Solarbranche setzt auf „made in Europe“ 21. Okt 2021 Von Hans-Christoph Neidlein Lesezeit: ca. 5 Minuten

Photovoltaik: Revival für das Solar Valley in Ostdeutschland

Die europäische Solarbranche investiert wieder in neue Produktionsstätten und eigene Produktionstechnik. Vielleicht das Ende eines jahrelangen Dornröschenschlafs und der Beginn einer Aufholjagd.

Investitionen in der deutschen Photovoltaikbranche: Neben Solarwatt (Bild) haben auch Meyer Burger und Heckert Solar in Ostdeutschland neue Modulkapazitäten errichtet. Das Bild zeigt die Solarwatt-Modulproduktion in der neuen Fertigung in Dresden, die der Hersteller am 23.9.2021 offiziell eröffnete.
Foto: Solarwatt

Walburga Hemetsberger, Chefin des europäischen Solarbranchenverbands Solarpower Europe, ist optimistisch. Denn die Photovoltaik ist auf der Überholspur und wird laut den Prognosen der Studie des Branchenverbands „A 100 % Renewable Europe“ im Jahr 2050 mit einem Anteil von 60 % die tragende Säule der Stromversorgung des „alten Kontinents“ sein.

Mindestens 40 % des Endenergieverbrauchs in Europa müssen laut den Vorgaben aus Brüssel bis 2030 erneuerbar gedeckt werden, um die verschärften Klimaschutzziele zu erreichen. Laut Berechnungen von Solarpower Europe erfordert dies eine Zunahme der gesamt installierten Photovoltaiknennleistung auf 660 GW innerhalb dieses Jahrzehnts, fast viermal so viel wie derzeit.

EU-Green-Deal stützt Aufbau eigener Solarproduktionen in Europa

„Ein starkes Momentum“ für die Renaissance der Photovoltaikproduktion in Europa sieht Hemetsberger allein schon wegen der politischen Vorgaben, wie sie Anfang Oktober auf dem „High Level Industry Forum“ der Fachmesse Intersolar Europe in München betonte. Starke Treiber hierfür sind die aktuellen Turbulenzen in den weltweiten Lieferketten und eine problematische einseitige Importabhängigkeit von Asien, vor allem China. Hinzu kommen gestiegene Transportkosten, die Diskussion über den CO2-Fußabdruck von Produkten und die Arbeitsbedingungen bei deren Fertigung.

Hoffnungsvoll stimmt Hemetsberger, dass sowohl EU-Industriekommissar Thierry Breton als auch EU-Energiekommissarin Kadri Simson die vom Branchenverband Anfang 2021 initiierte „European Solar Initiative“ unterstützen. Ihr Ziel ist, bis 2025 in Europa eine Produktionskapazität von 20 GW für Photovoltaiktechnologien aufzubauen. Jährlich sollen so 40 Mrd. € zur Wertschöpfung beitragen und 400 000 neue direkte und indirekte Arbeitsplätze geschaffen werden.

Solar ist für EU zentrales Element der Industriestrategie

Als Durchbruch auf der politischen Ebene bewertet Hemetsberger, dass die EU-Kommission im Mai 2021 in ihrer aktualisierten Industriestrategie die Solar Initiative als zentrales Element anerkannte. Die Herausforderung ist jedenfalls groß, wanderte doch der Großteil der Solarfertigung vor gut zehn Jahren von Europa nach Asien ab. Rund 90 % aller Solarmodule und -zellen sowie die meisten Vorprodukte werden mittlerweile in Asien, vor allem in China, im großen Stil kostengünstig gefertigt.

Bisher seien alle Versuche lokaler Produzenten gescheitert, ein konkurrenzfähiges Solarmodul für den Massenmarkt zu etablieren, konstatiert Martin Schachinger, Geschäftsführer der Handelsplattform PV-Xchange. Die Einführung von EU-Zöllen auf den Import von Solarzellen und -modulen aus China in den Jahren 2013 bis 2018 konnte die heimische Industrie nicht retten. So betrug die gesamte Fertigungskapazität von kristallinen Solarzellen in Europa Ende 2020 gerade einmal 0,65 GW, von Solarmodulen 6,25 GW und von Ingots und Wafern 1,25 GW.

Neue Solarmodulfertigungen in Ostdeutschland

Nun bewegt sich etwas. So weihte das Schweizer Unternehmen Meyer Burger im Mai 2021 zwei Produktionsstätten in Sachsen-Anhalt und Sachsen mit einer Jahreskapazität von 0,4 GW Solarzellen und 0,4 GW Solarmodulen ein. Bis 2026 ist ein Ausbau auf 5 GW geplant und es sollen bis zu 3500 direkte Arbeitsplätze geschaffen werden. Im September startete Solarwatt in Dresden eine neue Fertigung von Glas-Glas-Solarmodulen mit einer jährlichen Produktionskapazität von 0,3 GW.

Das baden-württembergische Start-up Nexwafe kündigte jüngst an, im ehemaligen Solar Valley in Bitterfeld-Wolfen preisgünstig Siliziumwafer in Massenproduktion herzustellen. Das Unternehmen hat laut eigenen Angaben ein Verfahren entwickelt, das den Siliziumverlust bei der Waferherstellung um 90 % reduziert. Bereits 2020 erhöhte das norwegische Unternehmen Norsun die jährliche Produktionskapazität von 0,45 GW auf 1 GW von monokristallinen Siliziumblöcken und -wafern. Bis 2024 möchte das Unternehmen auf 4 GW bis 5 GW erweitern.

Eigene Solarproduktion besser als dauerhafte Abhängigkeit von chinesischen Zulieferern

Derzeit gibt es in Europa acht Produktionsprojekte für Solarzellen und -module im Gigawatt-Maßstab, so Solarpower Europe. Dazu zählt auch die Greenland Gigafactory im spanischen Andalusien. Das im Frühjahr 2021 gegründete Unternehmen will innerhalb von zwei Jahren eine hoch automatisierte, integrierte Photovoltaikproduktion mit 5 GW Jahreskapazität in einer Freihandelszone des Hafens von Sevilla aufbauen.

Beratend begleitet wird das Projekt vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Die Fabrikplanung und Auslegung kommen maßgeblich von Bosch Rexroth. Bei der Technologiewahl für den Firmenstart setze man auf State-of-the-Art-Technologie. Nur so könne der schnelle Aufbau der Produktion auf 5 GW Kapazität bewerkstelligt werden, teilte das ISE mit. Dabei stünden monokristalline Siliziumwafer im Format M10 für Perc-Solarzellen (Passivated Emitter and Rear Cell) im Fokus. Diese sollen in multibusbar verschalteten Halb- oder Trippelzellmodulen von mindestens 540 W Leistung verbaut werden.

Solar „made in Europe“ punktet mit klimafreundlicher Produktion und kurzen Wegen

Entscheidend, um die industrielle Souveränität nach Europa zurückzuholen, dürfte sein, dass es nicht nur in Sevilla gelingt, eine vertikal integrierte Photovoltaikproduktion hochzuskalieren. Dafür braucht es auch die Vorprodukte, sei es Silizium oder Solarglas, die es möglichst mit kurzen Wegen und in großen Mengen zu wettbewerbsfähigen Preisen zu beschaffen gilt.

Einer Photovoltaik „made in Europe“ kommt mit ihren kurzen Wegen jedenfalls der gestiegene Transportkostenanteil zugute. Dieser liege bei Modulen, ebenso wie bei Teilkomponenten, mittlerweile schon bei ca. 10 %, wie eine Studie des Fraunhofer ISE im Auftrag des VDMA schon 2019 konstatierte. Seitdem steigen Brenn- und Treibstoffpreise sowie die CO2-Preise, der Kostenfaktor ist bedeutsamer geworden.

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