Wasserstoff wird als Speichermedium gebraucht
Forscher plädieren dafür, im Rahmen der Energiewende die nötige Investitionssicherheit in Zukunftstechnologien durch verbindliche Klimaziele zu gewährleisten.
Was Wissenschaftler für die Langzeitentwicklung des deutschen Energiesystems im Rahmen der Energiewende für nötig halten, will nicht so recht zur derzeitigen Politik passen, den Ausbau erneuerbarer Energiequellen bewusst erst einmal zu begrenzen. Um den wachsenden erneuerbaren Strombedarf für eine klimaschonende Sektorenkopplung und die nötige Reserveleistung zu decken, müsste der Zubau an Photovoltaik und Windkraft in Deutschland auf 500 GW bis 600 GW bis zum Jahr 2050 erhöht werden.
Dies entspricht etwa dem Fünf- bis Siebenfachen der derzeit installierten Leistung. Auf diese Weise kann Ökostrom verstärkt direkt oder indirekt für Wärme, Fahrzeugantriebe und industrielle Anwendungen verwendet werden. Der deutsche Strombedarf kann hierdurch künftig auf bis zu 1000 TWh jährlich klettern.
Doch spielen Maßnahmen zur effizienten Nutzung von Energie eine zentrale Rolle, um diesen Anstieg und den Ausbau der Erzeugungskapazitäten zu begrenzen. Zu diesem Schluss kommt das Projekt „Energiesysteme der Zukunft“ (Esys) der deutschen Wissenschaftsakademien Leopoldina, Acatech und Union, dessen wichtigste Ergebnisse jüngst auf der Jahrestagung des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien (FVEE) in Berlin vorgestellt wurden.
Aus etwa einem Viertel des Stroms werden künftig per Elektrolyse Wasserstoff oder andere synthetische Kraftstoffe und Gase gewonnen, so das Szenario. „Wir brauchen eine ausreichende Reserveleistung und ausreichend Langzeitspeicher, um künftig Dunkelflauten zu überbrücken und den erneuerbaren Kraftstoffbedarf vor allem für den Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr abzudecken“, sagt Hans-Martin Henning, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE). „Trotz Kurzzeitspeichern und Maßnahmen der flexiblen Stromnutzung wird künftig eine bereitstehende Reserveleistung in ähnlicher Größe wie der heutige Kraftwerkspark benötigt“, so der Experte.
Die jährlichen Mehrkosten für eine 95 %ige CO2-Reduzierung bis 2050 beziffert Henning auf 1 % bis 2 % des heutigen Bruttosozialprodukts. Allerdings seien hierbei die volkswirtschaftlich positiven Effekte wie die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, lokale Wertschöpfung oder Exportchancen nicht berücksichtigt.
„Wenn wir ein System in ein anderes überführen, haben wir in der Startphase immer Mehrkosten“, unterstreicht Detlef Stolten, Leiter des Instituts für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich. Doch führe an einer integrierten Energiewende, die auch den Verkehrssektor einschließe, kein Weg vorbei, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Batteriespeicher spielten hierbei als Kurzzeitspeicher und für Elektro-Pkw eine wichtige Rolle. Nötig seien jedoch auch Langzeitspeicher, die mindestens vier bis sechs Wochen überbrücken könnten, sowie regenerative, strombasierte Treibstoffe für den Schwer-, Luft- und Schiffsverkehr.
Stolten brach hierbei vor allem eine Lanze für Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antriebe. Zum einen hätten diese einen 50 % besseren Wirkungsgrad als konventionelle Verbrennungsmotoren. Zum anderen sei die Gesamteffizienz mit rund 37 % gegenüber synthetischen Kraftstoffen mit nur rund 9 % deutlich günstiger. Denn es könne auf weitere Umwandlungsstufen der Methanisierung und Verflüssigung verzichtet werden. Entsprechend sei auch der Zubaubedarf an erneuerbarer Stromerzeugungskapazität für die Wasserstofferzeugung deutlich geringer und damit deren Kosten deutlich günstiger als die synthetischer Kraftstoffe.
Bei der Nutzung von regenerativem Überschussstrom seien die Kosten für die Wasserstoffherstellung vergleichbar mit denen für Diesel, so Stolten. Dagegen beziffert ein Gutachten der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik und der Deutschen Energie-Agentur (Dena), das jüngst vom Verband der Automobilindustrie (VDA) vorgestellt wurde, die derzeitigen Kosten für regenerativ gewonnene synthetische Kraftstoffe auf 4,50 €/l Dieseläquivalent. „Wasserstoff kommt aufgrund seiner vielfältigen Einsatzmöglichkeiten nicht nur im Verkehr eine zentrale Rolle zu“, unterstreicht ISE-Leiter Henning. Anwendungsmöglichkeiten sieht er auch für Wärme, Strom, die Industrie und die Weiterkonversion zu Kohlenwasserstoffen.
Als zentralen Hebel für eine integrierte Energiewende sehen die Forscher einen „einheitlichen, wirksamen und sektorenübergreifenden“ CO2-Preis. „Dies ist ein notwendiges und adäquates Instrument für eine technologieoffene und marktwirtschaftliche Steuerung“, sagt Henning. Gleichzeitig sollte das bestehende System an Steuern, Abgaben und Umlagen reformiert und verschlankt werden.
„Für langfristige Investitionen in klimafreundliche Technologien ist eine hohe Planungssicherheit entscheidend“, so Henning. Deshalb seien eine Verbindlichkeit der Klimaschutzziele und eine glaubwürdige Haltung der Politik so wichtig. Schließlich gehe es hierbei um die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.