Ukraine 24. Nov 2022 Von Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 2 Minuten

Kernkraft: Marodes Stromnetz in der Ukraine gefährdet Sicherheit

Das aktuelle russische Bombardement gefährdet nicht nur das Kernkraftwerk Saporischschja, sondern auch die anderen KKW des Landes. Knackpunkt ist eine mangelhafte externe Stromversorgung.

Dmitry Shevchenko, ein Angestellter des russischen Kernkraftwerksbetreibers Rosenergoatom, an einem Einschusskrater am Gelände des ukrainischen Kernkraftwerks Saporischschja. Russland und die Ukraine beschuldigen sich gegenseitig des Beschusses in den letzten Tagen. Das KKW Saporischschja ist daher seit gestern, dem 23. November 2022, erst einmal vom Stromnetz getrennt. Das Bild stammt von der russischen Agentur Sputnik, eine Verifikation der mitgelieferten Angaben ist nicht möglich.
Foto: imago images/Alexey Kudenko / Sputnik

Gestern, am Abend des 23. November 2022, meldete die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) in Wien in ihrem News-Update 131 zur Lage in der Ukraine, dass – mal wieder – das ukrainische Kernkraftwerk (KKW) Saporischschja vom externen Netz getrennt sei und sich auf seine Notstromdiesel verlassen würde. Genauer gesagt auf acht der 20 Notstromdiesel.

Kernkraftwerke in der Ukraine: „Das größte Risiko ist die Verfügbarkeit der Mannschaft“

Die sechs Reaktoren des Kraftwerks seien in einem sicheren und stabilen Betriebsmodus. Die Reaktoren eins bis vier befänden sich in einem „cold shutdown“ und blieben auch dort. Die Reaktoren fünf und sechs, die bisher das gesamte Kraftwerk und die benachbarte Stadt Enerhodar mit Dampf und Fernwärme notversorgten, würden ebenfalls für einen „cold shutdown“ vorbereitet.

Warum braucht ein Kernkraftwerk wie das KKW Saporischschja Strom?

Kernkraftwerke produzieren Strom, brauchen aber für einen sicheren Betrieb selbst Elektrizität – auch wenn sie nicht Strom produzieren: für die Reaktorkühlung (auch für die Nachkühlung nach einer Abschaltung) und für eine ganze Reihe anderer Sicherheitsfunktionen. Das Betriebsteam eines KKW kann bei einer Trennung vom externen Stromnetz einen „Lastabwurf auf Eigenbedarf“ fahren. „Das ist ein relativ komplexer Vorgang“, weiß Uwe Stoll, technisch-wissenschaftlicher Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln.

Die GRS erläutert auf ihrer Internetseite sehr detailliert, was in einem KKW bei einem Netzausfall passiert

Stoll erläuterte VDI nachrichten, was dann in einem KKW wie in Saporischschja passiert: „Das heißt, die 1000-MW-Turbine, die sich unter Volllast mit 1500 Umdrehungen/min dreht, binnen weniger Sekunden auf 50 MW herunterzufahren. Da müssen Armaturen mit 450 ms schließen. Als Ergebnis läuft der Reaktor mit 30 % Leistung und die Turbine mit 5 % Leistung. Die Anlage kann sich in diesem Zustand tagelang halten – wenn dieser Prozess funktioniert. Da das ein komplexer Vorgang ist, klappt das aber nicht immer.“

Beschuss von Atomkraftwerken: „extrem besorgniserregende Lage“

War das KKW aber schon nicht mehr im Leistungsbetrieb, oder hat der Lastabwurf auf Eigenbedarf nicht geklappt, dann stehen als Back-up auf dem Kraftwerksgelände Notstromaggregate wie Notstromdiesel bereit. Doch das ist nur ein zeitlich befristetes Back-up, beim KKW Saporischschja reichen die 20 Notstromdiesel mindestens für zehn Tage.

IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi hatte bereits im März 2022 sieben „unverzichtbare“ Pfeiler für einen sicheren Reaktorbetrieb identifiziert: Einer davon ist eine sichere Netzanbindung.

Den Kernkraftwerken in der Ukraine droht der Stromverlust

Doch das, was beim KKW Saporischschja seit den Anfangstagen des Krieges schon mehrmals passiert ist, ist inzwischen auch bei den anderen KKW in der Ukraine eingetreten. Betreiber Energoatom teilte mit, dass aufgrund der nachlassenden Netzfrequenz – eine Folge des anhaltenden Beschusses der ukrainischen Energieinfrastruktur durch Russland – auch die KKW Riwne, Südukraine und Chmelnyzkyj automatisch als Sicherheitsmaßnahme vom Netz getrennt werden mussten. Die drei KKW sollen Energoatom zufolge nach einer Stabilisierung des Stromnetzes wieder einspeisen.

Allerdings: Kernkraftwerke sind nicht schwarzstartfähig, sie brauchen also ein bereits mit Strom versorgtes Stromnetz, in das sie einspeisen können und können es nicht von sich aus aufbauen. Hintergrund sei, so die GRS, dass Verbraucher wie die Hauptkühlmittelpumpen nicht über die Notstromdieselgeneratoren versorgt werden könnten. Der Vorteil der jetzt abgeschalteten ukrainischen KKW ist, dass alle mindestens aus zwei Blöcken bestehen. Läuft einer, kann er den oder die anderen mit Strom zum Wiederanfahren versorgen.

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