Ausbau der Windkraft: „Sorgen macht uns der Süden“
Die Talsohle beim Windkraftausbau in Deutschland ist durchschritten, berichteten heute der VDMA-Fachverband Powersystems und der Bundesverband Windenergie (BWE). 240 Windräder mit zusammen 971 MW Nennleistung seien im ersten Halbjahr 2021 errichtet worden. Sorgen machen die Bürokratie und die regional ungleiche Verteilung.
Wie jedes Jahr hatte die Deutsche Windguard das Zahlenwerk zum „Status des Windenergieausbaus an Land in Deutschland“ ausgearbeitet, das die Branchenverbände BWE (Bundesverband Windenergie) und der VDMA Power Systems heute vorlegten. Von Januar bis Juni 2021 gingen deutschlandweit 240 Anlagen mit 971 MW Nennleistung ans Netz – 62 % mehr als im Vorjahreszeitraum. „Die Talsohle ist durchschritten“, war BWE-Präsident Hermann Albers erleichtert. Durch das Stilllegen von Altanlagen (Repowering) liege der Nettozubau allerdings bei 830 MW, wie er betonte. Das gelte es bei zukünftigen Zubauszenarien zu berücksichtigen.
Denn das Niveau reicht aus Sicht der Branche nicht aus, um Klimaziele erreichen zu können. Für 2021, schätzen die Verbände, gebe es einen Gesamtzubau von 2200 MW bis 2400 MW – vorausgesetzt, die Lieferketten funktionierten reibungsfrei und die Errichtung ebenso. Laut Matthias Zelinger, Geschäftsführer VDMA Power Systems, ist aber eine Erhöhung der jährlichen Brutto-Ausbauziele auf mindestens 5000 MW nötig. Besser noch, die neue Bundesregierung stelle nach Amtsantritt schnell die Weichen Richtung 6000 MW pro Jahr. Das preise nach seinen Angaben dann Effekte ein wie das neue deutsche Klimaschutzgesetz (65 % CO2-Minderung in Deutschland bis 2030), die jüngst erst erfolgte Anpassung der Stromverbrauchsprognose durch das Bundeswirtschaftsministerium und die noch zu erfolgende Einpreisung des EU-Klimaschutzpakets, des Green Deal.
Windkraft wie immer – stark im Norden, schwach im Süden
Klar ist, dass sich Windenergie in Norddeutschland leichter nutzen lässt als im Süden Deutschlands. Von daher gibt es traditionell ein Nord-Süd-Gefälle, was Anlagenzubau und Stromerzeugung angeht. Aber auch politisch bleibe einiges zu tun, auch wenn Baden-Württemberg mit Platz fünf beim Zubau im ersten Halbjahr 2021 mit 85 MW brutto für 9 % des Zubaus stehe, machten die Verbände deutlich.
„Sorgen macht uns der Süden“, sagte Albers. Nicht nur die Strombilanz – also der Saldo von Erzeugung und Verbrauch – sieht er kritisch, er ist besorgt auch mit Blick auf die starke Industrialisierung in Bayern und Baden-Württemberg: „Im verbrauchsstarken Süden haben im ersten Halbjahr nur 18 % des Zubaus stattgefunden. Das ist nicht ausreichend.“ Albers forderte, 2 % der Landesfläche für die Windkraftnutzung auszuweisen. Beide Bundesländer müssten mehr Flächen bereitstellen. Denn in diesen Regionen steige die Nachfrage nach erneuerbaren Energien stark an. Albers verwies auf Pläne von Autoherstellern wie Daimler, stärker auf die Elektromobilität zu setzen.
Die Landesregierungen in München und in Stuttgart würden sich klarmachen müssen, „dass der Netzausbau noch dauert, dass die Nachfrage bei ihnen hoch ist und im Übrigen immer noch das Thema Aufteilung in Strompreiszonen in Brüssel diskutiert wird“, erläutert VDMA-Branchenexperte Zelinger. Allein mit der Photovoltaik werde man die Energiewende im Süden „nicht wuppen“ können. „Wenn in Bayern die 10h-Regel bleibt, dann wirds halt nix werden“, nahm er Bezug auf die Abstandsregel für den Neubau von Windkraftanlagen im Freistaat, der unter dem Namen 10h-Regelung bekannt ist.
Bürokratie hemmt Windkraftausbau weiterhin
Die Branchenverbände wiesen beide darauf hin, dass immer noch eine Vielzahl von bürokratischen Hemmnissen auftauche, manche sogar neu. Durch „mangelnde verbindliche Flächenausweisungen, unsäglich verkomplizierte Genehmigungsprozesse und den ungeklärten Artenschutzkonflikt“ werde der Windkraftausbau weiterhin gebremst. Hinzu komme das Thema Schwertransport: „Derzeit ist es aufgrund der Verfahrensdauer und Kleinteiligkeit bei der Planung zum Teil kaum möglich, Transportkosten und Genehmigungszeiträume für Projekte in Deutschland mit ausreichend Vorlauf verlässlich zu kalkulieren“, heißt es seitens der Verbände.
Darüber hinaus hingen selbst einfache Sachverhalte fest. Als ein Beispiel führten sie die Umsetzung der bedarfsgerechten Nachtkennzeichnung (BNK) zur Vermeidung von Lichtemissionen durch Windenergieanlagen an. Windkraftanlagen sind nachts beleuchtet, vor allem um den Flugverkehr zu warnen. Üblicherweise die ganze Nacht. Um diese Belastung für die Natur und die Anwohner zu minimieren, sollen Kennzeichnungen eingeführt werden, die nur noch dann blinken, wenn sich ein Flugzeug nähert. „Heterogene Verfahren der Bundesländer, überbordender Prüfungsaufwand, administrative Hürden und unzureichend ausgerüstete Behörden erschweren die Prozesse“, so die Verbände. Eine bundesweit einheitliche und einfache Baumusterprüfung sowie einheitliche Genehmigungsverfahren in den Bundesländern seien unumgänglich.