EU-Taxonomie: Kern- und Gaskraftwerke als Gretchenfrage beim Klimaschutz
Die EU-Kommission hat zu Jahresbeginn ihren Entwurf zur EU-Taxonomie vorgelegt. Demnach sollen Investitionen in Gaskraftwerke und Kernenergielagen als nachhaltig eingestuft werden. In Deutschland und Europa sind die Reaktionen gespalten. Hierzulande läuft der Atomausstieg unterdessen nach Plan: Die Kraftwerke in Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen wurden zum Jahresende 2021 abgeschaltet.
Direkt zu Jahresbeginn am 1. Januar 2022 hat die EU-Kommission ihre Pläne vorgelegt, um die EU-Taxonomieregeln bezüglich Kern- und Gaskraftwerken zu konkretisieren. Sie leitet mit dem Entwurf (Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe, bitte bis zum Seitenende scrollen) den Konsultationsprozess mit einer Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen und der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen ein. Die geltende Taxonomie-Rechtsverordnung soll ergänzt werden mit Regeln über bestimmte Erdgas- und Kernenergieaktivitäten.
Offiziell soll die EU-Taxonomie helfen, Geld für den Klimaschutz zu mobilisieren. Das soll natürlich in die richtigen Kanäle fließen und dazu gibt die Taxonomie-Verordnung Vorgaben, welche „Wirtschaftstätigkeiten“ denn nun geeignet sind, den EU-Mitgliedstaaten zu helfen, Klimaschutz umzusetzen. Dass erneuerbare Energien da vorne anstehen, ist unbestritten. Wichtig, aber eben auch umstritten sind die sogenannten Übergangsaktivitäten: Die sollen helfen, wenn wirklich grüne Wirtschaftsaktivitäten nicht schnell genug zur Verfügung stehen, also zum Beispiel der Ökostromausbau nicht schnell genug erfolgen kann. Das regelt Artikel 10, Absatz 2 der geltenden EU-Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852. Hintergrund ist, dass der Energiemix der Mitgliedstaaten historisch gewachsen ist und von Land zu Land stark variiert.
EU-Kommission: Erdgas und Kernenergie sollen Übergang zu kohlenstoffarmen Energiesystemen erleichtern
Aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen hat die EU-Kommission jetzt in ihrem Entwurf sowohl Erdgas- als auch Kernkraftwerke integriert. „Das hat zur Folge, dass diese Energiequellen unter klaren und strengen Bedingungen als mit der Taxonomie-Verordnung vereinbar eingestuft werden – allerdings nur insoweit sie tatsächlich zum Übergang zur Klimaneutralität beitragen. Gas etwa muss bis 2035 aus erneuerbaren Quellen stammen oder niedrige Emissionen haben“, betont die Kommission in ihrer Mitteilung. Für Neuinvestitionen in Kernkraftwerke ist wichtig, dass sie neuesten Technologiestandards entsprechen und ein konkreter Plan für die Entsorgung der anfallenden hoch radioaktiven Abfallstoffe der Anlagen spätestens 2050 vorliegt.
Politisch steht dahinter ein Tauziehen um die Finanzen, nicht nur die privater Investoren, sondern auch von EU-Geldern. Das betrifft vor allem die Kernkraft, denn schließlich müssen die im Kernkraftbereich avisierten Small Modular Reactors (SMR, deutsch: kleine modulare Reaktoren) erst noch in die Serienreife überführt werden. Das braucht Zeit und Geld. Die politische Trennlinie in der EU verläuft damit quer zur europäischen Achse Paris – Berlin. Frankreich, im Bund mit vielen osteuropäischen Mitgliedstaaten, aber auch mit den Niederlanden, will weiter auf Kernkraft setzen. Deutschland zusammen mit Luxemburg, Portugal, Dänemark und Österreich sprach sich schon auf der Weltklimakonferenz in Glasgow im November 2021 gegen die Nutzung von Kernkraft für den Klimaschutz aus.
Deutschland: Gaskraftwerke als Übergangslösung für Klimaschutz
„Investitionen in wasserstofffähige Gaskraftwerke sind zwingend notwendig für den Übergang in eine vollständig klimaneutrale Energieversorgung in der Europäischen Union“, begründet Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, warum der Verband die EU-Regelung in diesem Punkt begrüßt. Andreae hob dabei vor allem auf die Bereitstellung gesicherter und regelbarer Leistung ab. Die Zukunft allerdings liege bei grünem Wasserstoff.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) hingegen warnte vor „stranded investments“ im Gaskraftwerksbereich; Erdgas dürfe nur noch „begrenzt eingesetzt werden“. Der Verband hatte Mitte Dezember eine Studie für ein klimaneutrales Stromsystem vorgestellt. Mit wissenschaftlicher Unterstützung der Fraunhofer-Gesellschaft soll sie aufzeigen, wie ein immer stärker auf erneuerbaren Energien fußendes Stromsystem Versorgungssicherheit garantieren kann und gleichzeitig bezahlbar bleibt.
Kernkraft bleibt in Deutschland politisch abgemeldet
Dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Kernkraft als „Hochrisikotechnologie“ bezeichnet, verwundert politisch nicht. Aber auch seitens des Branchenverbands BDEW kam ein klares Statement: „Der deutsche Ausstieg aus der Atomenergie ist endgültig.“ Auch andere Vertreterinnen und Vertreter politischer Parteien und Regierungsmitglieder äußerten sich entsprechend. Als „zu riskant, zu teuer und zu langsam“ charakterisierte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) die Technologie und fasste damit die wesentlichen Kritikpunkte zusammen. Vor allem die nicht gelöste Entsorgungsfrage und die Proliferationsgefahr werden als Kritikpunkte angeführt.
Der Entwurf der EU-Kommission sieht hingegen nicht nur den Bau neuer Reaktoren mit neuen Technologien vor, er nimmt gemäß des neuen Abschnitts 4.28 in Anhang 1 des delegierten Rechtsakts auch Laufzeitverlängerungen bestehender Anlagen bis 2040 in den Blick. Dies käme vor allem Frankreich zugute, aber auch Tschechien. Vor allem die derzeit hohen Energiepreise treiben unser östliches Nachbarland um, berichtete der Nachrichtendienst euractiv.de. Da 40 % des Stroms aus Kohle erzeugt würden, müsse das Land neue Energiequellen finden. „Deutschland setzt auf eine radikale Form des europäischen Green Deals“, sagte demnach der tschechische Premierminister Petr Fiala. Die tschechische Regierung sei davon überzeugt, dass die geografischen Bedingungen im eigenen Land nicht für einen massiven Ausbau der Solar- oder Windenergie geeignet seien, und setze daher auf Kernkraftwerke.
Deutscher Atomausstieg läuft nach Plan
In Deutschland wurden zum Jahreswechsel gemäß Atomgesetz die drei Kraftwerke in Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen stillgelegt. Damit bleiben noch die Anlagen Isar 2 (bei Landshut), Emsland (bei Lingen) und Neckarwestheim 2 (bei Heilbronn) bis zum Jahresende 2022 in Betrieb. Das Kernkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein hat eine elektrische Leistung von 1480 MW brutto, rund 500 Personen sind laut Betreiber Preussenelektra bislang dort beschäftigt. 1986 speiste der Druckwasserreaktor zum ersten Mal Strom in das Stromnetz ein, bis zur Stilllegung in der Silvesternacht erzeugte er mehr als 380 Mrd. kWh Strom. Die Anlage in Grohnde beim Hameln (Niedersachsen) wurde nach rund 36 Betriebsjahren abgeschaltet. Es habe mit fast 410 Mrd. kWh so viel Strom produziert wie kein anderer Kraftwerksblock weltweit, teilte Preussenelektra mit.
„Mit der Abschaltung des letzten Siedewasserreaktors in Deutschland wurde am Standort Gundremmingen eine Ära beendet“, erklärte Nikolaus Valerius, Kernenergievorstand von RWE Power, dem Betreiber des vorletzten Kernkraftwerksblocks, der in Bayern vom Netz muss. Die Anlage ging 1984/1985 als damals leistungsstärkstes Kernkraftwerk in Deutschland ans Netz. In Gundremmingen begann mit dem ersten Block A, der 1966 fertiggestellt wurde, die industrielle Atomstromproduktion in der Bundesrepublik. Er war 1977 nach einem schweren Störfall abgeschaltet worden. RWE kann sich nach eigenen Angaben vorstellen, künftig den Standort für ein Gaskraftwerk zu nutzen. Es gebe aber noch keine Entscheidung.