Shell: Energiewende in Deutschlands größter Raffinerie
In Shells Rheinland-Raffinerie südlich von Köln mit den Standorten Godorf und Wesseling verarbeitet der Konzern heute 16 Mio. t Rohöl jährlich. Die stünden, so Shell-Deutschland-Chef Fabian Ziegler, für rund 4 % der deutschen CO2-Emissionen. Daher hat Shell die Raffinerie Rheinland zum Shell Energy and Chemicals Park Rheinland gemacht, de facto zu einem gigantischem Reallabor für die großchemische Energiewende. Heute Mittag gab Shell bekannt, die Rohölverarbeitung in Wesseling ab 2025 einstellen zu wollen.
Der britisch-niederländische Konzern Royal Dutch Shell – und mit ihm der Raffineriestandort in Wesseling bei Köln – befindet sich in einem „monumentalen Umbau“. Das sagte Deutschland-Chef Fabian Ziegler kürzlich vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in NRW. Shell sei „kein Mineralölkonzern mehr“ und wolle bis 2050 ein Netto-Null-Emissionsunternehmen sein. Er habe den „besten Job bei Shell“, weil er das Deutschlandgeschäft durch die „sinnstiftende Transformation im Umfeld der spannenden Energiewende“ führe.
Als nächsten Schritt kündigte Shell heute Mittag in einer Online-Pressekonferenz an, die Rohölverarbeitung in Wesseling ab 2025 einzustellen.
Shell will 10 % der deutschen Energiewende wuppen
Der deutsche Kontext, so Ziegler, sei besonders. „Deutschland ist mit dieser Strategie ein absoluter Schlüsselmarkt für uns“, betonte er. „Derzeit stoßen wir 1 % der deutschen CO2-Emissionen aus, zusätzliche 9 % entstehen, wenn Kunden unsere Produkte verwenden.“ Rund 80 Mio. t CO2 entstünden direkt oder indirekt durch Kunden des Unternehmens in Deutschland im Jahr. „Und wir möchten 10 % der deutschen Energiewende darstellen“, sagte Ziegler.
Shell wolle Dekarbonisierungspartner für seine Kunden sein. Dafür würden neue Produkte und Wertschöpfungsketten gebraucht. Wie in einem riesigen Reallabor setzt Shell auf alle realistischen Möglichkeiten der Dekarbonisierung des Rohöls und dekliniert in Wesseling die Technologien durch. Derweil läuft die Rohölverarbeitung am zweiten Standort Godorf mit rund 9 Mio. t Rohöl jährlich weiter. Ziegler verwies dabei heute Mittag auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit.
Wasserstoff: Projekt Refhyne II soll Mitte des Jahrzehnts 100 MW liefern
Die Rheinland-Raffinerie mit den Standorten Wesseling und Godorf bei Köln war und bleibe das Herzstück für Shell in Deutschland, betonte Ziegler. Bis 2040 sollen „viele Milliarden Euro“ in den Umbau des Standorts fließen, eine genaue Angabe zur Investitionshöhe wollte Ziegler nicht machen. Es sei aber „eine der größten Transformationen, die in Deutschland angedacht und geplant sind“, betonte Ziegler. Rund 50 Einzelprojekte gelte es umzusetzen. Shell hatte Anfang des Jahres bekannt gegeben, die Zahl der weltweiten Raffineriestandorte auf fünf zu reduzieren und diese in sogenannte Shell Energy and Chemical Parks zu transformieren. Einer dieser fünf Standorte ist die Rheinland-Raffinerie.
Die Ausgangslage in Wesseling: „Wir sprechen heute von 16 Mio. t Rohöl (Jahresmenge, Anm. d. Red.), die verarbeitet werden, das sind rund 4 % der deutschen CO2-Emissionen, also wir sprechen über gigantische Mengen Energie“, betonte Ziegler. Shell habe Raffinerie neu gedacht – und setzt dabei auf grünen Wasserstoff. Kürzlich wurde in Wesseling Refhyne I in Betrieb genommen, eine 10-MW-Elektrolyseanlage, die Wasserstoff aus Ökostrom produziert. Bis Ende 2024/Anfang 2025 soll Refhyne II entstehen, die über 100 MW Elektrolysekapazität verfügen soll. Laut Ziegler sind bereits EU-Fördergelder dafür bewilligt. „Wir streben die Marktführerschaft in Wasserstoff an“, sagte Ziegler. Die ist aber nur zu erreichen, machte er heute deutlich, wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen stimmten. „Wir benötigen Anreize für Frist Movers“, forderte er.
Energiewende: Shell ersetzt Öl durch Biomasse
Am Standort Wesseling sei noch mehr im Gange als nur Wasserstoff, machte Ziegler deutlich. „Wir haben eine Investitionsentscheidung für eine Bio-LNG-Anlage getroffen“, sagte er. Marco Richrath, General Manager des Raffineriestandorts, kündigte an, dass bald der Spatenstich für diese Anlage vorgesehen sei. Zudem ist eine PtL-Anlage (PtL: Power-to-Liquid) für alternative Flugkraftstoffe und weitere Anlagen in Planung. Die finale Investitionsentscheidung hierfür, so Richrath, sei allerdings noch nicht gefallen, man befinde sich aber im „fortgeschrittenen Planungsstadium“.
Rohöl solle zunehmend auch durch Biomasse und zyklische Kunststoffe ersetzt werden. „Wir entwickeln eine völlig neue Einsatzstofflogik“, erklärte Ziegler. Rohöl werde weiterhin im Bereich der Herstellung nicht brennender Produkte eingesetzt, in dem Chemieprodukte wie nachhaltige Schmierstoffe und Bitumen entstehen. „Dahinter steckt auch die Idee, zunehmend in zyklische Kreislaufwirtschaft zu schwenken“, sagte er.
Energiewende im Verkehr: Biogas aus Gülle statt Diesel in den Lkw-Tank
Ein Beispiel für diesen Ansatz sei die Wertschöpfungskette, in der Biomethan aus Gülle gewonnen wird. Deutschland habe ein Gülleproblem. Gülle könne man vergären lassen, dann entstehe daraus Biomethan. „Man kann es zu einer Verflüssigungsanlage bringen, wie wir sie im Rheinland bauen, und dann kann man daraus ein dieselähnliches Produkt machen, was wir Bio-LNG nennen“, erklärte Ziegler. LNG steht für Liquefied Natural Gas, zu Deutsch Flüssigerdgas.
Shell schielt dabei auf den Transportsektor, hier könnte Bio-LNG statt Diesel bei Lkw zum Einsatz kommen. „Wir bauen derzeit ein Tankstellennetz in ganz Deutschland. Das wird 35 bis 40 Stationen umfassen. Die Hälfte ist gebaut, das soll auch europaweit ausgebaut werden“, so der Shell-Deutschlandchef.
Ein weiterer wichtiger Bereich sei die Umwandlung von Abfall, bestehend aus Kunststoffprodukten. Am Standort Wesseling soll das sogenannte Pyrolyseverfahren „groß gemacht werden“. Dabei handelt es sich um ein chemisches Verfahren, das die Abfälle zersetzt: Unter Hitze kann eine Flüssigkeit hergestellt werden, die in einem sogenannten Steamcracker in Chemikalien umgewandelt wird. Im Rheinland gebe es dafür gute Voraussetzungen, unter anderem eine Olefinanlage, die das Pyrolyseöl sehr gut verarbeiten könne.
Energiewende bei Shell im Rheinland ohne betriebsbedingte Kündigungen
Ziegler betonte, dass am Standort hinsichtlich des Umbaus bislang keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen worden seien – und dies auch nicht geplant sei. „Betriebsbedingte Kündigungen sollen möglichst vermieden werden“, heißt es dazu in der heute veröffentlichten Mitteilung.
Zurzeit arbeiten am Standort Wesseling 3000 Menschen, 1500 sind direkt bei Shell beschäftigt, 1500 bei Partnerunternehmen. Im gesamten Bundesgebiet beschäftigt Shell rund 5000 Mitarbeitende. In Kooperation mit der Industriegewerkschaft IG BCE würden Umschulungsmaßnahmen konzipiert, so Ziegler. Zudem werde vor den Toren des Shell Energy and Chemical Parks ein Campus entstehen, wo sich Partner aus Industrie, Bildung und Forschung niederlassen sollen.
Shell setzt bei Dekarbonisierung auch auf Carbon Capture Storage (CCS)
Man könne noch viele Dinge weiterdenken, sagte Ziegler, beispielsweise in Richtung Inputstoffe für elektrische Autobatterien. Shell in Deutschland habe zudem „weitgehende Ideen, eine Wasserstoff- und CO2-Infrastruktur aufzubauen, die NRW mit der Nordsee verbindet. In der Nordsee ist Rotterdam wichtiger Ankerpunkt. Und da haben wir Gedanken zu Pipelinesystemen, die den grünen Wasserstoff ins Land hineinbringen und irgendwann möglicherweise auf dem Rückweg CO2 mitnehmen.“
Das seien Dinge, die in Deutschland noch nicht so einfach zu besprechen seien, weiß Ziegler. Die Niederlande und Großbritannien – die Heimatländer des Konzerns – hätten in Bezug auf Carbon Capture Storage (CCS) eine andere Einstellung. „Aber wir sind der Meinung, dass da wichtige Infrastruktur geschaffen werden kann“, sagte Ziegler vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung. Von der neuen Regierung erwarte er mehr Einigkeit und eine Roadmap für die Transformation aus „einem Guss“.
Shell setzt auf E-Mobilität – will trotzdem seine Marktanteile im deutschen Energiesektor behalten
Shell will laut Ziegler auch sein Geschäft mit der Elektromobilität in Deutschland weiter ausbauen und dazu sein Tankstellennetz aufrüsten. „Wir sind weltweit führend im Tankstellenbereich“, sagte der Shell-Deutschland-Chef vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung. Bis Ende des Jahres wolle Shell über 240 Ladepunkte an 110 Stationen verfügen. Bis 2030 solle das Netz auf 3000 Punkte an 1000 Shellstationen ausgebaut werden. „In Deutschland wird sich die E-Mobilität durchsetzen“, ist sich der Manager sicher.
Trotz Energiewende will sich Shell im deutschen Energiemarkt nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, machte Ziegler deutlich: „Wir wollen unsere heutigen Marktanteile behalten.“ Daher setze man eben auf einen massiven Ausbau der Elektromobilität parallel zum Umbau im Raffineriebereich.