Die Nacht wird wieder dunkler
Bisher mussten Windturbinen mit einer Gesamthöhe von mehr als 100 m zeitlich unbegrenzt als Hindernis für die Luftfahrt gekennzeichnet werden. Das stete Geblinke nervt viele Anwohner. Ziemlich lange hat die Branche gebraucht, um dem Bundesverkehrsministerium abzuringen, dass auch andere Lösungen möglich und erlaubt sind: Erst wenn ein Flugzeug kommt, schaltet sich das Gefahrfeuer an. Inzwischen gibt es erste Erfahrungen und zertifizierte Systeme.
In den Nachtstunden blinkt von vielen Windkraftanlagen in Deutschland ein rotes Gefahrfeuer – meist zum großen Ärger der Anwohner, die in der Sichtweite solcher Windparks leben. Das hat im Windland Schleswig-Holstein und in weiteren Bundesländern dazu geführt, dass eine Reihe von Kommunen Windturbinen nur noch mit einer Gesamthöhe von maximal 100 m in ihren Flächennutzungsplänen zugelassen haben – obgleich technisch längst mehr möglich ist.
regelt auch für Windkraftanlagen den Einsatz von Hindernisfeuern.
In Anhang 6 stehen die „Systemanforderungen für bedarfsgesteuerte Nachtkennzeichnungen an Windenergieanlagen“ und damit die Möglichkeit, das Hindernisfeuer nicht als Dauerbefeuerung betreiben zu müssen.
Bedarfsgesteuerte Nachtkennzeichnungen (BNK) müssen von der technischen Ausstattung der Luftfahrzeuge unabhängig sein.
Neue Lösungen für dieses nervige Problem lässt seit wenigen Monaten eine überarbeitete Version der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Kennzeichnung von Luftfahrthindernissen (AVV) zu. Danach ist zum ersten Mal bundesweit eine bedarfsgerechte Hinderniskennzeichnung, beispielsweise durch den Einsatz von passiven oder aktiven Radarsystemen, möglich. Diese Systeme erkennen – vereinfacht ausgedrückt –, ob sich ein Flugobjekt dem Windpark nähert. Sie schalten automatisch die Beleuchtung ein und auch wieder aus.
Die Windbranche hatte dafür eigentlich ein Transpondersystem auf dem Wunschzettel, das automatisch die Kennung und Position eines Flugzeuges sendet und auf diesem Weg deutlich günstiger mit einem Windpark kommuniziert hätte. „Allerdings sind mit diesem System nicht alle Flugzeuge ausgerüstet. Daher lässt die AVV nur Radarlösungen zu, die in einem zweistufigen Verfahren von der DFS, der Deutschen Flugsicherung, geprüft und zugelassen werden“, erklärt Thomas Herrholz, Geschäftsführer der Enertrag Systemtechnik, den gefundenen Kompromiss.
MEHRERE 100 000 € FÜR EIN RADARBEFEUERUNGSSYSTEM MÜSSEN DIE WINDPARKBETREIBER EINPLANEN
Die Spezialisten von Enertrag haben ihr Airspex-System gemeinsam mit Cassidian, der Verteidigungs- und Sicherheitsabteilung des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, entwickelt. Sie bieten damit bereits seit mehreren Monaten die erste taugliche, aber rund 750 000 € teure Lösung auf dem Markt an.
„Hinzu kommen jährliche Betriebskosten von 10 000 €, weil die AVV alle sechs Monate eine Wartung inklusive Funktionstest vorschreibt“, so Herrholz. Bei Airspex decken vier Sensoren einen Radius von 360° rund um einen Windpark ab und überwachen den Luftraum in einer Entfernung von bis zu 8 km.
Die Zahl der Anbieter für bedarfsgerechte Hindernisbefeuerungen wächst. Dazu zählt beispielsweise die Dirkshof-Gruppe aus dem Örtchen Reußenköge in Nordfriesland. Sie bietet ein passives Radarsystem an, das aus drei Sensoren besteht und rund 450 000 € kosten soll. „Wir erwarten die DFS-Zulassung im zweiten Quartal 2016“, sagt Vertriebsingenieur Michel Ahrendsen. Erste Systeme hätten die Nordfriesen aber bereits verkauft.
Die Zertifizierungshürde hat der dänische Radarspezialist Terma A/S mit seinem Primärradar seit Anfang März bereits übersprungen und sich für den deutschen Markt gleich zwei Partner gesucht. Einer davon ist der Windturbinenhersteller Nordex. „Wir rüsten damit unsere Anlagen aus und haben bereits Anfragen im zweistelligen Bereich vorliegen“, sagt Florian Kraus, bei Nordex als Produktmanager für die Hinderniskennzeichnung zuständig.
Termas anderer Partner ist der Schnittstellenspezialist Quantec Networks. „Der Charme bei dem dänischen System liegt darin, dass es eine Reichweite von 18 km hat und nur mit einem Sensor auskommt“, sagt Quantec-Geschäftsführer Alexander Gerdes. Das reduziere die Kosten auf etwa 500 000 €. Auch Quantec hat zahlreiche Anfragen vorliegen. „Wir überlegen zudem, die Systeme gegen eine monatliche Gebühr sowie eine Einmalzahlung selbst zu betreiben“, beschreibt Gerdes die jüngsten Pläne.
Auch Nordex-Konkurrent Enercon will das Dauerblinken auf seinen Windturbinen eindämmen. Hatte Deutschlands führende Windschmiede in den vergangenen Jahren viel Geld in eine Transponderlösung investiert, so sind die Ostfriesen mittlerweile auf eine Radarlösung eingeschwenkt. „Unser System, bei dem wir mit Partnern zusammenarbeiten, ist voraussichtlich Ende dieses Jahres zu haben und bietet Schnittstellen für alle anderen bekannten Systeme an“, sagt Felix Rehwald, Unternehmenssprecher von Enercon.
Zudem ist der deutsche Marktführer an einem Demonstrationsprojekt mit der Bremer Firma Lanthan beteiligt, die auf Leuchten und Befeuerungssysteme spezialisiert ist. In einem Windpark in Lichtenau bei Paderborn testet Lanthan ein neues Befeuerungskonzept für Turm und Gondel, bei dem der Abstrahlwinkel der Leuchten horizontal so verändert wird, dass sie von unten deutlich schlechter zu sehen sind.
„Bei unserem System gehen die Lichter nicht aus, sondern es verbleiben allenfalls 10 % der Nennlichtstärke“, sagt Lanthan-Geschäftsführer Olaf Schultz. Der große Vorteil: „Es sind nur wenige Veränderungen an den Leuchten vorzunehmen, was kaum etwas kostet.“
Pech für Schultz, dass die neue, seit vergangenem September gültige AVV das Lanthan-System unberücksichtigt lässt: „Wir müssen nach erfolgreichen Testversuchen auf eine Ausnahmegenehmigung hoffen oder im schlimmsten Fall auf die AVV-Neufassung warten.“
Trotz der neuen AVV gibt es für die Windbranche noch einige Baustellen. „Die AVV ist kein Gesetz, sondern eine Verwaltungsvorschrift, die allerdings Interpretationsspielräume zulässt“, gibt Dietmar Heike zu bedenken. „Die AVV wird von den Genehmigungsbehörden sehr unterschiedlich ausgelegt.“ Für den Bereichsleiter Hinderniskennzeichnungen bei der Bremer Reetec GmbH steht deshalb fest: „Am Ende kommt es darauf an, welche Vorgaben an die Tag- und die Nachtbefeuerung in der Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz stehen. Hier fordern die Behörden in einigen Landkreisen beispielsweise den Einbau zusätzlicher Infrarotfeuer, weil manche Piloten mit Nachtsichtgeräten fliegen.“
FÜR DIE RADARLÖSUNG BRAUCHT ES FREQUENZBÄNDER; JETZT STEHT DEREN FESTE ZUTEILUNG INFRAGE
„Die von der Deutschen Flugsicherung ins Spiel gebrachte Idee mit den zusätzlichen Infrarotfeuern ist nach unseren Informationen im Bundesverkehrsministerium auf keine Gegenliebe gestoßen“, kann der Lippstädter Fachanwalt Oliver Frank Entwarnung geben. Der Verwaltungsjurist ist Sprecher im Arbeitskreis Kennzeichnung unter dem Dach des Bundesverbands Windenergie.
Ein ganz anderes Problem treibt Thomas Herrholz, den Geschäftsführer der Enertrag Systemtechnik, um: „Es gibt wohl Überlegungen bei der Bundesnetzagentur, die für die Primärradarlösungen zugeteilten Frequenzen im sogenannten X-Band nicht dauerhaft zuzuteilen.“
Bei der Bundesnetzagentur und der Deutschen Flugsicherung gäbe es Vorbehalte gegen eine solche Radarlösung, so der Enertrag-Manager. Entschieden sei aber noch nichts. Aber allein die bekannt gewordenen Überlegungen sorgten für eine Verunsicherung, jahrelange Entwicklungsarbeiten seien plötzlich gefährdet. Käme es zum Worst Case, wäre das gleichbedeutend mit einem Entzug der Geschäftsgrundlage.
„Wir sind deshalb in Gesprächen mit der Politik, um darüber zu informieren, welches Problem auf sie zurollt“, sagt Herrholz. Er setzt auf diese Gespräche: „Wir brauchen schnell eine grundsätzliche Regelung. Mit Einzelfallprüfungen ist der Windbranche und den Anwohnern von Windparks nicht geholfen.“
Für Fachanwalt Frank ist noch eine weitere Entwicklung spannend: „Die AVV schreibt Windmüllern gerade keine Verpflichtung vor, eine bedarfsgerechte Hindernisfeuerung zu installieren. Mecklenburg-Vorpommern hat aber als erstes Bundesland aus der Optional- eine Muss-Regelung gemacht, was die Wirtschaftlichkeit gerade kleinerer Projekte bei den bevorstehenden Ausschreibungen gefährden dürfte.“