Erneuerbare Energien 23. Okt 2024 Von Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 5 Minuten

Geothermie als Nachmieter in alten Erdgaslagerstätten

Aus Fossil mach Erneuerbar – das geht! Und wird erprobt an alten Erdgaslagerstätten, um dort Geothermie zu betreiben. Eine neue Studie zeigt: Es könnte sich richtig lohnen.

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Erdgas-Fracking-Anlage von RWE Dea in Niedersachsen: Aus Fossil mach Erneuerbar – das geht! Und wird erprobt an alten Erdgaslagerstätten, um dort Geothermie zu betreiben. Eine neue Studie zeigt: könnte sich richtig lohnen.
Foto: IMAGO/Markus Matzel

Es ist eine Win-win-Situation: Aufgegebene Erdöl- und Erdgasbohrungen – eine Infrastruktur für fossile Energieträger – könnten für Geothermie genutzt werden. Mit verlockenden Vorteilen: Erstens sinken die Bohrrisiken, weil sich schnell ermitteln lässt, ob der Standort für Geothermie taugt, zweitens sinken die Kosten, weil ein Teil der Infrastruktur schon da ist und zumindest teilweise die teure Bohrung, der größte Kostentreiber der Geothermie, schon getan ist. Wohl aber fallen Kosten für eine Umrüstung der bestehenden Bohrung an, doch sind diese vergleichsweise geringer. Unter welchen technischen und wirtschaftlichen Randbedingungen sich konkret diese Nachnutzung lohnt, hat jetzt eine Studie der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (Fraunhofer IEG) zusammengestellt, die im Fachmagazin „Geothermal Energy“ erschienen ist.

Mehr als 10.000 Bohrungen mit einer Tiefe von über 400 m

Allein im norddeutschen Erdöl- und Erdgasgürtel – von Sachsen-Anhalt quer durch Niedersachsen bis zur niederländischen Grenze – wurden über die Jahrzehnte der Nutzung mehr als 10.000 Bohrungen mit einer Tiefe von über 400 m niedergebracht. „Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Großteil davon nicht für eine geothermische Nutzung zur Verfügung steht“, so noch 2021 eine Studie des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Niedersachsen und des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG). Hintergrund: Nach § 11 Abs. 1 (Tiefbohrverordnung, BVOT) des Landes Niedersachsen bestand für nicht mehr benötigte Bohrungen eine Verfüllungspflicht. Bestehende Bohrungen waren also Stand damals entweder in Betrieb oder verfüllt.

2022 wurde die BVOT novelliert und dieser Mangel behoben, denn die geothermische Nachnutzung der Öl- und Gaslagerstätten in Niedersachsen ist schon länger eine Thema. Inzwischen sind Bohrlöcher nach § 11 Abs. 1 (BVOT Niedersachsen) so zu verfüllen, „dass… eine spätere Nutzung des Untergrundes zur Gewinnung von Bodenschätzen und Wasser oder zur Untergrundspeicherung nicht beeinträchtigt wird“.

Viele dieser Bohrungen endeten in Gesteinshorizonten, die Temperaturen von deutlich mehr als 60 °C aufweisen, so das IEG in einer Mitteilung. „Fossile Infrastrukturen zu grünen Energiequellen umzuwidmen, ist eine faszinierende Idee“, findet Nora Koltzer vom Fraunhofer IEG. „Damit die Idee funktioniert, gilt es aber die spezifischen Unterschiede von Geothermie- zu Erdgasbohrung und der Energieträger Erdwärme und Gas zu beachten.“

Warum Geothermie aus Öl- und Gasbohrungen derzeit so spannend ist

Gas unterscheidet sich immens in seiner Energiedichte von der physikalischen Energieform Erdwärme. Erdgas ist gut transportabel, Erdwärme ist vor allem im direkten Umland nutzbar. „Doch trotz dieser Einschränkungen macht der Kostenvorteil der vorhandenen Bohrung einige Nutzungsfälle plausibel“, erklärt Koltzer.

Daher sollten Gemeinden, die alte Gas- oder Erdölbohrungen in den Gemeindegrenzen besitzen, prüfen, ob diese sich nicht im Rahmen der gesetzlich geforderten Wärmeleitplanung nutzen ließen. „Gerade im norddeutschen Becken mit seinen vielen Erdgasfelder wird dies auf viele Gemeinden zutreffen“, heißt es in der IEG-Mitteilung.

Was Geothermie- von Öl- und Gasbohrungen unterscheidet

Die Geothermiebranche kann von den Bohrtechnologien und Erfahrungen der Öl- und Gasförderung profitieren. De facto aber unterscheidet sich die Geothermie von der Öl- und Gasförderung in einigen Punkten:

Was würde es konkret bringen, eine alte Erdgasbohrung für Geothermie zu nutzen

Koltzer und ihr Team vom IEG untersuchten zwei ehemalige Erdgasbohrungen der ExxonMobil Production Deutschland GmbH in Niedersachsen, die zwei typische geologische Gegebenheiten repräsentierten: eine flache geologische Schichtung und einen aufsteigenden Salzstock, eine typische Salzlagerstätte. Die Bohrtiefen liegen bei 2,8 km bzw. 4,3 km, wo die Temperaturen von 114 °C bzw. 139 °C herrschen. Um eine Geothermiebohrung entsprechender Dimension komplett neu zu erstellen, müsste man laut IEG heutzutage mit Kosten von rund 1 Mio. €/ km Bohrtiefe rechnen.

Koltzer erstellte von den Bohrungen Computermodelle, simulierte den Einbau verschiedener gängiger koaxialer tiefer Erdwärmesonden und schätzte dann die thermischen Leistungen über eine Lebensdauer von 30 Jahren ab. Ergebnis: Zwischen 200 kW und 400 kW ließen sich durchschnittlich entnehmen, die Höchstwerte liegen bei bis zu 600 kW. Besonders abhängig ist die Leistung von der nutzbaren Tiefe der Bohrung und der Temperatur des Rücklaufs des Wärmenetzes.

Bild zur oberflächennahen Geothermie in Deutschland: Eine erste Ampelkarte im GeotIS zeigt Potenziale für Erdwärmesonden – bisher nur in Mecklenburg-Vorpommern, bis zum Jahresende soll ganz Deutschland verfügbar sein. Foto: www.geotis.de

Damit sich die geförderte Erdwärme dann auch effizient und wirtschaftlich nutzen lässt, sollte die Entfernung zwischen Quelle und Verbraucher nicht größer als 3 km bis 5 km sein, „um die Kosten für Pipelines zu minimieren und um Wärmeverluste des Transportmediums Wasser zu vermeiden“, schreibt das IEG. Gut wäre es auch, wenn mehr als 60 °C beim Verbraucher ankämen, dann bräuchte der keine eigene Wärmepumpe, um das Temperaturniveau vor Ort zu heben. Gute Voraussetzungen böten Bohrungen, die bis in mehrere Kilometer Tiefe mit einem Rohrdurchmesser von 7 Zoll (17,78 cm) ausgekleidet seien, so die Fraunhofer-Fachleute. „Die Sonden sind am leistungsfähigsten, wenn die Wärmeleitfähigkeit des umgebenden Gesteins 3 W/(m˖K) nicht unterschreiten und ein Grundlastbetrieb mit Laufzeiten von über 8000 h/a angestrebt wird“, heißt es.

Beispiele für geothermische Nachnutzung von Erdgasbohrungen

In Niedersachsen machte 2019 das Geothermieforum Niedersachsen den Weg frei für eine geothermale Nachnutzung. Konkret legte es damals einen Bericht und die eine Checkliste vor, die einen Überblick über Rahmenbedingungen für eine Folgenutzung und Vereinbarungen zum Unternehmerwechsel gab.

Im Mai 2024 gab das zuständige Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover dann die erste Erlaubnis für solch einen Nutzungswechsel an Wintershall Dea für dessen Feld Barnstorf im Landkreis Diepholz, ein rund 30 km2 großer Förderstandort. „Das macht nicht genutzte Bohrungen grundsätzlich wertvoll“, ordnete BVEG-Geschäftsführer Ludwig Möhring die Erlaubnis damals gegenüber dem Energiewirtschaftsdienst Energate ein. Vielleicht eine Blaupause für die Branche, mit ausexplorierten Assets noch ins Geld zu kommen. „Was wir sehen, ist, dass der Bohrlochbergbau in Deutschland mit Blick auf die Transformation neu zu denken und einzuordnen ist“, so Möhring. Die Öl- und Gasförderunternehmen in Deutschland schauten sich derzeit die Untertagepotenziale sehr genau an.

Am Horstberg bei Dreilingen im niedersächsischen Landkreis Uelzen testeten die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG) an der ehemaligen Erdgasexplorationsbohrung Horstberg Z1 ein Ein-Bohrloch-Verfahren zur Gewinnung und direkten Nutzung von Thermalwasser aus geringpermeablen Gesteinsformationen. „Die Ergebnisse der hydraulischen Tests nach der Stimulation und verschiedenen Produktionstests haben gezeigt, dass im Fall der Bohrung Horstberg Z1 das ursprüngliche Konzept nur eingeschränkt erfolgreich angewandt werden konnte“, hieß es dazu abschließend seitens der BGR.

Im niedersächsischen Munster plant die HeideGeo GmbH & Co. KG, eine Tochter der Stadtwerke Munster-Bispingen, die Übernahme der ehemaligen Erdgasproduktionsbohrung Munster Südwest Z3 der BEB Erdgas und Erdöl GmbH für eine geothermische Nachnutzung. Dabei soll 160 °C heißes Thermalwasser aus 5000 m Tiefe genutzt werden. 2023 gab es eine erste Förderzusage des Landes Niedersachsen über 7,1 Mio. €. Ziel ist die Gewinnung von ca. 10 MW thermischer Leistung.

Das Geoforschungszentrum Potsdam ist am europäisch aufgestellten Forschungsprojekt Transgeo beteiligt, das ebenfalls die Nachnutzung stillgelegter Bohrlöcher für die geothermische Energieerzeugung evaluiert. Europaweit wird dies vor allem auch unter dem Aspekt des Strukturwandels im ländlichen Raum erforscht. Schließlich hinterlasse die rückläufige Kohlenwasserstoffindustrie eine umfangreiche Infrastruktur und Tausende hoch qualifizierter Arbeitskräfte, insbesondere in ländlichen Gebieten, die mit zahlreichen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu kämpfen hätten.

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