Digitalisierung gibt Impulse für Energiewende
Die deutsche Bundesregierung hat sich mit einer neuen Aufstellung des Energiesektors im Rahmen der Energiewende viel vorgenommen. Allein in der letzten Woche passierte ein geballtes Paket das Bundeskabinett: das Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes, die Kapazitätsreserveverordnung und das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende.
Während die Öffentlichkeit eher auf das Aus für ältere Braunkohlekraftwerke durch die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) schaut, wird die Tragweite der Digitalisierung eher unterschätzt. Dabei wird sich dadurch die komplette Wertschöpfungskette der Energiewirtschaft ändern.
Der Bundesregierung selbst ist der Umbruch wohl bewusst. „Der Strommarkt wird eine der ersten voll digitalisierten Branchen unserer Volkswirtschaft sein. Wir wollen diesen Innovationsboom, weil er Ressourcen spart und Wachstumsfelder eröffnet“, heißt es im Eckpunktepapier „für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende“ der Regierungsparteien vom Juli dieses Jahres.
Was das heißt, verdeutlicht die Ende Oktober veröffentlichte Studie „Digitalisierung in der Energiewirtschaft – Chancen und Risiken des ‚Megatrends‘“ des Bremer Marktforschungsinstituts Trendresearch. Sie analysiert systematisch Wachstumspotenziale auf allen Stufen der energiewirtschaftlichen Wertschöpfungskette (s. Grafik).
Insgesamt verdreifache sich das Marktvolumen für informationstechnische Produkte zur Digitalisierung von aktuell rund 1 Mrd. € jährlich auf rund 3 Mrd. € im Jahr 2025. Von 2015 bis 2025 ergebe sich ein Marktvolumen von 22 Mrd. € in Deutschland.
Die besten Möglichkeiten, durch neue IT-Produkte und Prozesse eine höhere Flexibilität, Automatisierung und Effizienzsteigerung zu erzielen, liegen laut Trendresearch in den Bereichen Marketing und Vertrieb (Smart Home/Building) mit einem Marktanteil von 52 %, Abrechnung (vor allem Smart Meter, 25 %) sowie Netze (Smart Grid, 17 %).
Der Smart-Meter-Einsatz, Onlineportale und Apps für mobile Endgeräte bieten zwar einerseits Potenziale, haben aber andererseits starke Auswirkungen auf die gesamte Energiewirtschaft und speziell auf die Prozesse in den Unternehmen, so Trendresearch. Die Veränderungen würden von den befragten Energieversorgern überwiegend als „stark“ oder „sehr stark“ bezeichnet (Smart Meter: 91 %, Onlineportale: 72 %, Apps: 62 %). Gleichzeitig setzten Energieversorger voraus, dass Prozesse durch Dienstleister laufend an die neuen Erfordernisse angepasst und immer weiter automatisiert würden.
Die Meinung, dass Gesetze und Verordnungen einen Markttreiber darstellen, wird vor allem von den befragten Energieversorgern vertreten (38 % der Nennungen). Weitere Aspekte seien die dezentrale Erzeugung im Rahmen der Energiewende sowie das Angebot von IT-Dienstleistern und Softwareentwicklern. „Diese Befragungsergebnisse spiegeln die allgemein vertretene Auffassung wider, dass insbesondere Energieversorger aufgrund der Kostenrisiken zögerlich agieren und zunächst lediglich die gesetzlichen Vorgaben erfüllen“, erklärt Trendresearch-Geschäftsführer Dirk Briese.
Grünes Licht für Reform der Strommärkte und der Kraftwerksflotte
Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende endlich die technischen und datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für die Digitalisierung des Stromsektors legt.
Los geht es 2017 mit dem Einbau von Smart Metern zunächst nur bei gewerblichen Großkunden mit einem Jahresstromverbrauch ab 7000 kWh. Bei privaten Haushalten beginnt der Einbau ab 2020. Die digitalen Stromzähler müssen die Kunden bezahlen. Sorgen, die neue Technik führe zu „gläsernen Bürgern“ und sammle massenhaft Daten zum privaten Stromverbrauch, hält Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel für unbegründet. Es werde einen wasserdichten Datenschutz geben.
Durch den Einsatz von Smart Metering böten sich neue Geschäftsfelder, so die Marktforscher. Dazu zählen sie zum Beispiel flexible Tarife, die Visualisierung des Energieverbrauchs für den Endkunden, intelligente Steuerungsinstrumente oder ein flexibleres Lastmanagement.
Gabriel will zudem mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes und der neu geschaffenen Kapazitätsreserve den Strommarkt zukunftsfähig machen. Billig wird das nicht. So werden jährlich bis zu 260 Mio. € fällig, weil im Rahmen der Kapazitätsreserve mit Kraftwerken ein Sicherheitsnetz gebildet wird, um Stromausfälle zu verhindern.
Mit der Weiterentwicklung des Strommarktes (s. VDI nachrichten, Nr. 40/2015) kommt versteckt im § 13g des novellierten Energiewirtschaftsgesetzes die „Stilllegung von Braunkohlekraftwerken“. Die Entschädigungen von mindestens 1,6 Mrd. € an die betroffenen Kraftwerksbetreiber RWE, Vattenfall und Mibrag (s. VDI nachrichten, Nr. 44/2015) werden über die Netzentgelte auf den Strompreis umgelegt.
Der Stadtwerke-Verbund Trianel prüft deshalb eine Klage: „Es spricht eine ganze Reihe Anzeichen dafür, dass die Braunkohlereserve eine rechtswidrige Beihilfe darstellt“, sagte Trianel-Chef Sven Becker der „Rheinischen Post“ mit Verweis auf das EU-Recht .