Gas: Wir müssen stärker sparen als bisher gedacht
Dreht Russland den Gashahn komplett zu, kann die Gasversorgung für den nächsten Winter und das Frühjahr 2023 nur durch erhebliches Energiesparen sichergestellt werden. Das zeigen Berechnung am Forschungszentrum Jülich.
Die Forscherinnen und Forscher des Instituts für Techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3) am Forschungszentrum Jülich haben nachgerechnet: Was passiert wirklich, wenn die Gasimporte aus Russland vollständig wegfallen? Das Alarmierende dieser Berechnungen: Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger müssen viel stärker Gas sparen als bisher gedacht.
Hohe Gaspreise, niedrige Speicherstände – warum Deutschland zittern muss
„Bisher gedacht“ – das bezieht sich auf die Szenarioannahmen der zuständigen Bundesnetzagentur in Bonn. Das große Sparen müsste bereits im „frühen Herbst“ beginnen, damit die Gasspeicher für die Wintermonate und das Frühjahr hinreichend befüllt werden können. „Für den Winter wären weitere zusätzliche Sparmaßnahmen notwendig“, teilt des Forschungszentrum Jülich mit.
Was passiert, wenn Russland kein Gas mehr liefert?
Die Szenarioannahmen der Bonner Agentur sind so wichtig, weil sie entscheidend dafür sind, ob und wann die Behörde die Gasversorgung nicht mehr als sicher einstuft – und damit bestimmte Regelungen zu greifen beginnen. Solange aber die Bundesnetzagentur die Gasversorgung noch als „sicher“ einstuft, droht eine Verschleierung des akuten Handlungsbedarfs.
Krise beim Gas: „Stand heute haben wir ein Problem“
„Die Einsparungen in allen Sektoren sind eine zentrale Stellschraube für das Funktionieren der Gasversorgung im nächsten Winter“, erläutert Jochen Linßen, Abteilungsleiter am IEK-3. „Jeder Kubikmeter Gas, der heute bereits eingespart wird, kann für die Befüllung der Gasspeicher genutzt werden und steht dann für den Winter zur Verfügung.“
Um den Gasmangel zu beheben braucht es eine europaweite Gasstrategie
Schon die Szenarioannahmen der Bundesnetzagentur zeigen: Bleiben die Gasimporte weiterhin eingeschränkt, ist die notwendige Speicherbevorratung nicht mehr möglich; die gesetzlich vorgeschriebenen Füllstände der Speicher können dann nicht eingehalten werden. Auch der bis Ende des Jahres geplante Bau von zwei LNG-Terminals (LNG: Liquefied Natural Gas) in Deutschland mit ihren zusätzlichen Erdgasimporten reichen nicht aus, um die fehlenden russischen Gasimporte vollständig zu kompensieren. Von entscheidender Bedeutung seien daher Einsparungen, die sich zudem möglichst schnell umsetzen ließen, so das Forschungszentrum. Hierbei geht es zum Beispiel um den Ersatz von Gaskraftwerken durch Kohlekraftwerke oder Einsparungen im Industriesektor.
Die nach den Jülicher Berechnungen notwendigen Verbrauchsreduktionen gehen deutlich über die Szenarioannahmen der Agentur hinaus. Zudem: „Um einen Gasmangel in Europa zu vermeiden, ist eine abgestimmte gesamteuropäische Strategie erforderlich“, so Peter Markewitz, der die Gruppe integrierte Transformationsstrategien am IEK-3 leitet. Dies lässt sich mithilfe des von Jülicher Systemanalytikern entwickelten Webtools „No Stream“ zeigen. Deutschland als eines der wichtigsten Gastransitländer in Europa spiele dabei eine besondere Rolle. Eine europäische Gasstrategie müsse zusätzliche Möglichkeiten der Gasbeschaffung in den Blick nehmen, ebenso die Befüllung und Nutzung von Speichern und auch verbraucherseitige Einsparungen, so Markewitz: „Ohne ein solidarisches Verhalten der europäischen Länder wird es nicht gelingen, die Gasversorgungskrise zu bewältigen.“