INFRASTRUKTUR 15. Mrz 2018 Wolfgang Heumer Lesezeit: ca. 3 Minuten

Ausbaustau auf dem Wasser

Die Binnenschifffahrt auf deutschen Flüssen und Kanälen steckt im Investitionsstau. Nicht aus Geldmangel – es fehlen mindestens 500 Ingenieure.

Freie Fahrt auf Deutschlands Wasserstraßen ist aktuell häufig nicht möglich. Alte Schleusen bremsen die Binnenschiffer aus und für Erneuerung.
Foto: panthermedia.net/Stefan Kriegel

An Deutschlands Wasserstraßen nagt der Zahn der Zeit. Im Kernnetz von Rhein, Neckar und im Ruhrgebiet muss in den kommenden 20 Jahren über die Hälfte der insgesamt 170 Schleusen komplett neugebaut werden. Dieser Überzeugung ist der Bundesverbandes der deutschen Binnenschifffahrt. Weitere Arbeit wartet an den Wehren, Uferböschungen, Spundwänden entlang des insgesamt 7300 km langen Netzes von schiffbaren Flüssen und Kanälen – ganz zu schweigen den Arbeiten für den Unterhalt der Infrastruktur.

Doch die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) des Bundesverkehrsministeriums und ihre 39 Wasser- und Schifffahrtsämter können die anfallende Arbeit kaum noch bewältigen. „Das Nadelöhr sind nicht die Finanzen, sondern die Planungskapazitäten“, sagt Hermann Poppen, der in der GWDS das Management der Wasserstraßen verantwortet. „Uns fehlen 500 Ingenieure – mindestens.“

Seit Jahren gelten die Wasserstraßen als Hoffnungsträger für die Warenströme quer durch Deutschland. „Während der Güterverkehr auf der Straße vor dem Kollaps steht und die Bahn vielerorts am Limit fährt, haben wir z. B. mit dem Rhein einen leistungsfähigen Verkehrsträger direkt vor unserer Haustüre, den wir bislang viel zu wenig nutzen“, zitiert die IHK Köln ihren Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik Ulrich S. Soénius in einer Kammerpublikation.

Tatsächlich wurden 2015 zwar 3,6 Mrd. t Fracht auf den Straßen, aber nur 221 Mio. t auf den Wasserwegen befördert. Dass Flüsse und Kanäle nicht so genutzt werden, wie es sinnvoll wäre, scheitert aber nicht nur am Wollen: Selbst auf dem viel befahrenen Rhein gibt es immer noch Engpässe wie zwischen Mainz und St. Goar. Dort ist die Fahrrinnentiefe mit 1,90 m um 20 cm flacher als in den Nachbarabschnitten, das beschränkt die Ladungskapazität für alle durchfahrenden Motorschiffe.

Im aktuellen Bundesverkehrswegeplan hat die bisherige Bundesregierung darauf reagiert und den Ausgabeansatz für Wasserstraßen gegenüber dem alten Plan verdoppelt. 24,5 Mrd. € können demnach bis 2030 in Flüsse und Kanäle einschließlich Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals (S. 22) und Fahrrinnenvertiefung auf Außenweser- und Elbe investiert werden. Davon sind bereits 1,45 Mrd. € fest vergeben und weitere 6,93 Mrd. € für die nächsten Jahre verplant.

Kapazitätserweiterungen wie der Ausbau des Rhein-Herne- oder des Wesel-Datteln-Kanals und die Fahrrinnenanpassung im Mittelrhein machen dabei nur gut ein Drittel des verplanten Volumens aus, während rund 5 Mrd. € in den reinen Erhalt und die Erneuerung der alten Infrastruktur fließen werden. „In manchen Bereichen werden wir aber Schwierigkeiten haben, die Mittel völlig zu verausgaben“, meint Poppen. Wenn 80 % der Gelder ausgegeben werden können, gilt das in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) schon als gut.

Dass es heute in den Wasser- und Schifffahrtsämtern an qualifizierten Ingenieuren mangelt, reicht bis in die 1990er-Jahre zurück. Damals setzten Haushaltspolitiker den Rotstift an – im Zuge einer kostensenkenden Umstrukturierung der Bundesbehörde und ihren Niederlassungen in den Bundesländern wurden rund 5600 Stellen und Planstellen der WSV gestrichen.

Heute möchte die Verwaltung sie zumindest projektbezogen schnellstmöglich wieder besetzen. „Wir suchen Bauingenieure, Stahl- und Wasserbauer, Maschinenbauer, Elektroingenieure und Experten im Bereich Nachrichtentechnik“, zählt Poppen auf – letztere werden immer wichtiger, weil Wehre, Signalanlagen und sogar Schleusen nicht mehr vor Ort sondern aus der Ferne bedient werden.

All diese Experten werden auch in der boomenden Bauwirtschaft gebraucht. Wenn die öffentliche Verwaltung nur mit befristeten Stellen gegen die Angebote der Industrie antreten kann, hat sie häufig das Nachsehen. Notwendige Instandsetzungs- und Ersatzmaßnahmen kommen laut Poppen auch deshalb nur langsam voran, weil die Vergabeverfahren komplizierter geworden sind. Der Zeitbedarf für die notwendige Rechtssicherheit, eine geringere Zahl von interessierten Baufirmen und die ohnehin große Nachfrage im Bausektor summieren sich dann. Leidtragende des Systems sind nicht nur die Binnenschiffer, die ihre Fahrpläne immer seltener einhalten können, sondern auch deren Kunden. „Für bestimmte Branchen wie die chemische Industrie ist das Binnenschiff unverzichtbar“, weiß Poppen. Der Chemiepark Marl beispielsweise ist zwingend auf den Wasserweg angewiesen, weil nur über Bahn und Straße die Transporte nicht geleistet werden können. Für den Chemikalientransport sind Spezialschiffe erforderlich.

Genau an solchen Stellen potenzieren sich die Probleme. Die Binnenschiffer fahren in engen Zeitplänen. Kommt es zu Verzögerungen durch Störungen irgendwo auf der Strecke, bleiben Verspätungen nicht die einzigen Folgen: „Es gibt nur eine begrenzte Zahl dieser Spezialschiffe“, erläutert der GWDS-Experte, „Verspätungen setzen sich dann bei den nächsten Transporten fort.“ Um solche Verzögerungen zu vermeiden, müssten eigentlich zusätzliche Schiffe eingesetzt werden. Für die sei aber, gemessen an der rein rechnerisch erforderlichen Kapazität, gar kein Bedarf da.

Gelegentlich staut sich der Ärger bei den Binnenschiffern und entlädt sich in Form eines bösen Briefes auf dem Schreibtisch von Hermann Poppen. Der nimmt es fast gelassen: „Wir halten eine gute Verbindung zu unserer Kundschaft“, sagt er, „und ich habe durchaus Verständnis für die Verärgerung.“ In seiner Stimme schwingt etwas Fatalismus mit – wann sich die Situation wirklich verbessern wird, sei noch nicht abzusehen. kur

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