Die Zukunft heißt Gleichstrom
Micro- und Nanogrids etablieren sich als Experimentierplatz der Leistungselektroniker für die Gleichstromtechnik.
Mehr Silizium, weniger Kupfer und Stahl! Mit diesem aufmunternden Appell eröffnete Rik W. De Doncker in Nürnberg die ICDCM 2017. Die vom US-Verband IEEE gesponserte „International Conference on Direct Current Microgrids“ ist das weltweit wichtigste Forum der Gleichstromvernetzung.
Sie zielt auf die effiziente und flexible Neugestaltung der elektrischen Transport- und Verteilnetze mit ihren dezentralisierten und liberalisierten Einspeisern und Abnehmern im Zeichen der erneuerbaren Energien und der CO2-Neutralität.
Die Agenda der ICDCM Ende Juni verdeutlicht die historische Dynamik der intensiv diskutierten Umstellung des seit 100 Jahren dominierenden Dreh- und Wechselstroms (AC: Alternating Current, Wechselstrom) auf eine leichtere und kompaktere Gleichstromtechnik (DC: Direct Current, gleichstrom). AC ist das universelle Transportmedium der elektrischen Energie. Doch die klobigen 50/60-Hz-Umspanner konsumieren Unmengen an Stahl und Kupfer.
Mikro- und Nanogrids bieten neue Marktchancen
Abhilfe böte die blindleistungsfreie Gleichstromübertragung mit halbleitergesteuerten DC/DC-Wandlern. In Micro- und Nanogrids als lokalen Inseln könnten Erzeuger und Verbraucher ohne Durchgriff der öffentlichen Versorger nach eigenem Gusto schalten und walten.
Der Grundgedanke ist natürlich, dass die meisten Anlagen und Geräte ohnehin mit Gleichstrom arbeiten, auch wenn sie über AC-Netzteile versorgt werden. Die häusliche Photovoltaik und Batteriespeicherung, ergänzt durch die Aufladung von Elektrofahrzeugen, können in lokalen DC-Netzen nahtlos ohne AC-Inverter mit anderen Geräten an internen DC-Bussen operieren. Und dass die klobigen Netzadapter auf den Steckerleisten unter dem Büroschreibtisch verschwinden, wird jeder Benutzer begrüßen.
De Doncker, einer der prominentesten Befürworter der DC-Netze, ist Professor an der RWTH Aachen und Direktor des Eon Energy Research Center, das intensiv an der DC-Vernetzung forscht. Er ist dort auch maßgeblich am Forschungscampus Elektrische Netze der Zukunft (FEN) beteiligt.
In den USA gibt es die meisten Gleichstrom-Nanogrids
In Europa und Deutschland, konstatiert ICDCM-Chair Roger Dougal von der University of South Carolina, sei das Interesse an den DC-Grids besonders stark. Die Technik sei weiter fortgeschritten als in den USA, wo aber derzeit laut Marktforscher Navigant die meisten DC-Microgrids in Betrieb seien. Vielleicht, so mutmaßt Dougal, sei das auch ein Ergebnis der deutschen Energiewende. Ein wesentliches Projekt, sagt Bernd Wunder vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie (IISB), sei das EU-geförderte und 2015 abgeschlossene Eniac-Forschungsprogramm „DC Components and Grid“ (DCC+G) gewesen.
Das Ergebnis von DCC+G, so Wunder: „Wir konnten nachweisen, dass mit DC-Netzen ein Effizienzgewinn von bis zu 5 % und eine Kosteneinsparung von etwa 7 % möglich sind.“ Diese Zahlen wurden anhand von zwei Testbeds unter Modellierung einer Büroumgebung und in Gebäuden mit gebäudeintegrierter Photovoltaik ermittelt.
Mikrogrids oberhalb von 1,5 kV sind für Industriekunden interessant
Ein wichtiger Fokus der Diskussionen lag auf größeren Microgrids mit Spannungen oberhalb von 1,5 kV (bis zu 20 kV), laut der internationalen Standardisierungsorganisation IEC als „Mittelspannung“ definiert. Sie ist heute auch in der AC-Versorgung größerer Industrieanlagen üblich.
Für die Auslegung von kleineren häuslichen DC-Netzen („Nanogrids“) sind DC-Niederspannungen um 380 V im Gespräch oder in der Erprobung. Gedacht wird auch an bipolare Netztopologien mit 2 x 380 V, um höhere Spannungspegel – etwa zur Batterieladung von Fahrzeugen – zu nutzen. „In ein bis zwei Jahren ist hier eine Harmonisierung zu erwarten“, sagt Wunder. Ein interessanter Aspekt, noch kaum erörtert, sei die mit den AC-Versorgern konkurrierende Nutzung der in großen Städten verlegten Gleichstromnetze mit 750 V für Tram- und U-Bahnen für die Elektromobilität.
Trennschalter und Lichtbogenschutz sind wichtige Forschungsthemen für die Gleichstromtechnik
Gerade im Mittelspannungsbereich zeigt sich eine der größten Herausforderungen der DC-Technik: die Ausbildung von Lichtbögen bei Leitungsunterbrechungen und beim Ein- und Ausschalten von Verbrauchern unter Last. Im Gegensatz zur AC-Versorgung mit ihren periodischen Nulldurchgängen tritt bei DC kein schnelles Verlöschen des Lichtbogens ein. Vielmehr brennt dieser kontinuierlich bei Temperaturen von über 1000 °C, bildet dabei ein Plasma aus und beschädigt Leiter sowie Isolatoren. Das birgt Brand- und Verletzungsgefahren, denen man mit speziellen Schutzschaltungen begegnen muss.
Zum Thema DC-Trennschalter und Lichtbogenschutz wird über diverse Ansätze geforscht und entwickelt, etwa an „vorausschauenden“ Fehlerdetektoren für kritische Systemzustände und Sicherheitsabschaltern, mit Triggerung durch das im Lichtbogenspektrum vorhandene hochfrequente Rauschen. Dazu läuft auch das Projekt der Bayerischen Forschungsstiftung „Vorausschauende Schutzgeräte für DC-Netze“.
Auf jeden Fall müssen mechanische oder datentechnische Codierungen in den Steckverbindern beim Stecken und Ziehen das zeitabhängige Zu- und Abschalten ohne Last gewährleisten. Einzelne Produkte sind bereits auf dem Markt.
Handwerker und Techniker müssen noch fachgerecht fortgebildet werden
„Das Ziel“, sagt Wunder, „sind höhere Sicherheitsstandards als in den derzeitigen AC-Netzen, um die Akzeptanz der DC-Umstellung zu fördern.“ Das betrifft auch, wie schon bei der Installation und Wartung der ersten Photovoltaik-Dachanlagen erkannt, die fachgerechte Aus- und Weiterbildung der Handwerker, Techniker und Feuerwehren. Die Fraunhofer-Gesellschaft engagiert sich hier mit den Industrie- und Handelskammern, Versicherungen und anderen Beteiligten.
Eine anwenderbezogene Übersicht über diese Thematik findet sich in der von DKE/VDE 2016 erstmals aufgelegten „Deutschen Normungs-Roadmap Gleichstrom im Niederspannungsbereich“. Sie geht auf die diversen Schutzkonzepte und deren Evolution detailliert ein.