STROM 24. Jun 2019 Dierk Jensen Lesezeit: ca. 3 Minuten

Wind hat Oberwasser

Im nordostwürttembergischen Gaildorf entsteht eine Anlage, die Wasserkraft und Windenergie zusammenbringt. Strom aus Windkraftanlagen lässt sich dort mittels neuartiger Wasserspeicherfundamente netzkompatibel einspeisen.

Pumpspeicherkraftwerk mit speziellen Oberbecken: Statt eines Stausees übernehmen Wasserspeicher in den Fundamenten von Windkraftanlagen die Speicherfunktion.
Foto: MBS Naturstromspeicher

„Wir stehen voll dahinter“, sagt Frank Zimmermann, Bürgermeister von Gaildorf, einer 12 000-Einwohner-Gemeinde im fränkischen Teil Baden-Württembergs. Durch den Ort fließt der Kocher, ein Nebenfluss des Neckars. „Statt die Energiewende nur in Sonntagsreden zu fordern, ziehen wir das hier durch“, signalisiert der Kommunalpolitiker Unterstützung für ein besonderes Projekt.

Kombination: Windkraft und Pumpspeicherung
Funktionsprinzip Stromüberschuss: Wasser aus dem Unterbecken unterhalb des Pumpspeicherkraftwerks wird in die höher gelegenen Wasserspeicher der Windräder gepumpt, wenn das Stromnetz voll ist, aber der Wind weht.

Funktionsprinzip Strombedarf: Wenn nun das Netz wieder mehr Strom nachfragt, treibt das aus den dezentralen Wasserspeichern am Fuß der Windturbinen herabstürzende Wasser eine Turbine an, die den benötigten Strom passgenau bereitstellt.

Vier Windturbinen mit jeweils 3,4 MW Nennleistung des Herstellers GE werden auf den bewaldeten Limpurger Bergen – dem Hausberg von Gaildorf – mit einem Pumpspeicherkraftwerk kombiniert. Die Neuheit: Die Turmfundamente der Windenergieanlagen werden dabei statt eines separaten Oberbeckens als Wasserspeicher genutzt (s. Grafik).

Die Bauarbeiten haben im April dieses Jahres begonnen, im nächsten Jahr soll der sogenannte Naturstromspeicher in Betrieb gehen. Das Unterbecken wird sich 200 m tiefer im Tal befinden, unmittelbar neben dem Kocher.

So soll es aussehen: Windräder stehen auf Sockeln, die zu Speicherseen umgebaut sind. Foto: MBS Naturstromspeicher

Es entsteht, „naturnah“, wie die Planer versprechen, genau an der Stelle, wo ohnehin schon eine Flutmulde als Retentionsraum errichtet werden sollte, also als ein Speicherbecken, das bei Hochwasser geflutet werden kann. „Ich denke, wir haben in Gaildorf ein funktionierendes Anlagenkonzept entwickelt, das standardisiert an vielen Orten installiert werden kann“, sagt Alexander Schechner. Der Elektrotechnikingenieur freut sich, dass die Bauarbeiten nach langjährigen Vorarbeiten und Protesten einer Bürgerinitiative endlich Fahrt aufgenommen haben.

Schechner ist geschäftsführender Gesellschafter der MBS Naturstromspeicher GmbH, die das Projekt initiiert, baut und betreiben will. An der MBS sind je zur Hälfte Schechner selbst und der Baukonzern Max Bögl aus dem oberpfälzischen Neumarkt beteiligt. Bögl zählt mittlerweile hierzulande zu den führenden Herstellern von Windkrafttürmen. Während der erfahrene Kraftwerkstechniker Schechner, der jahrelang für den Turbinenhersteller Voith Hydro gearbeitet hat, federführend das gesamte Anlagendesign entwarf, hat Bögl für Gaildorf eine neue Turmvariante entwickelt.

Den Begriff „Naturstromspeicher“ haben die Initiatoren bewusst gewählt: Sie verzichten auf einen bei Pumpspeicherkraftwerken üblichen höher gelegenen Stausee als Oberbecken. Stattdessen wird ein Teil des Wassers in 40 m hohen Sockelfundamenten mit 16,8 m Durchmesser am Fuße der Türme gespeichert. Die Türme wiederum stehen in einem Außenbecken mit 63 m Durchmesser und bis zu 13 m Höhe, das den größten Teil der Wassermengen aufnimmt. Insgesamt lassen sich bis zu 160 000 m3 speichern.

Ein Druckrohr verbindet die Windturbinen untereinander und mit dem 200 m tiefer im Kocher-Tal gelegenen 16-MW-Pumpspeicherkraftwerk. Generell ist das Kraftwerk modular angelegt, Varianten mit 24 MW und 36 MW Leistung werden ebenfalls angeboten. Zusätzlich erhöhen sogenannte Aktivspeicher das Fundament der Windkraftanlagen und damit die Nabenhöhe der Rotoren um bis zu 40 m, womit sich die Windausbeute um bis zu 20 % erhöhen lässt.

Nach Angaben des Unternehmens lassen sich ca. 70 000 kWh Strom speichern. „Das ist aber nur ein Aspekt. Wir sind mit unserem Produkt in der Lage, sehr flexibel auf dem Strommarkt zu agieren. Zu jeder Zeit können wir sekundengenau Strom bereitstellen. Mit unserer Turbine streben wir mindestens 8500 Betriebsstunden im Jahr an“, erklärt Schechner.

Der über dem Wald an einem Schwachwindstandort erzeugte Windstrom ist damit regelbar. Bemerkenswert, denn ausgerechnet an einem Binnenland-Standort fernab der Küste ebnen die Akteure in Gaildorf dem Windstrom neue Optionen als systemstabilisierende Energie.

Die MBS Naturstromspeicher GmbH beziffert die Mehrkosten für die Speicherung von überschüssigem Windstrom in Gaildorf auf rund 3 Cent/kWh bis 5 Cent/kWh. Schechner geht es bei dem Gaildorfer Prototypen eines Wasser-Windkraftwerks nicht nur um Stromerzeugung und dessen Speicherung, sondern auch um die Auskoppelung von Wärme. „Unser Kombikraftwerk soll 40 % mit Wind, 40 % mit Flexibilität und 20 % mit Wärme verdienen“, umreißt er den Ansatz. Die Wärme will man dem Unterbecken entnehmen und ins Nahwärmenetz einspeisen.

„Unser Naturstromspeicher muss als Energieerzeuger in Zukunft bei steigenden Anteilen von erneuerbaren Energien im Netz alles zugleich können“, glaubt Schechner. Wenngleich ein Windpark, kombiniert mit einer Pumpspeichertechnik à la Gaildorf, in der Errichtung doppelt so teuer sei wie gewöhnlich, lasse sich nach seinen Worten „damit auch doppelt so viel einnehmen“.

Die MBS Naturstromspeicher GmbH verspricht Kostenvorteile für die nächsten Projekte. So werden die Türme aus standardisierten Fertigteilen zusammengesetzt. Auch für das Pumpspeicherkraftwerk ist eine standardisierte und modulare Bauweise vorgesehen. Die Gaildorfer Pilotanlage soll rund 70 Mio. € kosten, das Bundesumweltministerium bezuschusst das Projekt mit rund 7 Mio. €.

Die Initiatoren haben schon neue Projektstandorte und potenzielle Betreiber ausgemacht. 2018 sollen zwei weitere Kombikraftwerke in Bau gehen. Was für Schechner naheliegend ist: „Wir wollen möglichst viel Strom vor Ort erzeugen, statt lange Leitungen durchs Land zu bauen, die politisch schwer durchsetzbar und teuer sind.“

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