Was die tiefe Geothermie für den Klimaschutz tun kann
Tiefe Geothermie ist in Deutschland die unterschätzte Energiequelle mit riesigem, verblüffendem Potenzial. Wie sie uns bei der Energiewende helfen kann.
Inhaltsverzeichnis
- Wie funktioniert tiefe Geothermie?
- Für was wird tiefe Geothermie genutzt?
- Wie tief bohrt man bei tiefer Geothermie?
- Woher stammt die geothermale Energie hauptsächlich?
- Wie unterscheiden sich oberflächennahe und tiefe Geothermie?
- Welche Alternativverfahren gibt es in der tiefen Geothermie, um die Wärme wasserloser Gesteine nutzen zu können?
- Welche technologischen Innovationen könnten die tiefe Geothermie voranbringen?
- Wie wichtig ist Geothermie im deutschen Energiemix?
- Was sind die aktuellen Herausforderungen bei der Nutzung tiefer Geothermie?
- Wie unterstützt die Politik den Ausbau tiefer Geothermie?
- Wo in Deutschland gibt es großes Potenzial für tiefe Geothermie?
- Wie unterstützen geologische Erkundungsprogramme die Geothermieprojekte?
Am morgigen Mittwoch, dem 17. Juli 2024, endet die Anhörungsfrist für das GeoWG, das „Gesetz zur Beschleunigung der Genehmigung von Geothermieanlagen, Wärmepumpen sowie Wärmespeichern“. Der Bundesverband Geothermie begrüßt den vorliegenden Gesetzesentwurf als „Meilenstein“. Vor allem die tiefe Geothermie (s. u.) ist bislang in Deutschland kaum durchgestartet, hier werden deutliche Effekte erwartet.
Christian Bauer, Partner und Experte für Infrastrukturprojekte bei der internationalen Anwaltskanzlei Watson Farley & Williams, sieht im GeoWG zwar keinen Durchbruch, aber einen „Schritt in die richtige Richtung“. Mit Blick auf die besonders vielversprechende Tiefengeothermie, die regelmäßig Bohrtiefen von mehr als 400 m umfasst, sei die geplante generelle Einstufung als Projekte „im überragenden öffentlichen Interesse“ ein großer Schritt nach vorne. „Hier ist anzunehmen, dass leichte rechtliche Unschärfen des vorliegenden Referentenentwurfs im weiteren Verfahren noch geglättet werden, damit alle Aufsuchungstätigkeiten für Erdwärme davon profitieren.“
Ein weiterer wichtiger Punkt, so Bauer, sei die geplante Beschränkung der rechtlichen Möglichkeiten, mit denen Dritte Genehmigungsverfahren verzögern können. „Das stärkt absehbar die Investitionssicherheit für Kommunen und private Projektentwickler.“
Als dritten wichtigen Schritt nennt der Energierechtler die Beschleunigung des bergrechtlichen Verfahrens auf Zulassung eines Betriebsplans. Das sei das vielleicht wichtigste Anliegen des Gesetzesentwurfs. „Hier müssen die Behörden künftig Antragsunterlagen umgehend auf Vollständigkeit prüfen und fehlende Dokumente zeitnah nachfordern. Die Frist für die inhaltliche Entscheidung durch die Behörde wird ebenfalls verkürzt.“
Allerdings mahnte gestern der Bundesverband Geothermie schon weitergehende Änderungen am GeoWG an. Auch Christian Bauer weiß als Berater von Energiewirtschaft und Kommunen, wo in Sachen Geothermie der Schuh drückt. „Die gerade beschriebenen Beschleunigungsmaßnahmen sollen nach heutigem Stand nur für Betriebspläne zur Gewinnung von Erdwärme gelten. Davor steht allerdings die – häufig mehrere Jahre dauernde – Aufsuchung, für die ebenfalls ein Betriebsplan erforderlich ist. Hier liegt ein klares Manko des Gesetzentwurfs.“
Und selbst wenn die Behörden schneller werden könnten – bleibt die Frage, ob sie es angesichts der Personalengpässe, die heute schon bestehen, wirklich können. „Beim Immissionsschutz beispielsweise ziehen sich die Genehmigungsprozesse weiterhin in die Länge, obwohl schon länger ähnliche Fristenvorgaben existieren“, weiß Bauer aus der Praxis zu berichten.
Gänzlich ungelöst, so der Berater, bleibe auch die zentrale Problematik, dass für weite Teile Deutschlands die Untergrundbeschaffenheit bislang kaum untersucht ist. „Das macht für viele Kommunen eine Einschätzung, ob Geothermie für sie überhaupt infrage käme, schwierig. Auch die hohen finanziellen Risiken einer Erstbohrung bleiben bestehen. Hier richten sich unverändert alle Hoffnungen auf die angekündigte staatliche Risikoabsicherung durch die KfW.“
Wie funktioniert tiefe Geothermie?
Tiefe Geothermie nutzt wie jede Geothermieform Erdwärme. Die Mehrzahl der bereits existierenden Geothermieprojekte für tiefe Geothermie bohrt dazu tief liegende Wasservorkommen an, um die Hitze aus dem Untergrund an die Oberfläche zu fördern. Dem heißen Wasser wird an der Oberfläche seine Wärme entzogen, und dann wird es in einer zweiten Bohrung in den Untergrund zurückgepumpt, wo es sich wieder aufheizt. Die dafür nötigen Wasservorkommen liegen in mehr als 2000 m Tiefe.
Ein anderes Konzept senkt in einem einzelnen Bohrloch einen Wärmetauscher in die Tiefe. Das Gestein erhitzt die Außenwände der Bohrung und das Wärmetauscherrohr und überträgt vor Ort die Wärme des Grundwassers auf einen anderen Wärmeträger, der dann zur Oberfläche gepumpt wird. Das Grundwasser selbst bleibt in der Tiefe.
Wie zum Beispiel ein Geothermiekraftwerk prinzipiell funktioniert, erklärt dieses Video der GRS:
Für was wird tiefe Geothermie genutzt?
Tiefe Geothermie kann für alle Formen der Energiebereitstellung genutzt werden: Wärme, Fernwärme und Stromerzeugung. Im Gegensatz zu Solarzellen und Wind stellt tiefe Geothermie auch direkt Wärme bereit. Das ist vor allem für den Heizbedarf in Gebäuden wichtig. Laut Umweltbundesamt wurden 2021 in Deutschland 27,6 % des gesamten Endenergieverbrauchs für Raumwärme in Gebäuden aufgewendet, weitere 5,1 % entfielen auf Warmwasser. Konkret listet der Bundesverband Geothermie für die tiefe Geothermie vor allem Heizwerke auf (ca. drei Viertel). Der Rest sind Kraftwerke, von denen der Großteil als Heizkraftwerk aufgeführt ist, sie stellen also Wärme und Strom bereit.
Wie tief bohrt man bei tiefer Geothermie?
„Die tiefe Geothermie nutzt Lagerstätten, die in größeren Tiefen als 400 m unter Geländeoberkante erschlossen werden“, definiert der Bundesverband Geothermie. Die konkreten Bohrungen reichen dann teilweise „bis zu mehreren Tausend Metern“ in die Tiefe, so der Verband.
Woher stammt die geothermale Energie hauptsächlich?
Die geothermale Energie stammt zum überwiegenden Teil aus dem Erdinnern, nur in den obersten paar Metern leistet auch die Sonneneinstrahlung einen Beitrag. Zwischen 20 % und 50 % der Erdwärme sind ein Relikt aus den Anfängen des Sonnensystems, als sich die Planeten aus der Staubscheibe um die entstehende Sonne zusammenballten. Für den Rest von 50 % bis 80 % sorgt der Zerfall radioaktiver Elemente im Erdkörper.
Mit jedem Meter Richtung Erdmittelpunkt steigt die Temperatur an. In der äußersten Schicht des Planeten, der Kruste, sind es im Durchschnitt 3 °C/100 m. An Orten wie Island jedoch, wo Kontinentalplatten auseinanderdriften und Ströme aus dem Erdinneren aufwallen, steigt die Temperatur um bis zu 15 °C/100 m. Auch in Deutschland gibt es Unterschiede: Im tektonisch aktiven Oberrheingraben kann die Temperatur stellenweise um 5 °C/100 m oder auch 10 °C/100 m zunehmen.
Wie unterscheiden sich oberflächennahe und tiefe Geothermie?
Die Temperaturzunahme ist die Ursache für die Unterscheidung in oberflächennahe und tiefe Geothermie. In der maßgeblichen VDI-Richtlinie 4640 wird die Grenze bei 400 m gezogen. Dort beträgt die Temperatur rund 20 °C. „Das ist nicht wirklich warm, aber mithilfe einer Wärmepumpe kann das Temperaturniveau erhöht werden, und damit kann man etwas anfangen“, sagt Gabriela von Goerne, Leiterin des Fachbereichs „Nutzungspotentiale des geologischen Untergrundes“ bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.
Bei Projekten der sogenannten tiefen Geothermie braucht man diese technische Hilfestellung nicht mehr. „Da benutze ich das heiße Wasser aus der Tiefe direkt zur Wärmeversorgung“, so von Goerne. Das kann dann je nach Bohrtiefe 70 °C, 80 °C oder 90 °C, bisweilen auch deutlich über 100 °C haben und direkt für Fernwärmenetze oder sogar zur Stromerzeugung mit einer Dampfturbine geeignet sein. Es sind daher in der Regel größere Kraftwerke mit etlichen Megawatt thermischer und elektrischer Leistung, die die Tiefe Geothermie nutzen.
Welche Alternativverfahren gibt es in der tiefen Geothermie, um die Wärme wasserloser Gesteine nutzen zu können?
Alternativverfahren zielen auf wasserlose Gesteine in noch größerer Tiefe. Sie sind entsprechend heißer, daher wird ihnen das größere Versorgungspotenzial zugeschrieben. Doch die technischen Herausforderungen sind auch größer, denn hier muss man die Durchlässigkeit der Gesteine, die bei den Grundwasservorkommen natürlich besteht, erst künstlich schaffen. Auch hier muss schließlich Wasser durch das Gestein geleitet werden, um die Hitze aufzunehmen und aus der Tiefe an die Oberfläche zu bringen. „Also muss man Fließwege im Gestein schaffen, und das bekannte Stichwort dabei ist Fracking“, erklärt Gabriela von Goerne.
Die wenigen Geothermieprojekte im trockenen Gestein haben mit der Frackingmethode Risse und Klüfte im Gestein der Tiefe erzeugt. Das aber kann durchaus für Beben sorgen, die an der Oberfläche spürbar werden. Im bekannten Projekt Deep Heat Mining Anfang des 21. Jahrhunderts in Basel waren die Beben so stark, dass das Vorhaben schließlich eingestellt werden musste.
Welche technologischen Innovationen könnten die tiefe Geothermie voranbringen?
In Geretsried bei München wird derzeit eine Alternative zum Fracking erprobt. Dabei wird im Tiefengestein ein künstlicher Wärmetauscher gebohrt, in dessen Röhren das Wasser vom Umgebungsgestein abgeschirmt zirkulieren kann. Die Gefahr von Beben wird so minimiert.
Welche neuen Technologien die Stadtwerke München in der tiefen Geothermie erproben wollen, zeigt dieses Video:
Wie wichtig ist Geothermie im deutschen Energiemix?
Geothermie spielt im deutschen Energiemix noch eine untergeordnete Rolle. 2023 betrug ihr Beitrag zur Deckung des deutschen Endenergieverbrauchs nach Angaben der regierungsamtlichenArbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE) beim Umweltbundesamt gut 2,4 %. Damit wird das Erdwärmepotenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft. Geologen schätzen, dass allein in den obersten 10 km der Erdkruste genug Energie steckt, um den Weltbedarf für viele Zehntausende von Jahren zu decken. Das gilt auch für den Untergrund Deutschlands.
Doch von dieser theoretischen Erkenntnis zur praktischen Nutzung ist es ein weiter Weg. Am fortgeschrittensten ist man noch beim oberflächennahen Untergrund: Hier sind nach Angaben des Bundesverbandes Geothermie e. V. deutschlandweit mehr als 470.000 (in der Mehrzahl) kleine Anlagen mit einer Gesamtleistung von 4700 MW installiert – zur Beheizung von Einzelgebäuden oder kleineren Quartieren. Auf diese Anlagen entfallen 2,2 % des Versorgungsbeitrags der Geothermie.
Was sind die aktuellen Herausforderungen bei der Nutzung tiefer Geothermie?
Die großen Potenziale aber lassen sich mit der sogenannten tiefen Geothermie heben. Aber die Erschließung der tieferen Schichten, die hohe Temperaturen und damit viel Energie für die Fernwärmeversorgung und sogar zur Stromerzeugung liefern können, ist dagegen bislang eher schleppend verlaufen. „Wir haben aktuell 43 Anlagen in Deutschland. Die erste ist 1984 in Betrieb gegangen. Das entspricht rechnerisch einem Tempo von etwa einer Anlage pro Jahr“, erklärt Gregor Dilger, Geschäftsführer des Bundesverbands Geothermie in Berlin. Diese 43 Anlagen steuern zusammen 0,2 % zur Deckung des Endenergiebedarfs bei.
Wie unterstützt die Politik den Ausbau tiefer Geothermie?
Die Ausbaupläne der deutschen Bundesregierung sind allerdings ehrgeizig. Erst Ende Juni legte das Bundeswirtschaftsministerium einen Gesetzentwurf vor. Mit dem Artikelgesetz sollen vor allem Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, explizit auch für die tiefe Geothermie, wozu es Änderungen im Änderungen im Berg-, Wasser- und Naturschutzrecht geben soll.
Bis 2030 hofft Bundesminister Robert Habeck auf 100 neue Geothermieprojekte. Und tatsächlich scheint er damit gar nicht falsch zu liegen. „Wir haben um die 150 Projekte in der Pipeline“, so Dilger. Nicht jedes dieser Projekte wird erfolgreich sein, aber von einer Verdreifachung oder Vervierfachung des Anteils auf mittlere Frist geht auch der Industrieverband aus.
Wo in Deutschland gibt es großes Potenzial für tiefe Geothermie?
In Deutschland gibt es drei Gebiete mit großem Geothermiepotenzial: das Norddeutsche Becken, den Oberrheingraben und das sogenannte Molassebecken im bayerischen Voralpenland. Alle drei Gebiete sind gut untersucht und im online verfügbaren geothermischen Informationssystem GeotIS dokumentiert.
Wie unterstützen geologische Erkundungsprogramme die Geothermieprojekte?
Jenseits dessen hapert es in der Regel schon an den grundlegenden Informationen über geeignete Gesteinsschichten im Untergrund und entsprechendes Wärmepotenzial. Einige Bundesländer haben daher geologische Erkundungsprogramme aufgelegt, die die Wissenslücken mit seismischen Kampagnen und Erkundungsbohrungen schließen sollen. So etwa Berlin auf dem gesamten Stadtgebiet und Nordrhein-Westfalen im südlichen Münsterland, Ruhrgebiet und nördlichem Rheinland.
An Geothermie interessierte Unternehmen können auf diese Weise die für die Projektplanung nötige Detailerkundung auf einer öffentlich finanzierten Grundlage aufsetzen. „Wir sehen es ein bisschen als Infrastrukturmaßnahme, ähnlich wie Straßen, die ja auch der Allgemeinheit dienen“, sagt Branchenvertreter Dilger vom Bundesverband Geothermie.