Deutsche Industrie braucht sehr schnell genügend Wasserstoff
In Deutschland und den Niederlanden entstehen die ersten Teile des neuen Wasserstoffnetzes. Womöglich zu langsam und zu spät, wie ein Blick in die Praxis zeigt.
An der Problemanalyse wird es nicht gelegen haben. Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnet Wasserstoff als „zentrales Gas für die industrielle Nutzung der Zukunft“, VDE-Präsident Alf Henryk Wulf spricht vom „fehlenden Puzzleteil der Energiewende“. Seit dem vergangenen Herbst gibt es einen Gesetzentwurf für ein Wasserstoffstartnetz und auch die Normung schreitet voran. „Der Wasserstoffzug ist gut ins Rollen gekommen“, resümiert Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs (DVGW).
Trotzdem rennt Deutschland den eigenen Ansprüchen hinterher; die Belastbarkeit der neuen Netze steht infrage. Das liegt erstens an den verfügbaren Mengen. DVGW-Chef Linke sieht hier einen Aufholbedarf. Langfristig sollen rund 70 % des Wasserstoffs per Schiff importiert werden, so Industrieschätzungen. Aber diese Mengen stehen für den Netzhochlauf in Westeuropa nicht zur Verfügung.
Neben den Pipelines fehlen noch die Großspeicher für Wasserstoff
Zweitens benötigen einige Großverbraucher den Wasserstoff kontinuierlich, allen voran der Stahlkonzern Thyssenkrupp mit seinem Duisburger Hüttenwerk. Eingespeist wird allerdings zu Beginn nur, wenn die Offshore-Windparks in der Nordsee unter Last laufen. Speicher sind nötig, um das volatile Angebot mit dem stetigen Bedarf zu vereinbaren.
Ursprünglich waren Erdgasspeicher wie die in Gronau-Epe und Etzel für die Pufferung eingeplant. Allerdings werden diese seit Beginn des Ukrainekriegs möglicherweise weiterhin für die Erdgasversorgung benötigt. „Da haben wir aktuell größere Bauchschmerzen“, sagt Hennig Weege, Head of Hydrogen and Green Energy bei Thyssenkrupp. Der Stahlkonzern fordert, dass entlang der Nordseeküste zügig neue Kavernenspeicher eingerichtet werden.
Zugleich baut die Zulieferindustrie für die Wasserstofftechnik Fertigungskapazitäten auf. „Der Markt nimmt schnell Fahrt auf“, sagte Anne-Laure Parrical de Chammard, Vorständin von Siemens Energy, im November 2023 bei der Einweihung der Elektrolyseurproduktion in Berlin. Bis 2030 sollen rund 20 GW produziert werden können – glatt das Doppelte von dem, was Länder wie Deutschland oder Großbritannien als Installationsziel für 2030 in ihre nationalen Wasserstoffstrategien geschrieben haben.
Deutsche oder europäische Nabelschau beim Wasserstoff ist nicht angesagt
Weltweit stecken die Staaten ihre Claims für eine globale Wasserstoffwirtschaft ab. Allen voran China, das bereits heute mit 610 MW rund die Hälfte der weltweiten Elektrolyseurkapazitäten von 1100 MW stellt. „Es zeichnet sich ein Szenario ab, dass sich Europa erneut in einem wichtigen Feld der Energiewirtschaft den Rang ablaufen lässt“, beobachtet Burkhard Holder, beim VDE zuständig für Zukunftsthemen im Energiesektor. Als Schlüsselfaktoren für einen Erfolg Europas definiert Jorgo Chatzimarkakis, CEO des europäischen Wasserstoffverbandes Hydrogen Europe, gegenüber VDI nachrichten „politische Unterstützung, Technologieneutralität, ausreichende Investitionen, technologische Innovation und die Integration in bestehende Infrastrukturen“.