Gesetz wird Makulatur 09. Aug 2024 Von Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 4 Minuten

Nukleares Endlager wird zur Ewigkeitslast

Die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll könnte sich noch bis 2074 hinziehen. Das ergab eine Studie des Öko-Instituts für das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base). Die Bundesregierung rechnet trotzdem mit 2050 und nicht mit 2074.

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Drei Atommüllfässer mit symbolischem Endlager-Ortsschild vor Deutschlandflagge sollen die umstrittene Endlagersuche im Land darstellen. Die hat jetzt neue Nahrung erhalten. Die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll könnte sich noch bis 2074 hinziehen. Das ergab eine Studie des Öko-Instituts.
Foto: imago/blickwinkel

Es geht um einen Satz, zu lesen in §1, Absatz 5 StandG (Standortauswahlgesetz): „Die Festlegung des Standortes wird für das Jahr 2031 angestrebt.“ Das ist in sieben Jahren. Dann soll ein Standort für das deutsche Endlager für hoch radioaktive Abfälle gefunden sein. Also den Müll, den wir mit unseren Kernkraftwerken über Jahrzehnte produziert haben. Die Krux: Das Gesetz ist in diesem Punkt erklärtermaßen Makulatur, das wissen alle. Das ist sogar amtlich. Im November 2022, vor knapp zwei Jahren, teilte das zuständige Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) mit, dass der Zeitplan bis 2031 nicht zu halten sei. Am 10. November 2022 bestätigte die zuständige Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), dass 2031 nicht zu halten sein wird. 2046, so die BGE damals, sei noch das günstigste Datum, vielleicht auch erst 2068.

Jetzt hat das BMUV am 7. August 2024 nachgelegt. Mit einer Studie, die das Öko-Institut im Auftrag des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base) seit 2020 erstellt hat. 2074 wird dort als neues ideales Fernziel adressiert. „Unter den diesem Projektablaufplan zugrunde liegenden idealen Bedingungen ist demzufolge mit einer Standortentscheidung frühestens im Jahr 2074 zu rechnen“, heißt es in der Studie.

Gleichzeitig kassierte die Bundesregierung über das BMUV de facto am 8. August nachmittags diese Prognose wieder. Bis 2050 werde ein Endlager für hochradioaktive Abfälle in Deutschland gefunden sein, meldetw die deutsche Presseagentur mit Berufung auf das BMUV.  Das Ministerium bezog sich dabei auf die Planungen der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) und fügte hinzu, dass dabei noch nicht alle „für möglich erachteten Beschleunigungspotenziale berücksichtigt sind“.

Erst eine journalistische Recherche fördert Studie zum Endlager zutage

Wobei der Deutschlandfunk mit seinen Recherchen erst die Existenz des Papiers zutageförderte, das seit Februar dieses Jahres fertig im Base lag. Offizielles Fazit des Base zur Studie: Es zeige sich, dass „auf Grundlage einer umfassenden Analyse deutlich mehr Zeit für das Gesamtverfahren benötigt wird. Ein verbindlicher Zeitplan bis zum Abschluss des Verfahrens liegt bisher nicht vor. Die im vorliegenden Schlussbericht, aber auch von der BGE identifizierten verschiedenen Beschleunigungspotenziale gilt es daher einer weiteren Analyse zu unterziehen.“ „Mehr Zeit“ ist da wohl die Umschreibung für „frühestens 2074“.

BMUV-Chefin Steffi Lemke betont gegenüber der ARD, das Gutachten bilde jüngste Fortschritte nicht ab. „Diese Studie hat nicht alle aktuellen Informationen und Fakten einbeziehen können, weil wir in den letzten Monaten eine Entwicklung hatten, die dynamisch ist“, sagte die Grünen-Politikerin. „Für mich bleibt das Petitum, dass wir so schnell wie möglich ein Endlager finden müssen, das so sicher wie möglich ist – für uns und auch für die kommenden Generationen.“ Aber wann und wie? Denn nach 2074 ist ja frühestens erst einmal ein Standort sicher. Das Lager gibt es dann noch nicht.

Politik und Behörden wirken überfordert mit der Endlagersuche

Für die Bundespolitik droht die nukleare Endlagerung zur Ewigkeitslast zu werden. Das Eisen ist offenbar dermaßen heiß, das sich niemand rantraut. Dafür spricht, was auch der Deutschlandfunk über die Recherche zur Studie berichtet: „Erst zwei Tage nach der Anfrage des Deutschlandfunks zur Existenz des Gutachtens wurde es nach Angaben des Base am 25. Juli offiziell an das BMUV übergeben. Das Gutachten trägt ein Vorwort des Base, das auf Juli 2024 datiert ist und die Jahreszahl 2074, eine zentrale Erkenntnis des Gutachtens, nicht aufgreift. Schriftlich ließ das Bundesamt wissen, dass eine Veröffentlichung für den Herbst geplant sei. Als Folge der Recherchen des Deutschlandfunks veröffentlichte das Base den Bericht jedoch bereits am 6. August.“

Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer sieht nach Angaben der dpa die möglicherweise deutlich längere Suche nach einem Endlager für Atommüll in Deutschland mit Sorge. Die jetzigen Zwischenlager dürften nicht zu Dauerlagern werden, warnte der Grünen-Politiker. Die erste Genehmigung für ein Zwischenlager läuft bereits 2034 aus, nämlich für das große Zwischenlager in Gorleben in Niedersachsen. Die letzten Zwischenlagergenehmigungen laufen bis 2046, zum Beispiel am Kernkraftwerksstandort im niedersächsischen Grohnde. „Ich fordere daher vom Bund, endlich mehr Tempo in die Endlagersuche zu investieren und das Thema nicht auf kommende Generationen zu schieben“, sagte Meyer der dpa.

Das Endlagerproblem wirkt sich auf die Zwischenlagerstandorte aus

Das ungelöste Endlagerproblem droht also langfristig auf die Zwischenlager abgewälzt zu werden. Betroffene Gemeinden fürchten eine schleichende Umwidmung der bundesweit verteilten Zwischenlager zu dezentralen Endlagern. Die für die Zwischenlagerung zuständige Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) wird denn auch nicht müde zu versichern: Bislang gebe es keine Erkenntnisse, die darauf hindeuteten, dass eine sichere Zwischenlagerung in den bestehenden Lagern über die 40 Jahre hinaus nicht möglich sei. „Das Konzept der Zwischenlagerung ist zudem so robust ausgelegt, dass es keine Effekte gibt, bei denen die Sicherheit plötzlich und unerwartet gefährdet wäre“, so die BGZ gegenüber VDI nachrichten (s. unseren Fokus vom Mai) noch in diesem Frühjahr. Aufgrund des „umfassenden Alterungsmanagements“ sei man „überzeugt, die sichere Zwischenlagerung auch in den nächsten Dekaden gewährleisten zu können“, heißt es.

Politisch ist das Thema heikel. Tut sich lange nichts, poppt das Problem bald an den Zwischenlagerstandorten auf. Und das ungelöste Endlagerproblem fällt so den betroffenen Kommunen, Bundesländern und dem Bund auf die Füße. Tut sich aber bald was in Sachen Endlager – und es geht erst einmal um die Standortsuche –, wird es nicht besser. Dann nämlich wirds konkret. Keiner will das Endlager haben. Wenn die BGE also wirklich wie avisiert bis 2027 bis zu zehn Standortregionen in Deutschland bekannt gibt, die auf ihre Endlagertauglichkeit hin geprüft werden sollen, geht es erst richtig los. Die Bevölkerung muss eingebunden werden. Wenn sich das aber ab heute mindestens 50 Jahre hinzieht, bis endlich ein Standort feststeht, ist das einfach ein Zeitraum, der für eine solchen Prozess definitiv zu lang ist. Sprich: Diese Länge ist für die Leute vor Ort unzumutbar. Aber so oder so: Es ist ein Thema, an das keine Bundesregierung ein Jahr vor der Bundestagswahl, unbedingt noch einmal ranwill.

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