Weltweiter Clean-Tech-Boom birgt geostrategische Risiken
Der Markt für Photovoltaik, Windturbinen, Elektroautos, Batterien und Wärmepumpen soll weltweit bis 2035 über 2 Billionen $ erreichen. Nachholbedarf sieht die Internationale Energieagentur in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Nach einer neuen Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris wird der Weltmarkt für „saubere Energien“ bis 2035 die Schallmauer von 2 Billionen $ durchbrechen – allein unter Beibehaltung der bisherigen energiepolitischen Regelungen. Die Prognose entstammt dem neuen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA), „Energy Technology Perspectives 2024“ (ETP-2024).
Basierend auf der aktuellen Politik, könnte der Clean-Tech-Sektor damit fast so groß wie der Erdölmarkt der letzten Jahre werden. Schon im vor zwei Wochen vorgestellten World Energy Outlook zeigte die IEA, dass 2023 die globale Investition in die Produktion sauberer Energien um rund die Hälfte zugelegt hat und mit 235 Mrd. $ einen neuen Rekord erreicht hatte – 80 % davon gingen in die Herstellung von Solar-PV und Batterien.
Wind und E-Autos wachsen schneller als zuvor
Der neue IEA-Bericht zeigt: Die Märkte für Solar, Wind und E-Autos wachsen schneller als je zuvor. Doch der Wettlauf um Produktionsvorteile birgt neue Herausforderungen. Die ergeben sich aus der Verflechtung von Industrie-, Energie- und Handelspolitik. Diese Politikfelder würden, so IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol, immer enger miteinander verflochten, je mehr diese Märkte global wachsen und sie dabei zu den Märkten für fossile Brennstoffe aufschließen würden. In all diesen Bereichen würden Spannungen und Zielkonflikte entstehen, da Regierungen versuchten, einen dreifachen Zielkonflikt für sich möglichst gut zu lösen:
- funktionierende Märkte für saubere Energie aufbauen;
- den Übergang hierzu möglichst kosteneffizient gestalten;
- sichere und resiliente Lieferketten für saubere Technologien aufbauen und sichern.
„Dies erfordert schwierige Entscheidungen darüber, welche Industrien gefördert werden sollen, wie mit Handelspartnern kooperiert werden kann und welche Innovationsbereiche Priorität erhalten“, gibt die IEA in einer Mitteilung zu bedenken. Über all dem liegt eine geopolitische Neuausrichtung, ob es G7 versus Brics-Staaten, China gegen die USA oder Russland und andere totalitär aufgestellte Staaten gegen die Nato und westliche Demokratien heißt.
Weltweit ringen die großen Wirtschaftsregionen über die Vorherrschaft beim Clean-Tech-Boom
Die ETP-2024 sei die erste Analyse ihrer Art, die die Zukunft der Produktion und des Handels mit sauberen Energietechnologien untersucht und dabei detaillierte sektorale Einblicke entlang der Lieferketten biete, so die IEA. Der Einblick offenbart eine globale, harte Konkurrenz um die Führungsrolle auf dem Clean-Tech-Markt. China dominiert heute schon diesen gesamten Markt und viele der Einzelmärkte; insgesamt kontrolliert China laut IEA schon zwischen 40 % bis 98 % der weltweiten Produktionskapazität in den Schlüsselsegmenten der sauberen Energietechnologien. Die USA und die EU haben zu lange geschlafen; jetzt versuchen sie dagegen zu halten und setzen auf milliardenschwere Anreizprogramme wie den US Inflation Reduction Act, der Investitionen von über 230 Mrd. $ für saubere Technologien bis 2030 mobilisieren soll.
Hier wird Ihnen ein externer Inhalt von X (vormals twitter.com) angezeigt.
Mit der Nutzung des Inhalts stimmen Sie der Datenschutzerklärung
von youtube.com zu.
Energy Technology Perspectives 2024 is out now!
The first-of-its-kind analysis shows the global market for key clean technologies — like solar, wind, EVs, heat pumps & more — is on course to triple to more than $2 trillion over the coming decade.
More ⬇️ https://t.co/BVBrJnvYI6
— International Energy Agency (@IEA) October 30, 2024
Rolle der Schwellenländer
Hinzu kommt eine weiterer geopolitisch bedeutender Aspekt des Berichts: die Rolle der Schwellenländer. Heute, so der Bericht, stammten keine 5 % des weltweiten Produktionswerts für Clean-Tech-Produkte aus den Schwellenländern in Südostasien, Lateinamerika und Afrika. Aber schon heute, spätestens mittelfristig, haben sie einerseits einen großen Bedarf an Green-Tech-Produkten, tragen sie doch mehr und mehr zu den Treibhausgasemissionen bei, die es zu verringern gilt. Andererseits sind sie auch heute schon Produktionsstandorte (zum Beispiel Indien) und auch Rohstofflieferanten für diese Produkte. Laut IEA stünde diesen Ländern „die Tür zur Clean-Tech-Ökonomie offen, sofern sie ihre spezifischen Stärken nutzen und Partnerschaften eingehen“.
Klimaziele und Energieeffizienz durch Handelsverschiebung
Ganz konkret erwartet die IEA, dass Südostasien bis 2035 zu einem bedeutenden Standort für die Produktion von Solarmodulen und Elektrofahrzeugen werden könnte: Über 8 Mio. Elektrofahrzeuge könnten dann hier produziert werden (heute sind es 40.000 Stück), davon fast die Hälfte könnte für den Export bestimmt sein. Für Nordafrika, insbesondere Marokko, erwartet der ETP-2024, dass die Region zu einem bedeutenden Hersteller von Batteriematerialien und Batteriezellen wird, mit denen dann vor allem die dort ansässigen Hersteller von Elektroautos versorgt würden. 2035 würden dort 1,8 Mio. Elektroautos hergestellt, 70 % davon würden exportiert, weitgehend ins nahe liegende Europa oder nach Nordamerika.
Saubere Energietechnologien könnten auch die Energieversorgung widerstandsfähiger machen, weil die erneuerbaren Energien nicht ständig Nachschub haben müssen. Öl- und Gastanker müssen beständig fahren, ein Solarpanel oder ein Windrad wird einmal transportiert, aufgebaut und läuft dann. Anfällige Transportrouten wie die Straße von Hormus oder die Durchfahrt vom Golf von Aden ins Rote Meer müssen für die Versorgung fossiler Brennstoffe beständig passierbar sein.
Solar und Wind statt Gas und Öl verschieben die geostrategischen Risiken in der Logistik
„Eine einzige Lieferung Solar-PV-Module erzeugt Stromkapazitäten, die dem Energiegehalt von mehr als 50 großen LNG-Tankern oder 100 Kohletransporten entsprechen“, rechnet zudem die IEA in dem Bericht vor. Clean-Tech-Produkte machen derzeit gerade einmal 0,2 % der weltweiten Handelsmasse aus und etwa 1 % des globalen Handelswertes. Doch, so die IEA, das Potenzial sei enorm. Im Vergleich: Fossile Energien dominieren noch immer mehr als 10 % des Handelsvolumens, während sie nach Masse sogar mehr als 40 % ausmachen.
Doch der Fokus auf Clean-Tech-Produkte schiebt ein neues Risiko für die Energiesicherheit: China und die Straße von Malakka. Etwa die Hälfte des Seehandels mit sauberer Energietechnologie passiert heute schon diese Meeresenge, wobei der Anteil laut IEA-Bericht zukünftig weiter steigen wird. Die Drohgebärden Chinas im südchinesischen Meer kommen hinzu. Aber ohne das Land mit seinen großen Produktionskapazitäten und seinem riesigen Binnenmarkt wird das Ramp-up der Clean-Tech-Produktion weltweit nicht gelingen. China, so die IEA, bleibe auf absehbare Zeit das Zentrum der Weltproduktion sauberer Energietechnologien.