Windkraft an Land: Ausbau 2021 auf niedrigem Niveau, weit entfernt von den Zielen der Bundesregierung
Der Zubau neuer Windkraftanlagen an Land in Deutschland betrug 2021 knapp 2 GW Nennleistung bzw. 484 Anlagen. Das ist „weiterhin sehr niedrig“, so die Windkraftbranche heute. Aber immerhin schon mal 35 % mehr als noch im Jahr davor. Für eine rasche Energiewende bleibt aber noch sehr viel zu tun.
Ganz so traurige Nachrichten wie die Offshore-Windkraftbranche in der letzten Woche hatte Hermann Albers, der Präsident des Bundesverbands Windenergie (BWE), heute Vormittag nicht. Ganz 0 W wurden nämlich in den deutschen Gewässern auf See 2021 neu errichtet. An Land waren es immerhin 484 nagelneue Windenergieanlagen mit 1925 MW installierter Nennleistung, so die Analyse der Deutschen Windguard im Auftrag des BWE und des VDMA-Fachverbands Power Systems. Der Bruttozubau 2021 liege somit 35 % über dem Zubau des Vorjahres (1431 MW).
Offshore wurde 2021 keine einzige Anlage in deutschen Küstengewässern neu errichtet
„Der Zubau steigt, allerdings nur regional und insgesamt mit zu geringem Tempo“, kommentierte Albers. Denn 74 % dieser knapp 2 GW seien in vier Bundesländern errichtet worden: Schleswig-Holstein, Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. „Es gilt sicherzustellen, dass sich künftig kein Land aus der Verantwortung stiehlt“, legte Albers den Finger in die Wunde. „Für die Gesamtzielerreichung werden wir in den nächsten Jahren alle Bundesländer benötigen“, mahnte er eine Verbesserung der Situation im verbrauchsstarken Südosten und Südwesten an. „Hier ist die Lage dramatisch schlecht.“ Die gute Nachricht dazu kommt gleichzeitig aus Bayern, wo sich heute Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder über die Notwendigkeit einer stärkeren Windkraft verständigt hat.
Windkraftausbau: Bundesregierung muss Rahmenbedingungen massiv verbessern
Laut Ann-Kathrin Wallasch von der Deutschen Windguard liegt der kumulierte Gesamtbestand der deutschen Windkraftanlagen an Land Stand 2021 bei mehr als 56 GW Nennleistung. Das Ziel der Bundesregierung 2030 liegt jenseits der 100 GW. Ab 2026 sollen jährlich 10 GW zugebaut werden – der bisherige Rekord lag 2017 bei gut 5,3 GW. Die 5 GW sollen aber schon 2023 erreicht werden. Da stellen sich Fragen, wie das gehen soll.
Die wesentlichen Hemmnisse dafür haben BWE und VDMA Power Systems schon ausgemacht: „Besonders dringend ist die Abschaffung der Hemmnisse bei Drehfunkfeuer und Radar.“ Hierdurch würden allein 7 GW an Neuinstallationen verhindert, so BWE-Präsident Albers. Drehfunkfeuer werden für die Navigation im Luftverkehr genutzt, hier gibt es Anstandsregeln der Deutschen Flugsicherung. Immer wieder landen Bauvorhaben deswegen vor dem Kadi; ebenso beim militärisch genutzten Radar, weil Beeinträchtigungen durch die Windkraftanlagen befürchtet werden.
Zudem stünden Artenschutz, höhere Ausbauvolumina, schnellere Genehmigungen und das Repowering ganz oben auf der Agenda. VDMA-Power-Systems-Geschäftsführer Dennis Rendschmidt beklagte vor allem die Mängel in der Transportlogistik: „Die Umsetzbarkeit der Ausbauziele hängt maßgeblich von Verbesserungen im Bereich des Schwerlastverkehrs ab“, sagte er.
Enercon rechnet mit verzögerter „Aufbruchstimmung“ im deutschen Windenergiemarkt
Windkraftanlagenbetreiber wie Enercon in Aurich sehen nach Jahren der Agonie einen Hoffnungsschimmer. „Politisch läuft gerade vieles in die richtige Richtung. Vor allem die sehr konstruktive Haltung der neuen Bundesregierung zum Ausbau der Windenergie gibt Anlass zur Hoffnung“,sagt Enercon-Sprecher Felix Rehberg gegenüber VDI nachrichten. Wo den Ostfriesen der Schuh drückt, ist für ihn schnell auf den Punkt gebracht: „Habeck hat insbesondere die Flächenausweisung und die Genehmigungsverfahren im Visier. Wenn es ihm gelingt, diese Engpässe rasch und konsequent zu beseitigen – und dabei auch Länder und Kommunen mitzunehmen! –, so wird davon sicherlich auch Enercon durch mehr Aufträge profitieren“, so Rehberg.
Allzu große Euphorie ist jedoch nicht angesagt. Schon zu oft sind politische Pläne im Gesetzgebungsverfahren deutlich verändert worden. „Insofern rechnen wir damit, dass uns die Aufbruchstimmung erst mit einiger Verzögerung erreichen wird“, heißt es bei Enercon.
Windkraftbranche muss Produktion für geplante Ausbaumenge erst wieder aufbauen
2017 war das Jahr mit dem höchsten Zubau an neuen Windkraftanlagen an Land in Deutschland bisher. Dahin zurückzukommen geht vom Niveau der letzten Jahre so schnell nicht. Die Branche hat in Deutschland Werke geschlossen, Produktionen verlagert, Arbeitsplätze abgebaut – und damit viele der begehrten Fachkräfte verloren. Laut Enercon-Mann Rehberg musste die Windbranche in Deutschland rund 40 000 Arbeitsplätze abbauen. Die fehlen heute. „Ein rascher Anstieg der Bautätigkeit wird zudem durch zögerliche Transportgenehmigungen, mangelnde Infrastruktur und marode Brücken erschwert.“
Manches Glied in der Wertschöpfungskette ist de facto in Deutschland nicht mehr vorhanden. „Enercon beispielsweise hatte infolge des Marktkollapses sämtliche Fertigungsaufträge für Rotorblätter aus Deutschland abgezogen. Diese Komponenten würden auch bei einem Wiederanspringen des deutschen Markts aus unserem internationalen Produktionsnetzwerk kommen – nicht aus Deutschland, da es hierzulande keine Rotorblattfertigung mehr gibt“, betont Rehberg.
Jubelstimmung will in der Windkraftbranche nicht aufkommen
Fazit: Die Windbranche kann zwar jubeln, das fällt aber eher verhalten aus. Mit „Hurra“ läuft Habecks Plänen niemand hinterher. Allein, weil die Windkraft international im Aufwind ist und auch international bedient werden will. Das betrifft Anlagenhersteller wie Zuliefererindustrie gleichermaßen. Der in Zukunft wachsende deutsche Markt in Deutschland konkurriert also mit den ebenfalls wachsenden Windkraftmärkten in anderen Ländern um begrenzte Liefer-, Aufbau- und Transportkapazitäten sowie um weitere Ressourcen für die Umsetzung seiner Ausbauvorhaben.
„Aber diese Faktoren müssen insbesondere bei der Beurteilung der Zeitschiene für die Umsetzung berücksichtigt werden“, betont Rehberg. Dabei rede man nicht über Knappheiten in einzelnen Bereichen, wie begrenzte Kapazitäten bei Großguss, sondern über Kapazitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. „Die gesamte Onshore-Branche hat sich in den vergangenen Jahren auf einen dramatisch geschrumpften deutschen Markt eingestellt“, sagt Rehberg.
Gießereibranche stellt sich auf steigende Nachfrage durch Windkraft ein, beklagt schlechte generelle Rahmenbedingungen
Auf der Internetseite der Silbitz-Gruppe prangt direkt vorne an: „Mitarbeiter gesucht“. Der Bereich des Großgusses in Deutschland war in den letzten Jahren ebenso gebeutelt wie die hiesige Windkraftbranche. Die zu Silbitz gehörende Eisengießerei Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern, die hier ein neues Zuhause gefunden hat, ist an der Pleite knapp vorbeigerauscht. Jetzt soll dort der Bereich Windkrafttechnik angesichts der Pläne der neuen Bundesregierung und des EU-Klimapakets Fit-for-55 weiter ausgebaut werden. Fachkräfte sind Mangelware. Fokussieren will sich die Eisengießerei auf den Rotornaben-Guss für 10-MW-Offshore-Windräder.
Aber das wird nicht reichen. Am Montag dieser Woche schickte die Krefelder Siempelkamp-Gruppe eine Meldung heraus. Inhalt: Toll, dass ihr ausbauen wollt, aber so schnell so viel ausbauen, das dürfte wohl allein an den verfügbaren Kapazitäten für den Großguss scheitern. „Wir haben uns die geplanten Ausbauzahlen der Bundesregierung vorgenommen und festgestellt, dass die bisherigen Spitzenzahlen für den Windkraftausbau in Deutschland ja noch einmal verdoppelt werden sollen. Da kamen wir dann schon etwas ins Grübeln“, erklärte Georg Geier, Vorstandsmitglied, im Gespräch mit VDI nachrichten. „Prinzipiell haben wir all das, was gefordert wird, bei Siempelkamp schon einmal produziert. Wir kennen auch die Pläne für die neue, sehr leistungsstarke Anlagengeneration, die ja 10 MW und mehr für eine einzelne Anlage vorsieht. Dann haben wir das durchgerechnet und kamen zum Ergebnis: Wir wüssten nicht so genau, wie das in Deutschland mit Blick auf die Kapazitäten im Gussbereich mit der heimischen Produktionskapazität gehen soll.“
Gießereikapazität in den letzten Jahren stark gesunken
Laut Siempelkamp sind in den letzten Jahren 120 000 t bis 140 000 t an Jahreskapazität verloren gegangen. Geiers Kollege, Geschäftsführer Dirk Howe, wird nicht müde, eine Eisengießerei nach der anderen aufzuzählen, die in den mauen Jahren der deutschen Windkraftindustrie den Bereich der Handformgießerei für Teile ab 10 t bis 15 t Stückgewicht aufgegeben oder gleich ganz zugemacht hätte. Torgelow ist ein Beispiel, wo gerade noch mal alles gut gegangen ist.
Eine Revitalisierung sei schwierig, macht die Siempelkamp-Geschäftsführung deutlich: „Im Juli 2020 ist die Gießerei Global Castings Stade der Baettr-Gruppe geschlossen worden“, erklärt Geier. „Die hatten nominell eine Kapazität von 40 000 t, direkt ab Kaikante – da ist heute einfach nichts mehr, was man wieder in Betrieb nehmen könnte.“ Dennoch werde der Windkraftausbau – sowohl der in Deutschland als auch der weltweit forcierte – gestemmt werden. „Ob das aber bis 2030 gelingt, wie geplant, da machen wir schon ein Fragezeichen dran“, so Geier.
Siempelkamp-Chef: China fällt als Zulieferer bei Großgussteilen für Windkraft vermehrt aus
„Die Großgusskapazitäten in China stehen aufgrund des ehrgeizigen Ausbauprogramms im eigenen Land inzwischen gar nicht mehr dem Markt im gleichen Maße zur Verfügung wie bisher – auch wenn die Windkraftanlagenhersteller das wollten. Aber die ersten Engpässe bei Gussteilen sind heute schon zu beobachten“, weiß Siempelkamp-Chef Howe
Die Teile, von denen Howe spricht, sind bei der Windkraft vor allem drei große Gussteile: Nabe, Achse und Maschinenträger. „Das sind die großen handgeformten Strukturbauteile. Dafür haben wir in Deutschland einen konsolidierten Markt“, so Howe. „Wir können zudem beobachten, dass wir als Gießereibranche mit Bedarfen aus ganz verschiedenen Sektoren konfrontiert werden im Rahmen sogenannter Repatriation-Programme, also die Fertigung wieder ins Land zu holen. In diese Ausgangslage hinein kommt jetzt die Bundesregierung mit ihrer Forderung, die Windkraft massiv auszubauen. Wir bei Siempelkamp sind für die nächsten zwei, drei Jahre aber heute schon gut ausgelastet – ohne die Windkraft!“
Energiewende: Trotz ehrgeiziger Windausbauziele stimmt für Gießerei Siempelkamp das Gesamtpaket nicht
Für die Siempelkamp-Geschäftsleitung stimmt das Gesamtpaket der Energiewende noch nicht. Und wie sich das bei der Gießereibranche abbildet, verdeutlicht Howe: „Wir als Gießerei gehören zu den energieintensiven Unternehmen. Wir haben jede Menge Anforderungen, angefangen bei Emissions- und Energiereduktion. Wir müssen sehr viele verschiedene Randbedingungen erfüllen.“
Noch ist in vielen Bereichen unklar, in welche Richtung die Reise gehen soll und wie die Bundesregierung denn ihre Vorstellung auch in Brüssel bei der EU durchsetzen kann. Ein Damoklesschwert, das über allen Plänen der Bundesregierung hängt. „Wie sehen die Rahmenbedingungen aus, unter denen wir in Deutschland als Industrieunternehmen in Zukunft fertigen? Das wissen wir nicht“, so Howe. „Genau dieses Paket müsste als Erstes stehen, damit wir wissen, ob wir zum Beispiel unsere Kapazitäten, mit denen wir derzeit gut aufgestellt sind, erweitern, also ins Risiko gehen. Die Voraussetzungen dafür sehen wir heute nicht. Da ist die Bundesregierung gefordert.“ Die Rahmenbedingungen für die energieintensive Branche, die ja auch einen Großteil der Energiewende beim Ausbau von Windkraft, Gaskraftwerken und Wasserstoffwirtschaft mit stemmen soll, gelte es daher mit der gleichen Dringlichkeit und parallel dazu voranzubringen, wie auch neue Ausbauziele festzulegen sind.
Energiewende: Paralleles Hochlaufen in verschiedenen Bereichen entfacht Wettbewerb um knappe industrielle Ressourcen
Für die deutsche wie die globale Energiewende ist der Ausbau der Windenergie – wo irgend möglich – ein wichtiges strategische Standbein. Allerdings eben auch nur eines von mehreren. Und der Weltklimavertrag von Paris, noch einmal bestätigt durch die letzten Weltklimakonferenz in Glasgow im Herbst 2021, führt dazu, dass die verschiedenen Stränge der Energiewende den involvierten Branchen nicht nur eine Chance auf zukünftiges Wachstum geben, sondern auch einen Wettbewerb um die heute vorhandenen Ressourcen der industriellen Produktion entfachen.
Das bildet sich auch bei Siempelkamp ab. „Zu den Geschäftsfeldern, auf denen wir in den letzten Jahren gewachsen sind, gehört die Elektromobilität, da zählen namhafte und innovative Automobilhersteller zu unseren Endkunden; oder neue wasserstofffähige Gasmotoren“, erklärt Howe. Hinzu komme die Rohstoffbranche, die einen höheren Bedarf hat, weil sie alle jene Rohstoffe verstärkt fördern muss, die wichtig für die Energiewende sind.
Sachverständige Veronika Grimm mahnt „Erwartungsmanagement“ beim Windkraftausbau an
Der Hochlauf der deutschen Energiewende mit den ehrgeizigen Ausbauzielen der Bundesregierung – wie das zu schaffen ist, das beschäftigte auch den „Handelsblatt Energie-Gipfel 2022“ zu Beginn der Woche. Vor allem mit Blick auf die deutsche Schwerindustrie sagte Veronika Grimm, Leiterin des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesregierung, dass dies auch eine Frage des Erwartungsmanagements sei: „In dem Maße, wie das Vertrauen darin besteht, dass es mit den Ausbauzielen vorangeht und dass eben die Steigerungen beim Ausbau auch erzielt werden können, kann es eben auch sein, dass sich auch die Kapazitäten darauf einstellen. Das passiert natürlich nicht von heute auf morgen.“
Hinzu komme der Fachkräftemangel. „Deshalb ist es nötig, dass jetzt auch sehr schnell sehr viel passiert, was die Erwartungen eben formt, dass der Ausbau in dem Umfang gelingen kann“, sagte Grimm. Die Ziele der Bundesregierung nannte sie „extrem ambitioniert“, und gestand zu: „Das ist alles andere als einfach, die Ausbaumengen in dem Umfang zu erhöhen, in dem das jetzt geschehen muss. Wenn alles zusammenspielt, dann hat man auch die Chance, das zu schaffen.“ Aber dann müsse eben auch jetzt alles zusammenspielen, „sowohl von der Planungs- und Genehmigungsseite als auch von den Anreizen, die gesetzt werden müssen, um diese Mengen zu erreichen“.