Krieg in der Ukraine 25. Feb 2022 Von Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 5 Minuten

Energieversorgung: Wie können deutsche Unternehmen reagieren?

Mit dem Beginn von Putins Krieg gegen die Ukraine verstärken sich die Sorgen deutscher Unternehmen, wie sie sich in Zukunft bezahlbar und zuverlässig mit Energie versorgen können. Marktbeobachter rechnen mit Preiserhöhungen und raten zu akutem, aber besonnenem Handeln.

Der Erdgasspeicher in Rehden ist mit einer Kapazität von 3,9 Mrd. Kubikmetern Erdgas der größte Speicher dieser Art in Westeuropa.
Foto: Astora GmbH

„Die Befürchtungen der Unternehmen in Deutschland haben sich mit dem gestrigen Tag bewahrheitet. Die Preise für Energie hatten bereits in den vergangenen Tagen kräftig angezogen“, resümiert Wolfgang Hahn, Geschäftsführer der ECG Energie Consulting, die bundesweit mehr als 2500 Unternehmen in Energiefragen berät. Mit Beginn der Kriegshandlungen hätte sich dies nochmals sprunghaft erhöht und den ersten Höchststand des Jahres erreicht.

Konkret erreichte der Kurs für Gas Futures an der niederländischen Börse TTF am 24. 2. 2022 zwischenzeitlich gut 144 €/MWh. An der EEX in Leipzig lag der Strompreis Phelix Baseload bei gut 157 €/MWh. Die Kurse der europäischen Rohölsorte Brent erreichten an der Londoner Rohstoffbörse ICE mehr als 100 $/bbl (Barrel). „Das stellt die deutschen Unternehmen, die beim Thema Energie speziell in den vergangenen Monaten schon erhebliche finanzielle Mehrbelastungen zu stemmen hatten, vor immense Herausforderungen“, erklärt Hahn.

Energiewende: Taugt Gas weiterhin als Brückentechnologie?

Enervis Energy Advisors, eine Unternehmensberatung, die vor allem Energieversorger in der Kundschaft hat, spricht in einer Einschätzung davon, dies sei eine „geopolitische Zäsur, die auch die deutsche Energie- und Stromwirtschaft nachhaltig prägen und womöglich zu einer Kurskorrektur bei der Energiewende führen wird“. Dabei hebt Enervis vor allem auf die Funktion von Erdgas als Brückentechnologie für den Kraftwerksbetrieb ab, wenn nach diesem Jahr alle deutschen Kernkraftwerke vom Netz gegangen sein werden und ab 2030 auch die Kohle fehlt. „In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen scheint dies in weite Ferne gerückt. Plötzlich sind auch ein Weiterbetrieb der verbliebenen Kernkraftwerke und ein deutlich langsamerer Kohleausstieg denkbare Szenarien zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit“, schreibt Enervis.

Wie sich die aktuelle Lage auf den Börsenstrompreis auswirken könnte, das rechneten die Energieökonomen des Beratungsunternehmens anhand von Modellen durch. „Unsere Prognosen zeigen, dass wir – bei langfristig hohen Gas- und CO2-Preisen auf dem Stand heutiger Notierungen – ein anhaltend hohes Strompreisniveau sehen werden“, so Mirko Schlossarczyk, Partner und Strommarktexperte der Enervis. Als Referenzwert für eine normale Entwicklung legt Enervis einen Gaspreisrückgang bis 2030 auf 25 €/MWh zugrunde; den Berechnungen zufolge verdoppele sich jedoch der Jahresbase am Stromgroßhandelsmarkt auf etwa 140 €/MWh bis 160 €/MWh.

Russisches Gas ist „nicht so einfach“ zu ersetzen

ECG-Chef Hahn zufolge ist russisches Gas „nicht so einfach und schnell ersetzen“. Unternehmen sollten daher in der aktuellen Situation keine Zeit mehr verlieren, also schnell, aber ohne Aktionismus handeln. „Wichtig ist speziell jetzt, strukturiert vorzugehen, das Risiko zu streuen und in Tranchen einzukaufen. Dabei sollte nun aber die Absicherung stärker im Vordergrund stehen als bisher, während dennoch Spielraum für den späteren Kauf von Teilmengen bestehen bleibt“, so Hahn.

Vor dem Hintergrund der Importabhängigkeit von russischem Erdgas rechnete das Expertenteam von Enervis auch ein Szenario mit hohem Gaspreis bei gleichzeitigem Weiterbetrieb der noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke und deutlich verzögertem Kohleausstieg durch. Zwar, so das Resümee, falle der Preisanstieg gegenüber der Referenz etwas schwächer aus, der Jahresbase liege jedoch „immer noch deutlich über 110 €/MWh. Alarmierender für die Energiewendebemühungen: „Die CO2-Minderungsziele 2030 werden in keinem der beiden Szenarien erreicht“, sagte Enervis-Partner Schlossarczyk. Und das, obwohl in beiden Szenarien der Erdgasverbrauch im Strommarkt zurückgeht, und zwar „in der Größenordnung von jährlich bis zu 40 %“.

Versorgungssicherheit: nationale Kohle- und Gasreserve geplant

Viele Unternehmen schauen bereits auf den nächsten Herbst und Winter und fragen sich, ob die Gasspeicher dann wieder gefüllt sein werden, ob eine angemessene Alternative zu russischem Gas gefunden wird oder ob der Gasimport aus Russland komplett unterbrochen wird. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte am 24.02.2022 in seiner Pressekonferenz betont, Deutschland werde sicher durch diesen Winter kommen, auch falls Russland die Lieferungen komplett einstellen sollte. Und dies trotz der sehr hohen Abhängigkeit Deutschlands bei den Energierohstoffen: 55 % beim Erdgas, 35 % beim Rohöl und rund 50 % bei der Kohle. Habeck plant in Kürze sowohl eine nationale Gas- als auch eine Kohlereserve analog zu der bereits bestehenden Ölreserve aufzusetzen.

Woher unsere Kohle kommt

ECG-Chef Hahn mahnt, die Unternehmen sollten sich nicht nur darauf verlassen, dass es die Politik schon richten werde: „Stattdessen sollten sie auch unter diesen neuen Vorzeichen verstärkt die eigene Dekarbonisierung vorantreiben und Alternativen wie Energie aus nachwachsenden Rohstoffen zügig in ihre Energieversorgung einbauen. Wer solche Projekte bereits angestoßen hat, besitzt nun einen wichtigen Vorsprung.“ Da aber, so wurde am 24.02.2022 bei der Vorstellung des Energieeffizienz-Index der deutschen Industrie bekannt, ist ein Gutteil der deutschen Industrieunternehmen schon auf einem guten Pfad.

Deutsche Industrie investierte 2021 deutlich mehr für Energieeffizienzmaßnahmen

Deutsche Bundesregierung muss sich für die Gasreserven am Preisrisiko beteiligen

Wolfgang Hahn, Geschäftsführer der ECG Energie Consulting GmbH. Er rät deutschen Unternehmen, angesichts des Ukraine-Kriegs ihre Energieversorgung zügig, aber ohne Aktionismus zu diversifizieren. Foto: ECG Energie Consulting GmbH

„Strategische Reserven zu schaffen, bedeutet die vorhandenen Gasspeicher wieder zu befüllen“, erläuterte Hahn gegenüber VDI nachrichten. Die Herausforderung bestehe darin, das benötigte Gas zu einem angemessenen Preis zu kaufen. „Die Frage ist deshalb, ob die Bundesregierung bereit ist, sich an dem Preisrisiko für die Speicherbetreiber auf einem Gasmarkt mit deutlich erhöhter Volatilität zu beteiligen und beim Befüllen zu helfen“, so der ECG-Chef. Dann könne eine Gasreserve bereits zum nächsten Winter zu einer Entspannung für Unternehmen und auch Endverbraucher beitragen.

In puncto fehlender Flüssigerdgas-Terminals (LNG-Terminals) in Deutschland erwartet Hahn, dass „die europäischen Länder, die über solche Terminals verfügen, zunächst selbst die vorhandenen Kapazitäten nutzen werden“. Von daher werde LNG voraussichtlich bis zum nächsten Winter keine große Rolle in Deutschland spielen. Da stehe Deutschland „am Ende der Nahrungskette“. Es gelte, „endlich mit dem Bau eines Terminals zu beginnen und diesen so schnell wie möglich abzuschließen“, so Hahn. Klar sei aber auch, dass dies wegen der Errichtungszeit und des großen Investments nur mittelfristig gelingen könne.

Gazprom liefert bisher weiterhin zuverlässig – auch durch die Ukraine

Ungeachtet des Angriffs auf die Ukraine setzt Russland eigenen Angaben zufolge den Gastransit durch das Nachbarland nach Europa fort. Das berichtet die Deutsche Presseagentur mit Verweis auf die russische Agentur Interfax: „Gazprom liefert russisches Gas für den Transit durch das Gebiet der Ukraine im regulären Modus und gemäß den Anforderungen europäischer Verbraucher“, wird dort ein Gazprom-Sprecher zitiert. Am Freitag seien insgesamt 103,8 Mio. m3 geflossen.

Laut Timm Kehler, Chef des Gasbranchenverbands Zukunft Gas ist die Gasversorgung „gesichert“. Aufgrund des diversifizierten Gasbezugs aus anderen Ländern bräuchten sich die Heizungskunden keine Sorgen zu machen. Auch die Bundesregierung hat bislang keine Hinweise darauf, dass russische Energielieferungen ausblieben, so Habeck.

Versorgungssicherheit und Energiewende: Habeck will „Schlafmützigkeit“ vertreiben

In seinem Pressestatement gestern früh sprach Habeck davon, es gelte nun, die „Schlafmützigkeit“ bei der Energiewende zu vertreiben. Daher sei es besonders wichtig, mittel- und langfristig den Ökostrom aus Wind und Sonne in Deutschland massiv auszubauen: Das werde dann auch die Preise dämpfen.

Bliebe aber alles dabei, dass das Gas aus Russland weiter vertragsgemäß fließt, könnte eintreten, was Gasmarktexperte Heiko Lohmann vom Energieinformationsdienst Energate laut dpa betonte: Dann „können die Preise auch wieder auf das Niveau vom Wochenanfang zurückgehen“. Lohmann verwies darauf, dass die Großhandelspreise vor Weihnachten 2021 noch deutlich höher lagen – bei zeitweise 180 €/MHh.

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