Kilowattstundengenau
Es gibt Ladesäulenhersteller, die die Hürden des Eichrechts für den Ladevorgang genommen haben. Doch die Industrie bittet die Politik um Aufschub.
Lange Zeit wurde an vielen Ladesäulen für das elektrische Fahren nur pauschal abgerechnet. Das ändert sich jetzt, denn für das Abrechnen nach Kilowattstunden (kWh) bekamen in den letzten Monaten gleich drei Hersteller von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) die Bestätigung, dass ihre Ladesäulen eichrechtskonform arbeiten. Die Firmen Mennekes und EBG compleo aus Nordrhein-Westfalen sowie die niederländische Firma Ecotap erhielten für ihre Ladesäulen von der PTB Baumusterprüfbescheinigungen.
Zuvor war Innogy mit seiner Kombination von Backend und Ladesäule der einzige Anbieter gewesen, der sich auf Eichrechtskonformität berufen konnte. Das Unternehmen hatte 2014 noch nach dem damals gültigen Eichgesetz (EichG) eine Bauartzulassung für ein Einzelprodukt erhalten. Bei der Bauartzulassung handelt es sich um eine behördliche Genehmigung, die für ein bestimmtes Produkt beziehungsweise für einen bestimmten Einsatzzweck gilt. Eine Baumusterprüfbescheinigung hingegen wird nach dem seit 2015 geltenden Mess- und Eichgesetz (MessEG) ausgestellt.
Beim Blick aufs Stromzählen ist es für Otto und Anna Normalverbraucher vielleicht verwunderlich, dass es so schwierig sein soll, bis eine Ladesäule eichrechtskonform arbeitet. Schließlich hängt in jedem Haushalt ein ebenfalls geeichter Strom-, Gas- oder Wasserzähler. Und deren Wirken ist schließlich EU-weit geregelt über die EU-Messgeräterichtlinie 2004/22/EG, im Englischen Measuring Instruments Directive, kurz MID. So ein MID-gerechter Zähler zählt beim Stromzählen den sogenannten Wirkverbrauch und zwar für die Anwendungsbereiche Haushalt, Gewerbe und Leichtindustrie.
Ein Stromzähler steckt auch in jeder Ladesäule für Elektroautos. Damit ein E-Auto-Fahrer tanken kann, braucht es aber mehr als die Energiemessung in kWh. Nicht nur die Messung der kWh muss eichrechtskonform sein, sondern auch deren Abrechnung beim Kunden.
So muss beim Ladevorgang eines Elektroautos ein Zeitstempel gesetzt werden, zudem soll auch die tankende Person authentifiziert werden. Das sind die Punkte, an denen es staatlichen Kundenschutz braucht und die über den Geltungsbereich der MID hinausgehen.
Nach Angaben der PTB werden diese Punkte national im Mess- und Eichrecht geregelt. Was in Deutschland wie genau in diesem Sinne gemessen werden muss, ermittelt der Regelermittlungsausschuss (REA) nach § 46 MessEG auf der Basis des Stands der Technik. Das gilt auch für eichrechtskonforme Ladesäulen für Elektroautos, für die der REA konkrete Regeln, Erkenntnisse und technische Spezifikationen festgelegt hat.
„Das Eichrecht ist nicht das wesentliche Hemmnis für Elektromobilität, wie oft behauptet wird“, sagt Martin Kahmann, Leiter des Fachbereichs Elektrische Energiemesstechnik der PTB. Die PTB habe umfangreiche, für die Zertifizierungsverfahren notwendige Unterlagen und Informationen für Unternehmen rechtzeitig zur Verfügung gestellt und mit Herstellern ausführliche Beratungsgespräche durchgeführt, um die Verfahrensaufträge vorzubereiten.
Der Nettoaufwand für die Genehmigungsverfahren kann sich laut Kahmann auf wenige Wochen beschränken, wenn die vorgestellten Ladesäulen auf Anhieb alle Anforderungen erfüllen. Dieser Aufwand besteht aus messtechnischen Prüfungen der Ladeeinrichtungen, Dokumentenprüfungen, Klärungsgesprächen und der Erstellung des umfassenden Zertifikatstextes.
Aufgrund der inzwischen entstandenen Warteschlange gebe es jedoch Wartezeiten in der PTB, räumt Kahmann ein. Deshalb hat die Behörde zusammen mit den Konformitätsbewertungsstellen VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut GmbH in Offenbach und CSA Group Bayern GmbH in Straßkirchen ein arbeitsteiliges „Drei-Partner-Konzept“ erarbeitet. Der Arbeitsaufwand für die Baumusterprüfbescheinigungsverfahren werde auf diese Weise auf mehrere Schultern verteilt und der Marktzugang für eichrechtkonforme Ladeeinrichtungen erheblich beschleunigt.
Rund 30 Unternehmen entwickeln seit Juni im Rahmen der länderübergreifenden S.A.F.E.-Initiative (Software Alliance for E-Mobility) eine gemeinsame „Transparenzsoftware“ für den eichrechtskonformen Betrieb von Ladestationen. Damit soll über eine Ende-zu-Ende-Signatur eine „transparente“ Abrechnung ermöglicht werden, mit der Nutzer jederzeit die Richtigkeit der erfassten Werte prüfen können. Zu den ersten Mitgliedern von S.A.F.E. gehören die Ladesäulenhersteller Wallbe, ABL und Keba sowie der österreichische Softwareentwickler has·to·be.
Auch Hersteller Mennekes ist dabei. Die Ladesysteme der Sauerländer erfassen seit Jüngstem die relevanten Werte einzelner Ladevorgänge mit einem geeichten Messgerät; über einen eichrechtskonformen Zähler in der Ladesäule lassen sie sich ablesen. Die Datensätze werden signiert und die Nutzer-ID gemeinsam mit den Zählwerten an die Backend-Software übermittelt. Dort werden die Datensätze der Ladevorgänge sicher gespeichert. Der Stromanbieter kann bei Bedarf darauf zugreifen.
Über die Transparenzsoftware können auch Kunden – so bei Reklamationen – die Signatur der Ladevorgänge vom eigenen PC aus überprüfen. Mennekes will im Oktober die ersten eichrechtskonformen Ladesäulen ausliefern. „Das Erreichen der Eichrechtskonformität war ein ordentliches Stück Arbeit“, bestätigt Marketingleiter Alfred Vrieling.
Der niederländische Hersteller Ecotap erhielt bereits im Juli für seine Ladestation die erste Baumusterprüfbescheinigung der PTB. Die Firma hat erst vor Kurzem eine große europäische Ausschreibung für Ladepunkte gewonnen und wird in zwei niederländischen Provinzen 4500 Ladepunkte installieren.
Vielleicht geht es auch ganz anders: Das Speicher- und Anzeigemodul SAM der EBG compleo GmbH aus Lünen kommt ohne Transparenzsoftware aus. Es speichert Anfangs- und Endzählerstand der Ladevorgänge lokal und kann diese auch über „einen ausreichend langen Zeitraum“ lokal anzeigen. Es soll sich für alle Betreiber unabhängig vom Backendsystem eignen. Energieversorger Eon gab bekannt, mit diesen Modulen sein Netzwerk ausrüsten zu wollen, das bislang rund 4000 Ladepunkte umfasst.
Doch die Umsetzung der Eichrechtskonformität ist nicht ganz so einfach. Längst regt sich Widerstand. Claas Bracklo formuliert es provokant: „Die Industrie kann das nicht. Noch nicht.“ Bei den Wechselstrom-Ladesäulen (AC-Ladesäulen) gebe es jetzt Lösungen. Bis Mitte des ersten Halbjahres 2019 sei das umsetzbar, so der BMW-Manager, der beim Verband der Automobilindustrie für die Elektromobilität zuständig ist. Aber, so gibt Bracklo zu bedenken: Alle Hersteller von Ladesäulen müssten die Eichrechtskonformität beherrschen, nicht nur vereinzelte wie Menneckes oder Innogy. Die Anbieter brauchen Zeit, um das zu industrialisieren.
Für Schnellladesäulen gebe es noch keine gute technische Lösung, erklärt Bracklo und ergänzt: „Vor Mitte 2020 kriegen wir das nicht hin.“ Dazu braucht es signifikante Stückzahlen. Allerdings habe man es beim Thema Ladesäulen oft mit Mittelständlern mit ein paar Hundert Mitarbeitern zu tun. „Der kann nicht ein paar Hunderttausend Euro in die Entwicklung investieren.“
„Die päpstliche Anwendung würde die Elektromobilität kaputt machen“, glaubt der BMW-Manager. Das dürfe beispielsweise die Altbestände nicht betreffen. „Ladesäulen gibt es nicht aus der Schublade. Das ist immer noch Handmanufaktur.“
Für Bracklo steht noch nicht fest, ob die kilowattstundengenaue Abrechnung tatsächlich für die Kunden das Beste sei. Auch in der Telekommunikation hätten sich flexible Tarife und auch Flatrates bewährt.
Am letzten Montag ging ein Schreiben ans Bundeswirtschafts- sowie ans -verkehrsministerium. „Wir brauchen einen Bestandsschutz“, so lautet eine der zentralen Forderungen des Verbandes Charging Interface Initiative (CharIN). In ihm ist die gesamte Industrie vertreten – Ladesäulenhersteller ebenso wie die Automobilindustrie. Sie alle bitten um Aufschub. „Wir brauchen Zeit, um intelligente, preiswerte und industrietaugliche Lösungen zu entwickeln, die zudem für ganz Europa gelten.“ Weltweit hätte dafür sowieso keiner Verständnis, so Bracklo.
Mit Material von Regine Bönsch und Stephan W. Eder