ENERGIE 26. Apr 2018 Manfred Schulze Lesezeit: ca. 6 Minuten

Im Norden sprudeln die Ölquellen

In Deutschland geht seit Jahren die Förderung von Öl und Gas zurück. Doch ausgerechnet bei einem der ältesten Felder ist das anders.

In Emlichheim, nahe der niederländischen Grenze, wird nach Öl gebohrt. Für Wintershall ist das seit Jahrzehnten ein lohnendes Geschäft.
Foto: Wintershall/Christian Burkert

Weit hinein in Richtung Niederlande erstreckt sich die Grafschaft Bentheim im Südwesten Niedersachsens. Obwohl die Landschaft recht holländisch wirkt, stehen hier auffällig wenige Windräder. Dafür aber werden Äcker und Wiesen von zahlreichen Gräben und Kanälen durchzogen – und von einem dichten Netz grüner oder silberner Rohrleitungen. Überall von der Straße aus sind gemächlich nickende Pferdekopfpumpen zu sehen. Sie fördern aus einem der größten und ältesten Felder auf deutschem Boden Erdöl – an einigen Stellen seit mehr als 70 Jahren. Ein Ende der Förderung ist derzeit nicht in Sicht.

Emlichheim

Das Erdölfeld erstreckt sich allein auf der deutschen Seite über rund 6 km² .
Seit Beginn der Förderung wurden dort insgesamt 260 Bohrungen durchgeführt, ca. 110 Bohrungen davon sind heute als Produktionsbohrungen in Betrieb.
Über acht Bohrungen wird Kaltwasser und über weitere neun Bohrungen Heißdampf in den Untergrund gepresst. Damit hofft man, die Förderung auf einem stabilen Jahreslevel von etwa 1,4 Mio. Barrel bzw. 165 000 t halten zu können.

Horst Prei, Betriebsleiter des Öl- und Erdgasproduzenten Wintershall hier in Emlichheim, hat schon einiges von der Welt gesehen. Etliche Jahre arbeitete er in der libyschen Wüste an Bohrlöchern, aus denen das Öl bis heute ohne Unterlass sprudelt. Im Vergleich dazu ist der Standort an der deutsch-holländischen Grenze eher klein. In den großen Ölförderländern hätte man wahrscheinlich irgendwann nach 20 oder 30 Jahren den Hahn zugedreht und eine neue Lagerstätte erschlossen. Wenn rund 30 % des schwarzen Goldes aus dem Gestein gepumpt sind, zieht die Karawane weiter, es lohnt sich einfach nicht mehr.

„Wir machen das in Deutschland grundsätzlich anders, wir setzen auf innovative Erkundungs- und Fördermethoden“, erklärt Prei. „Damit können wir die Lebensdauer bestehender, älterer Ölfelder deutlich verlängern. Und dieses Know-how öffnet uns auch die Türen zu Energiepartnerschaften weltweit.“

Deutsche Öl- und Gasreserven

Laut Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) wurden 2017 aus deutschen Feldern 7,3 Mrd. m³ Erdgas und etwa 2,2 Mio. t Erdöl gefördert – das ist ein Rückgang von 8 % bzw. 6 % gegenüber dem Vorjahr.

Als förderwürdige Reserven werden derzeit 19,6 Mrd. m³ Erdgas und 7,8 Mio t Erdöl genannt – Zahlen, die sich entsprechend der laufenden Investitionen jedoch jedes Jahr verschieben können.

Derzeit, so der Verband, investieren die deutschen Förderer zunehmend im Ausland, weil dort die Kosten, aber auch die Reglementierungen (etwa beim in Deutschland nicht genehmigungsfähigen Fracking) geringer sind.
So ist die geförderte Menge in Emlichheim über 70 Jahre hinweg „auf Plateauhöhe“ von rund 150 000 t Erdöl pro Jahr – und wird es wohl auch noch mindestens ein Jahrzehnt bleiben. „Diese jahrzehntelange Förderung auf einem konstanten Niveau ist Weltrekord“, sagt der Ingenieur.

Das Städtchen hat schon bewegtere Zeiten gesehen. Vor fast 100 Jahren wurde in der Region, nur wenige Kilometer südlich von Emlichheim, der ölhaltige Sandstein entdeckt. Wenngleich das seinerzeit nicht gleich eine Art Goldrausch auslöste, so flossen dann doch während der letzten Kriegsjahre die ersten Tonnen Öl aus der Quelle – damals noch unter einem enormen Personalaufwand. Heute genießt die kleine Gemeinde eher still ihren Wohlstand, es gibt ein bisschen Landwirtschaft, kleines Handwerk und Gewerbe – und natürlich die Wintershall. Doch nur 95 Menschen dort oben im Norden an der Grenze arbeiten heute noch an den Pumpen.

Ludger Lau, ein erfahrener Ingenieur im Ölgeschäft und schon seit mehr als 20 Jahren in Emlichheim, präzisiert das gerne ein wenig: Nein, die Pumpen würden natürlich allein arbeiten, sie würden vollautomatisch gesteuert, auch in der Wasseraufbereitung und dem Kesselhaus müsse nur alle paar Stunden ein Kontrollgang erfolgen. Und in der Überwachungszentrale ebenso. Er öffnet dem staunenden Reporter die Tür – hier sitze niemand, die Bildschirme leuchten nur so vor sich hin. „Wir sind ziemlich hoch automatisiert, bei Bedarf bekommen die Mitarbeiter die technischen Daten aufs Handy und können dann von unterwegs eingreifen“, berichtet Lau, der für die Anlagentechnik verantwortlich ist.

In den Nächten und am Wochenende sind kaum noch Mitarbeiter im Schichtdienst nötig. „Wenn wir Gäste aus dem Ausland hier haben, dann wollen die das zuerst kaum glauben – aber es geht in Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht anders“, sagt er. Emlichheim sei nicht nur eine der ältesten aktiven Quellen überhaupt, sondern wohl auch eine mit der modernsten Fördertechnologie. „Das verstecken wir auch nicht vor der Öffentlichkeit, im Gegenteil“, sagt Horst Prei und zeigt auf große Schautafeln, die überall vor den Anlagen stehen und mit bunten Bildern und kurzem Erklärtext ein wenig Technikwissen vermitteln wollen – zum Beispiel Radlern entlang der „Erdölroute“, einer ca. 32 km langen Strecke für Radtouristen, die sich in der Region über Ölquellen und Fördertechniken informieren wollen.

Peak Oil – der spätestens seit den 1970er-Jahren durch den Club of Rome bekannte Begriff für die Endlichkeit von Rohstofflagerstätten – sorgt bei Prei erst mal nur für ein Lächeln: „Natürlich ist jede Lagerstätte einmal erschöpft“, sagt er. Aber Emlichheim sei doch der Beweis dafür, dass es mit solchen Langfristprognosen so eine Sache ist: „Wir haben inzwischen mit einem Verfahren, bei dem wir Dampf einsetzen, und mit den gerade gewonnenen Daten einer 3-D-Seismik völlig andere Möglichkeiten, mehr als früher aus dem Gestein zu holen“, sagt der Ingenieur. Und das werde auch für die nächsten Jahre noch gelten.

Rückblick in die kühlere Jahreszeit. Tobias Fuhren, Geophysiker und Projektleiter Seismik bei Wintershall, hat in mühevoller Kleinarbeit alles vorbereitet, um den Untergrund nördlich von Emlichheim bis in Tiefen von 900 m neu vermessen zu können. Mit allen Anwohnern musste gesprochen werden, auf deren Grundstücken Geophone stationiert und auch einige bis zu 20 m tiefe Bohrungen niedergebracht wurden. Die nur wenige Zentimeter breiten Löcher nahmen die Schlagladungen auf.

Die in der Tiefe liegenden geologischen Grenzschichten reflektieren nach der Zündung die Schallwellen, die mit entsprechenden Zeitverzögerungen wieder nach oben kommen – wo die Geophone die Daten sammeln. „Früher mussten wir die Punkte alle verkabeln, das funktioniert heute alles per Batterie und WLAN, die Überwachung übernehmen Drohnen“, beschreibt es Tobias Fuhren.

Genutzt werden dafür möglichst kurze Schallwellenimpulse und ein dichtes Netz der Erfassungspunkte: 14 400 der kleinen Geophonstationen hatten seine Mitarbeiter über das gesamte Feld verteilt, über 37 km² – bis weit hinein nach Holland. Jetzt hat Fuhren 1,5 Terabyte Daten auf seinem Rechner, die auszuwerten wohl mehrere Monate dauern wird. „Wir bekommen damit erstmals ein hochauflösendes, dreidimensionales Bild der geologischen Formationen, das es ermöglicht, viel zielgenauer die ertragreichsten Stellen zu erreichen“, sagt er.

Die ersten Bilder, die er schon zeigen kann, sind allerdings für das ungeübte Auge noch wenig anschaulich: Kleine Farbpunkte, viel grau, einige unterbrochene Linien. So ähnlich wie bei einer medizinischen Ultraschalluntersuchung, nur in einem größeren Maßstab. „Für uns sind diese Daten im Vergleich zu den bis zu zwanzig Jahre alten Daten eine völlig neue Qualität: Das ist wie HD-Fernsehen gegenüber einer flimmernden Bildröhre“, versichert der Experte.

Doch das zielgenaue Bohren ist nur ein Weg zur Zukunftssicherung. Auch der Einsatz von Dampf ist nötig. „Wir müssen dem Öl auch richtig Druck machen, damit möglichst viel nach oben kommt”, sagt Ludger Lau und zeigt auf die großen Tanks, Rohrkolonnen und Anlagen. Hier werden Energie, die geförderten Rohstoffe und sogar das Wasser in ausgeklügelten Kreislauftechnologien mehrfach genutzt, um Kosten zu senken. So liefern nicht nur vier große Gasheizkessel Dampf, sondern eine 17-MW-Turbine sowohl den nötigen Strom für den Eigenbedarf von Wintershall als auch noch zusätzlichen Dampf durch die Nutzung der Abgaswärme. Als Brennstoff kommt dabei zudem Erdölbegleitgas zum Einsatz.

Der 300 °C heiße Dampf wird ständig über neun Bohrungen mit mehr als 100 bar bis in den Sandstein gepresst. „Schauen Sie mal“, sagt Lau und dreht an einer Leitung einen kleinen Hahn auf und lässt kurz eine dicke, schwarzbraune Brühe in einen Eimer fließen. „Das Öl ist bei uns recht dickflüssig, fast zäh. Dadurch lässt sich ohne zusätzlichen Druck und vor allem Temperatur nur wenig herausholen. Mit dem Dampf machen wir es schon in der Lagerstätte mobiler, damit bekommen wir viel mehr heraus, als wenn wir mit kaltem Wasser den Druck erhöhen.“

Der Aufwand dafür ist zwar hoch, aber nach Berechnungen von Wintershall dennoch sehr rentabel: Die Energiemenge, die für die Dampferzeugung aufgebracht werden muss, beträgt nur ein Viertel jener Energiemenge, die das so geförderte Öl liefert. Allerdings ist das, was über die vielen Kilometer Erdölleitungen in die zentrale Aufbereitung kommt, alles andere als Rohöl, das raffinerietauglich ist. Je nach Bohrloch besteht die Flüssigkeit aus 80 und mehr Anteilen Wasser – zum Teil sogar bis weit über 90 %. Das hochkonzentriert salzhaltige Wasser wird nach der Trennung vom Öl an Ort und Stelle mit einer Meerwasserentsalzungsanlage zu Destillat umgewandelt und dann bis zur Kesselqualität aufbereitet. Mit dieser nachhaltigen Technologie wird auf den externen Bezug von Wasser aus Tiefbrunnen für die Dampferzeugung vollständig verzichtet.

Und wie sieht die Zukunft von Emlichheim aus? Prei zeigt auf eine Karte des Ölfeldes, auf der einzelne Sektoren eingezeichnet sind. „Es wird noch sehr lange möglich sein, täglich rund 450 t Rohöl für die Raffinerie zu produzieren“, sagt er und verweist auf die Prozentzahlen, die für jedes Feld vermerkt sind. Einige Werte liegen bereits jenseits der 50-%-Marke, andere noch unter 20 %.

„Wir haben erst im letzten Jahr rund 30 Mio. € in ein Dutzend neue Bohrungen investiert – und das werden nicht die letzten Bohrungen sein“, verspricht Prei. Denn wenn in einem Jahr die neuesten seismischen Daten vorliegen, habe man noch einen zusätzlichen Vorteil. Danach, freut sich Prei schon jetzt, könne man die nächsten Bohrungen bis auf 10 m genau an die aussichtsreichen Stellen setzen. „Wir haben hier noch Öl für viele Jahre“, ist der Ingenieur überzeugt.

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