Lieferstopp von russischem Gas: Polen ist vorbereitet, Bulgarien hat einen Alternativplan
Der russische Erdgaskonzern Gazprom hat heute morgen die Lieferungen nach Polen und Bulgarien eingestellt. Die Gasversorger in den beiden EU-Staaten hatten ihre Rechnung weiterhin vertragsgemäß in Euro oder Dollar beglichen – und nicht in Rubel. Eine Einordnung.
Russland macht heute Morgen ernst: Der staatliche russische Energiekonzern Gazprom stellte die direkten Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien ein. Der polnische Vertragspartner von Gazprom, der Erdgasversorger Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo SA (PGNiG), teilte heute Morgen mit, dass Gazprom die Erdgasversorgung im Rahmen des Jamal-Vertrags über die gleichnamige Pipeline gestoppt habe. „Die Entwicklung hat keine Auswirkung auf laufende Lieferungen an die Kunden von PGNiG, die ihren Brennstoff vollumfänglich entsprechend ihrem Bedarf erhalten“, heißt es.
Putins ökonomische Rasierklinge hat zwei scharfe Seiten
Auf der Internetseite des bulgarischen Vertragspartners Bulgargaz wurde eine entsprechende Liefereinstellung bis zum Mittag des 27. April 2022 noch nicht bestätigt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa liefen die Erdgaslieferungen nach Worten des bulgarischen Energieministers Aleksandar Nikolow am Morgen weiter. Es wurde erwartet, dass sie im Laufe des Tages eingestellt werden. Nikolow warf Russland laut dpa vor, Gas als politische und wirtschaftliche Waffe einzusetzen.
Erdgasstopp aus Russland: Polen ist vorbereitet
Die polnische Regierung gibt sich gut vorbereitet. Heute morgen war der polnische stellvertretende Außenminister Szynkowski vel Sek in einem Interview im Deutschlandfunk betont gelassen: „Wir sind gut vorbereitet.“ Polen hatte zwar bis 2015 ebenfalls – wie Deutschland – auf russische Gaslieferungen gesetzt, aber seitdem unter der PiS-Regierung gegengesteuert. Man habe mit diesem Schritt seitens Russland schon in den vergangenen Jahren gerechnet.
Die Erdgasspeicher des Landes sind Szynkowski vel Sek zufolge zu fast 80 % gefüllt – wesentlich mehr als im europäischen Durchschnitt von rund 32 %. Ab Mai werde Polen Erdgas über einen schwimmenden LNG-Terminal in Litauen nutzen, ab Sommer komme Gas über die Slowakei. Polen habe ohnehin geplant, in diesem Jahr die Abhängigkeit von russischem Erdgas „auf null Prozent zu setzen. Sowieso haben wir geplant, ab Anfang nächsten Jahres völlig von dem russischen Gas unabhängig zu sein“, sagte er. Derzeit betrage die Abhängigkeit von russischem Gas „ein bisschen mehr als 50 %“. Für Deutschland liegt die Zahl bei 55 %.
Erdgasstopp aus Russland: Bulgarien setzt auf EU-Solidarität
Bulgarien ist wesentlich abhängiger von russischem Erdgas als Polen oder Deutschland. Das EU-Land versorgt sich bei Erdgas fast nur aus Russland und damit über Gazprom. „Die Versorgung wichtiger Abnehmer mit Gas sei für mindestens einen Monat gesichert“, sagte Energieminister Aleksandar Nikolow laut dpa. Ministerpräsident Kiril Petkow betonte, man werde dieser Erpressung nicht nachgeben, und sagte mit Hinweis auf gemeinsames EU-Handeln: „Es gibt einen klaren Plan. Die europäische Antwort wird eine gemeinsame sein.“
Bulgarien wird bisher über die Turkstream-Pipeline versorgt, eine von Gazprom finanzierte Pipeline längs durch das Schwarze Meer, die im nördlichen, europäischen Teil der Türkei anlandet. Aber auch Bulgarien hatte sich auf einen Lieferstopp vorbereitet. Ab Juni wird das Land über Griechenland angebunden, eine weitere Diversifizierung ist geplant.
Gazprom begründet Lieferstopp mit ausbleibenden Zahlungen
Gazprom begründete den Lieferstopp damit, das PGNiG und Bulgargaz nicht rechtzeitig in Rubel gezahlt hätten. Die Verträge laufen indes auf Dollar, wie zum Beispiel Bulgarien bestätigte, gezahlt worden sei pünktlich. Wladimir Putin hatte im März gefordert, dass „unfreundliche Länder“ ab 1. April Konten bei der Gazprombank eröffnen müssen, um Lieferungen in Rubel zu bezahlen. Das Ganze solle so laufen, dass die Vertragsparteien von Gazprom weiterhin in Euro oder Dollar – je nachdem wie vereinbart – zahlen können, und die Gazprombank dieses Geld dann in Rubel konvertiert und an Gazprom überweist. Dennoch stoppt Gazprom jetzt die Lieferungen.
Wenn Russland den Gashahn zudreht: Woher kommen die Alternativen?
Gazprom habe Polen und Bulgarien gewarnt, aus den durch ihre Länder führenden Pipelines russisches Gas abzuzapfen, berichtete dpa: „Bulgarien und Polen sind Transitländer. Wenn sie unerlaubt russisches Gas aus den Transitmengen für Drittländer entnehmen, werden die Transitlieferungen in dieser Höhe gesenkt.“
So führt die Jamal-Pipeline, aus der Polen bisher versorgt wird, weiter bis nach Deutschland ins brandenburgische Mallnow. Früher war dies eine Hauptroute für russisches Erdgas nach Deutschland und Westeuropa, bis Gazprom die North-Stream-Route durch die Ostsee direkt nach Deutschland fertigstellte. Turkstream verzweigt sich in einen Teil Richtung Türkei und in einen weiteren Richtung Balkan, der durch Bulgarien hindurch bis nach Rumänien führt.
Erdgasstopp: Wie lange braucht Deutschland?
Als Bremser in Sachen eines bewussten Importstopps für russisches Gas gelten in der EU bisher Deutschland und Ungarn – nicht Bulgarien. Allerdings wäre ein Lieferstopp von Gazprom nach Deutschland eine politisch deutlichere Ansage gewesen. Doch die Liefermengen wären auch andere gewesen, heißt es. Auch für Moskau wäre ein größerer Ausfall zu verzeichnen gewesen und Polen war als Geschäftspartner ohnehin mit Ansage bereits von der Stange gegangen.
Es ist ein Versuchsballon; wie im bisherigen Verlauf der Entwicklung bis hin zur Kriegseröffnung immer schon erkennbar, eine weitere stückweise Eskalation. Aber diese Stufe zündete Moskau erst nach der Heizperiode, auch das gilt es zu vermerken. Falls der Kreml diesen Exportstopp jetzt stückchenweise weiter ausweitet, dürften die Debatten um ein „Embargo“ für russisches Erdgas in Deutschland vielleicht schneller obsolet sein, als manche es gerne hätten.