der sollte unter anderem durch fernbediente Roboter erfolgen, geprobt wurde an den nie in Betrieb gegangenen Reaktoren 7 und 8. Im Bild die Ansicht der Reaktoren 5/6 (li. hinten) und der Reaktorblöcke 3/4 (re. daneben).
Foto: imago images/Jens Koehler
Wiese, nichts als Wiese ist das Ziel: Nichts soll mehr an das Versuchskernkraftwerk (VAK) Kahl im unterfränkischen Karlstein (Kreis Aschaffenburg) erinnern, das 1960 in Betrieb genommen wurde (aufgenommen am 2. Juli 2001). Von Mitte 1961 an speiste die Anlage Strom ins Netz – als Kraftwerk, in dem Techniken ausprobiert und verfeinert wurden. Strom produziert die Anlage an der bayerisch-hessischen Grenze seit Ende 1985 nicht mehr. Seine technische Vorreiterfunktion aber hat das Kraftwerk behalten. Nun geht das erste in Deutschland gebaute und in Betrieb genommene Kernkraftwerk seinen Nachfolgern auch beim Rückbau voran. Bis 2005 sollte das Atomkraftwerk abgebaut sein, heute ist dort im Fachdeutsch wie geplant „grüne Wiese“.
Rückbau des KKW Greifswald 2013. Das Foto zeigt die Dekontaminierung von radioaktiv belasteten Teilen aus dem ehemaligen Kernkraftwerk Greifswald durch die Energiewerke Nord GmbH im mecklenburgischen Lubmin. Im Bild reinigt ein Arbeiter ein bereits dekontaminiertes Bauteil mit einem Dampfreiniger.
Foto: imago images/photothek/Thomas Trutschel
Die Leitwarte des stillgelegten Kernkraftwerks in Rheinsberg (Brandenburg), aufgenommen am 2. Juli 2015. Bis 2025 ist der Rückbau der Anlage geplant.
Foto: dpa picture alliance / Bernd Settnik
Blick am Mittwoch, 31. August 2022, auf die Gebäude des ehemaligen KKW Greifswald in Lubmin. Das Kraftwerk wurde ab 1974 in Betrieb genommen und nach der Wende abgeschaltet. Beim Rückbau ist geplant, auch die Gebäudeteile vollständig abzureißen.
Ein Blick in die Geschichte lohnt sich. Folgender Passus stammt aus dem Jahr 2011: „Das Abschalten der sieben Kraftwerke wird die Energieversorgung nicht beeinträchtigen. Deutschland hat in den vergangenen Jahren sehr viel mehr Strom produziert, als im eigenen Land benötigt wurde. Große Mengen Strom wurden exportiert. Darüber hinaus bestehen erhebliche Leistungsreserven, die mehr als doppelt so hoch sind wie die Gesamtleistung der jetzt vom Netz gehenden Kernkraftwerke. Selbst bei einem stundenweisen Spitzenbedarf reicht die nationale Kraftwerkskapazität zur Versorgung aus. Um erneuerbare Energien verstärkt nutzen zu können, müssen vor allem die Stromnetze schneller ausgebaut werden. Dafür werden sich Bund und Länder verstärkt einsetzen. Die Bundesregierung hat im Energiekonzept 2050 bereits vor einiger Zeit Investitionen in Milliardenhöhe für eine bessere Infrastruktur beschlossen.“
Damals an der Regierung: das Kabinett Merkel II, bestehend aus CDU/CSU und FDP. Es ist die Folge der Reaktorkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. Diese schien damals der Gesellschaft und auch der Physikerin und Bundeskanzlerin genügend Argumente zu liefern für eine – damals in der Form politisch nicht geplante – schnelle Abschaltung von sieben Reaktoren.
Wie steht es um die Sicherheit der Stromversorgung trotz des Atomausstiegs?
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