Testnetz für Wasserstoff soll offene Fragen klären
Der Aufbau von Wasserstoffnetzen in Deutschland ist beschlossen. Damit das gelingt, ging bei RWE in Lingen ein Testnetz an den Start.
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Der Plan ist ambitioniert. Insgesamt etwa 9700 km Wasserstoffleitung sollen bis 2032 im sogenannten Wasserstoffkernnetz in Betrieb gehen – so will es die Bundesregierung. Um Zeit zu sparen und Auswirkungen auf die Umwelt gering zu halten, sollen 60 % dieser Leitungen umgewidmete Erdgasleitungen sein. Mit mobilen Verdichtern werden Teilbereiche des Erdgasnetzes dazu umgepumpt, bevor diese vom bisherigen Netz abgesperrt und Wasserstoff eingeleitet werden kann. Das klingt einfach erfordert aber einige Vorarbeit.
Um entsprechende Erfahrungen zu sammeln und Technologien erproben zu können, wurde mit Mitteln vom Bundesministerium für Bildung und Forschung das Wasserstoff-Leitprojekt TransHyDE aufgesetzt. Heute, am 14. 8. 2024, wurde auf dem Firmengelände von RWE in Lingen ein Mini-Wasserstoffnetz in Betrieb genommen. Gerade einmal 130 m neuer und umgewidmeter Wasserstoffleitung, die in einem Kreislauf geführt werden, umfasst das Netz, das als Kreislauf aufgebaut ist. Darin werden Technologien zum Pipelinebetrieb einem weltweit einzigartigen Praxistest unterzogen werden, heißt es vom Projektteam.
Getestet werden Messtechnik zur Bestimmung der Wasserstoffqualität sowie zur Bestimmung von Wasserstoffdurchflussmengen und Technologien zur Aufreinigung von Wasserstoff sowie zur Inspektion von Wasserstoffnetzen. Zudem gibt es einen Prüfstand für Materialverträglichkeitstests. „Die TransHyDE-Testumgebung bietet uns die einzigartige Gelegenheit, umfassende Untersuchungen zum Aufbau und Betrieb einer sicheren und zuverlässigen Infrastruktur durchzuführen“, sagt Philipp Schulte im Walde. Er ist Projektleiter für Wasserstoffprojekte bei RWE Generation SE.
Zeitaufwand für Umwidmung von Erdgasnetzen ist geringer als Neubau von Netzen für Wasserstoff
Obwohl die Umwidmung von Erdgasnetzen Zeit spart, gibt es auch da laut Ann-Christin Fleer vom Netzwerkbetreiber Open Grid Europe GmbH (OGE) einige Herausforderungen. Erhöhter Aufwand entsteht schon allein dadurch, dass Dokumentationen zu den Teilnetzen nicht digitalisiert sind und die Dokumente bisher für einzelne Maßnahmen nur abschnittsweise benötigt wurden.
Bei der Umstellung auf eine Wasserstoffgesamtleitung sei nun jedoch die Koordinierung von vielen kleinen Maßnahmen nötig. Ein solches Netz bestehe neben den Pipelines beispielsweise aus zahlreichen Armaturen, Schiebern und Dichtungen. „Die müssen alle auf ihre Wasserstofftauglichkeit geprüft werden. Dementsprechend erfolgen dann Anpassungen an den Stationen sowie in der Pipelinetechnik“, verdeutlicht Fleer. Darüber hinaus sei eine gültige Druckprüfung für die Zulassung zum Wasserstofftransport nötig.
Trotz dieses Aufwands erklärt sie: „Insgesamt nimmt die Umstellung einer Leitung aber dennoch weniger Zeit in Anspruch“, im Vergleich zu einem Neubau. Sie verweist auf das Projekt „Get H2“, bei dem im ersten Schritt 46 km Erdgasnetz umgestellt werden, wofür mit viel Puffer zwei Jahren einkalkuliert wurden. „Im Neubau muss man für so etwas von sechs bis acht Jahren ausgehen“, so Fleer.
Vor allem die Industrie braucht schnell Klarheit bei der Energie- und Wasserstoffversorgung. Für Frank Graf, Leiter der Bereiche Gastechnologie und Innere Dienste der DVGW-Forschungsstelle am „KIT Engler-Bunte-Institut“, ist der Aufbau des H2-Kernnetzes in Deutschland ein wichtiger Baustein für eine leistungsstarke Gasinfrastruktur in Deutschland und Europa. Er sagt aber auch: „Da ein Großteil der deutschen Industrie, insbesondere des Mittelstands, regional angesiedelt ist, brauchen wir neben Wasserstoff-Transportnetzen auch eine deutschlandweite Anbindung der Gasverteilnetze.
Reinheit von Wasserstoff und Materialtests sowie Training an den Anlagen stehen in Lingen im Fokus
Hundertprozentig rein ist Wasserstoff nie, denn er enthält immer einen gewissen Anteil von Gasbegleitstoffen. Das können je nach Produktionsprozess Wasser, Sauerstoff, Methan oder auch Schwefel sein. Das ist für die Abstimmung in Verbundnetzen wichtig. Je nach Nutzung des Wasserstoffs müssen unterschiedliche Grenzwerte eingehalten werden. Während die Stahlindustrie beispielsweise mit Leitungswasserstoff gut auskommt, benötigt die Halbleiterherstellung oder auch der Betrieb von Brennstoffzellen einen besonders reinen Wasserstoff.
Genau hier setzt die Arbeit im Testnetz an. Erprobt wird darin ein Gaschromatograph-System zur Messung der Wasserstoffreinheit in der Leitung. Zudem kommt eine Containeranlage zum Einsatz, die den Wasserstoff aus der Leitung aufreinigt. Darüber hinaus ist künftig eine geeichte Messtechnik nötig, damit Netzbetreiber wissen, wie viel Wasserstoff wohin fließt. Denn danach wird bemessen, was gegenüber anderen Netzbetreibern oder Kunden abgerechnet werden kann. Deshalb werden in Lingen auch Geräte zur Messung von Wasserstoffdurchlaufmengen einem Praxistest unterzogen. Denn wie in anderen Bereichen müssen solche Messgeräte geeicht sein und den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Genau dafür müssen in Zusammenarbeit mit der Eichbehörde Kriterien entwickelt werden.
https://www.vdi-nachrichten.com/technik/energie/eu-gruener-wasserstoff-fuer-die-industrie-bleibt-viel-wunschdenken/ Wie sich Wasserstoff bei hohen Temperaturen auf unterschiedliche Materialien auswirkt, wird im Rahmen von TransHyDE an einem eigenen Teststand untersucht. Im Wasserstoffkreislauf in Lingen sind laut Philipp Schulte im Walde, dem Projektleiter für Wasserstoffprojekte bei RWE Generation SE, zahlreiche Sensoren und Armaturen im Wasserstoffkreislauf verbaut, beispielsweise Kugelhähne und Druckregler. „Wir haben hier eine Lösung gefunden, um wasserstofffähige Teile einzubauen“, sagt er. Wenn es konkrete Ansätze von anderen Herstellern gebe, bestünde prinzipiell aber die Möglichkeit Komponenten auszutauschen und auf Tauglichkeit zu testen. Das müsse aber im Einzelfall mit dem TÜV abgestimmt werden.
Laut OGE-Vertreterin Fleer wird in Lingen aktuell auch eine Trainingsstrecke aufgebaut, in der Fachpersonal das Arbeiten in solchen Anlagen im realen Maßstab trainieren kann. Praktische Trainings erfolgten dabei unter definierten und sicheren Bedingungen, um später in Stresssituationen vorbereitet zu sein. „Wir machen das nicht nur für OGE, sondern wollen das auch für andere Unternehmen zugänglich machen“, ließ sie wissen.
Im Projektverlauf will das Team darüber hinaus weitere Bausteine des kommenden Transportnetzes untersuchen. Wie beim Erdgasnetz könnten beispielsweise Helikopter zur Überwachung des Netzes eingesetzt werden. Mit speziellen im Projekt TransHyDE entwickelten Detektionsgeräten suchen sie aus der Luft nach Kleinstleckagen in der Leitung. Aus Sicherheitsgründen soll die dafür notwendige Lasertechnik zunächst allerdings nicht in Lingen, sondern in einem Testlabor getestet werden. Für die Inspektion der Leitungen von innen sowie deren schonende Reinigung wird zudem ein spezieller Molch getestet.