Energie 01. Mrz 2023 Von Thomas A. Friedrich Lesezeit: ca. 4 Minuten

Gaspreisniveau soll nicht länger den Strommarkt dominieren

Explodierende Gaspreise als Folge des Krieges in der Ukraine lassen den Ruf nach einer Reform des europäischen Strommarktdesigns nicht verstummen. Am 14. März will die EU-Kommission einen Vorschlag vorlegen. Berlin beharrt darauf, Investitionen in Erneuerbare Priorität einzuräumen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf dem BEE-Energiedialog des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE) vom 9. Februar 2023.
Foto: Liesa Johannssen-Koppitz/BEE

Die spanischen und französischen Regierungen versprechen ihrer Bevölkerung bereits seit Monaten niedrigere Strompreise. Voraussetzung dafür sei die Abkoppelung der Strompreise vom Gaspreis. Bisher fungierte in der Tat der Preis für Gas als eine Art Leitwährung für die Berechnung der Strompreise in Europa auch für die kostengünstig produzierenden Erneuerbaren aus Sonne Wind und Wasserkraft.

Solar, Wind & Co. sind in Deutschland für die Energiewende gesetzt – auch für die Industrie

Der von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und Spaniens Premierminister Pedro Sánchez gemeinsam im Januar vorgelegte Entwurf zielt darauf ab, den Strompreis zum Teil vom Gaspreis zu entkoppeln, damit auch die Verbraucher von den günstigeren Kosten der erneuerbaren Energien profitieren könnten, lautet die französisch-spanische Argumentation.

Erneuerbare Energien und Atomkraft sollen aus Spotmarkt herausgenommen werden

Konkret schlagen die mediterranen Länder, wie auch Portugal, vor, dass die erneuerbaren Energien nicht länger am täglichen Spotmarkt, sondern vielmehr in einem gesonderten Terminmarkt gehandelt werden sollten.

Damit solle der Einfluss hoher Gaspreise auf den Strompreis begrenzt werden. Künftig solle aus erneuerbaren Energien erzeugter Strom vornehmlich über Lieferverträge mit festen Laufzeiten verkauft werden.

Trotz Energiekrise bleibt die Energiewende auf Kurs

Erneuerbare erzielten übermäßige Gewinne, ohne dass sie an Verbraucher weitergegeben wurden

Im Sommer letzten Jahres hatte der Gas-Lieferstopp aus Russland den Strompreis in schwindelerregende Höhen getrieben. Vor allem zulasten energieintensiver Industrien und Millionen von Verbrauchern in vulnerablen Einkommensverhältnissen. Die exorbitant gestiegenen Strompreise bescherten den Erzeugern von erneuerbaren Energien und Atomkraft auf der anderen Seite extrem hohe Gewinne. Diese Gewinne sollen nach Vorstellung Frankreichs künftig abgeschöpft und den Stromkunden so zu niedrigeren Preisen verhelfen.

„Langfristige Verträge schaffen Preisstabilität für Verbraucher und Erzeuger und richten die Strompreise an durchschnittlichen Produktionskosten aus“, heißt es im Papier aus Madrid, adressiert an die EU-Kommission.

Staatlich regulierte Energiepreise à la française bringen Berlin auf die Palme

Damit nicht genug, Frankreich und Spanien wollen die Marktmechanismen noch weiter außer Kraft setzen und die Strompreise dauerhaft staatlich regulieren. So zielt ihr Vorschlag des Weiteren darauf ab, Gewinne von Atom-, Solar- und Windkraftanlagen in einen Fonds einzuspeisen. Davon sollen einerseits die Stromkunden mit günstigen Tarifen profitieren und andererseits den Erzeugern Festpreise garantiert werden.

Fachkräftemangel bremst die Energiewende

Mit diesem staatsintervenistischen Modell aus Paris und Madrid können sich viele EU-Mitgliedstaaten jedoch nicht anfreunden und befürchten eine Aushöhlung der Marktwirtschaft.

Berlin reiht sechs EU-Staaten mit eigenen Vorschlägen für einen Energiemarkt hinter sich

So wartet das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gegenüber der Brüsseler Behörde gemeinsam mit sechs weiteren EU-Mitgliedstaaten mit eigenen Vorstellungen auf.

„Die zukünftige Strommarktreform muss so gemacht sein, dass sie nachhaltige Energieinvestitionen stärkt und nicht schwächt. Wir dürfen keine Rolle rückwärts machen und zu einem völlig durchregulierten Energiemarkt kommen, wo es kaum noch Marktsignale gibt“, erteilte BMWK-Staatssekretär Sven Giegold dem französischen Ansinnen bei Ankunft des Informellen EU-Energieministerrats in Stockholm zu Wochenbeginn eine klare Abfuhr.

Die Marktsignale müssten bei den Investoren und allen Energiemarktteilnehmern ankommen, um richtige Anreize für Zukunftsinvestitionen zu setzen. „Das heißt, die Investitionen in Erneuerbare brauchen auch hier Priorität“, so Giegold.

Energiewende: Der deutsche Stromnetzausbau muss Fahrt aufnehmen

Die Bundesregierung und die gleichgesinnten Mitstreiter aus Dänemark, Estland, Finnland, Luxemburg, Litauen und den Niederlanden setzen sich dafür ein, dass in Krisenzeiten keine übereilte Reform angestoßen wird, die Marktsignale unterdrückt und falsche Weichenstellungen für die Zukunft vornimmt.

Strommarktreform muss sich von drei Zielen leiten lassen

Die Integration des Energiebinnenmarkts habe im zurückliegenden Jahrzehnt zu niedrigeren Einkaufspreisen, größerer Versorgungssicherheit und zu einer umfangreichen Integration von erneuerbaren Energien geführt. Daher müsse eine Strommarktreform sich von drei Zielen leiten lassen: der Transition in ein dekarbonisiertes Energiesystem zu möglichst niedrigen Preisen, der Aufrechterhaltung einer Versorgungssicherheit und vom Übergang zu einem effizienten auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem.

Gleichzeitig unterstreichen die sieben EU-Staaten, dass jegliche Reform, die über den bisherigen Rahmen des Strommarktdesigns hinausgeht, eine gründliche Folgenabschätzung voraussetze, so heißt es im deutschen Positionspapier.

Daher schlägt das Bundeswirtschaftsministerium eine zweistufige Vorgehensweise vor. So sollten noch vor den Europawahlen im Jahre 2024 schnell und zügig Maßnahmen ergriffen werden, die hinterher nicht zu bereuen seien. Hierbei sei anzustreben, zu mehr Langfristigkeit in den Verträgen zu kommen, und auch dafür sorgen, dass die Verbraucher vor Preisspitzen geschützt würden.

Energiewende: Die deutschen Stromnetze stehen vor einer Zerreißprobe

Das langfristige Ziel der Energiereform: die Dekarbonisierung Europas

Systematische langfristige Reformen des Strommarkts müssten so angelegt sein, dass sie keine Schäden anrichten, sondern dauerhaft Europa fit machen für 100 % Erneuerbare bzw. eine fossilfreie Energieerzeugung. Neben dem französisch-spanischen Papier und dem deutschen Positionspapier hat auch die polnische Regierung in der letzten Woche einen eigenen Forderungskatalog für eine Reform aufgestellt, der die hohe Abhängigkeit Polens von Kohleverstromung und dem soeben erst verhängten russischen Lieferstopp von Gas nach Polen in Betracht zieht.

Bundeswirtschaftsminister Habeck fordert europäische Industriestrompreise

Das Credo von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist klar umrissen: „Die zukünftige Strommarktreform muss so gemacht sein, dass die nachhaltigen Energieinvestitionen gestärkt und nicht geschwächt hervorgehen.“

Ohne Eingriffe seien am Markt mittelfristig Preise zu erwarten, die oberhalb dessen liegen, womit die Industrie wettbewerbsfähig arbeiten könne, erklärte er gegenüber dem Handelsblatt. Dieses Problem ließe sich allerdings auch lösen, ohne die grundsätzlichen Regeln auf dem Strommarkt zu verändern, glaubt Robert Habeck. Er fordert daher eine europäische Lösung für Industriestrompreise, hier insbesondere vergünstigte Tarife für stromintensive Betriebe.

Bis zum kommenden EU-Energieministerrat im April hofft die schwedische EU-Ratspräsidentschaft die auseinanderdriftenden Positionen zu einem Grundsatzbeschluss für sofortige Reformschritte einzuleiten. An den Grundpfeilern des existierenden Strommarktdesigns wird auch im Lichte des Krieges in der Ukraine vorerst wohl nicht gerüttelt werden. Dessen ist sich auch die Brüsseler Behörde bewusst.

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