Woher unser Gas kommt
Der Erdgasmarkt hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Preise sind volatiler geworden, die Zahl der Anbieter ist gestiegen. Die Entwicklungen fielen außerhalb der Branche kaum auf. Gerade in Deutschland war Gas bestenfalls eine Übergangslösung in der Energiewende. Die akute Knappheit rückt den Energieträger in den Fokus.
Jahrzehntelang war die Gas-Welt in Deutschland in Ordnung. Das Gas, genauer gesagt Erdgas, kam zu jeweils einem Drittel aus den Niederlanden, Norwegen und Russland. Als die niederländischen Vorkommen in der Nordsee immer mehr schrumpften, füllte Russland die fehlenden Mengen auf und lieferte zuletzt bis zu 50 % dieses Energierohstoffs. Eine sichere Sache, ganz unspektakulär, dachte man hierzulande. Schließlich war Russlands staatlicher Förderer Gazprom immer ein zuverlässiger Lieferant gewesen, schon zu Zeiten der Sowjetunion und des kalten Krieges.
Putins ökonomische Rasierklinge hat zwei scharfe Seiten
Diese Vorstellung vom verlässlichen Lieferanten Russland wurde auch nicht getrübt, als Gazprom 2009 zeitweise die Lieferungen durch die durch die Ukraine führende Pipeline einstellte. Damals stritten sich Russland und die Ukraine um Transitgebühren und Gaspreise – es ging uns selber nichts an, es war Sommer und später floss das Gas ja auch wieder. Entsprechend der Grundüberzeugung vom verlässlichen Partner Gazprom richtete sich die Politik aus.
Amerikanische Warnungen vor zu hoher Abhängigkeit von Russland, vorgetragen von mehreren aufeinanderfolgenden Präsidenten unterschiedlicher Parteizugehörigkeit, wurden als Einmischung in die inneren Angelegenheiten kritisiert. Die erste Ostseepipeline Nord Stream 1 wurde trotz der Bedenken östlicher Nachbarn wie Polen gebaut. Drei Projekte zum Bau eines LNG-Terminals (LNG: Liquefied Natural Gas) in Deutschland kamen über Machbarkeitsstudien nicht hinaus und verliefen im Sande.
Gas für Deutschland händeringend gesucht
Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine änderte sich die komfortabel geglaubte Situation schlagartig. Plötzlich war der Gasbezug nicht mehr sicher. Inzwischen ist er seitens Russlands schon stark eingeschränkt worden. Seit ein paar Monaten sucht die Bundesregierung händeringend nach alternativen Bezugsquellen. Der nächste Winter ist nicht mehr weit und die hiesigen Gasspeicher sind kaum gefüllt.
Doch anders als beim Öl ist das beim Gas viel schwieriger, man kann nicht so einfach den einen Lieferanten durch den anderen ersetzen. Das liegt vor allem daran, dass Deutschland sein Gas ganz überwiegend aus Pipelines bezieht. Das hat den Nachteil, dass man die Rohre, wenn sie erst einmal verlegt sind, nicht einfach umleiten kann. Die Infrastruktur ist fix. Pipelines haben gegenüber dem Flüssigerdgas LNG aber den großen Vorteil, dass der Gasbezug viel kostengünstiger ist.
Gas gibt es weltweit genug, es muss nur rechtzeitig verfügbar sein
Europa ist heute durchzogen von einem dichten Pipeline-Netz, in das das importierte Gas eingespeist und weiterverteilt wird. Es kommt aus Algerien, der Nordsee – wo die norwegischen, britischen und niederländischen Felder liegen –, größtenteils aber aus Russland. Etwa über die Pipeline Blue Stream, die durch das Schwarze Meer und die Türkei verläuft, über Transitländer wie Weißrussland und die Ukraine.
Erdgas: Mehr Pipelines für Europa
Deutschland bezieht sein russisches Gas überwiegend aus drei Pipelines: Über die Jamal-Pipeline können 33 Mrd. m3 pro Jahr geliefert werden, Transgas bringt jährlich etwa 40 Mrd. m3. Die Ostseepipeline Nord Stream 1 hat eine Kapazität von 55 Mrd. m3 pro Jahr. Die inzwischen gestoppte zweite Röhre durch die Ostsee hätte noch einmal so viel Gas transportieren können. Diese Mengen werden nicht allein in Deutschland gebraucht, sondern zu einem erheblichen Teil in andere europäische Länder durchgeleitet.
Gasvorkommen gibt es auf der ganzen Welt. Den Spitzenplatz nehmen die USA ein, die im Jahr 2020 nach Berechnungen des vom Energiekonzern BP erstellten „Statistical Review of World Energy 2021“ 914,6 Mrd. m3 gefördert haben. An zweiter Stelle steht Russland mit 638,5 Mrd. m3. Es folgen mit einigem Abstand China, Katar und Australien. Größtes europäisches Förderland ist Norwegen mit 111,5 Mrd. m3. Aber das skandinavische Land ist nach Einschätzung von Experten aus fördertechnischen Gründen nicht in der Lage, zusätzliches Gas nach Europa zu liefern.
Deutschland erschließt LNG kurzfristig als neue Gasquelle
Bleibt also die Versorgung mit LNG. Dafür braucht man keine Pipelines. Es wird auf 168 °C heruntergekühlt und damit verflüssigt, mit Schiffen transportiert, am Zielort wieder in den Gaszustand gebracht und dann in Pipelines weitertransportiert. Weil diese Prozedur und der Transport teuer sind, erhöht sich dadurch auch der Preis für das Gas. Das ist der wesentliche Grund, warum man in Deutschland lange nichts von LNG wissen wollte.
Habeck entfesselt LNG-Boom an der Nordsee
Nun aber soll es auch hierzulande mit LNG ganz schnell gehen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) reist seit Wochen um die Welt, um sich in Förderländern wie Katar und in Transitländern wie Ägypten Mengen zu sichern. Auch die USA und Kanada kommen als Lieferanten infrage. Bei vielen Anbietern ist es aber so wie bei den Norwegern. Sie können gar nicht so viel liefern, weil die Produktion nicht so schnell erhöht werden kann und man schließlich mit anderen Kunden feste, meist mehrjährige Liefervereinbarungen hat.
Die neue Gasstrategie der Bundesregierung setzt langfristig auf Wasserstoff
Dessen ungeachtet treibt die Bundesregierung jetzt den Ausbau einer LNG-Infrastruktur voran und will mit dem LNG-Beschleunigungsgesetz schnelle Ergebnisse erreichen. Statt eines stationären LNG-Terminals an Land, das zu bauen einige Zeit dauern dürfte, soll das ankommende Flüssiggas kurzfristig auf gecharterten Spezialschiffen, sogenannten schwimmenden Speicher- und Regasifizierungseinheiten (FSRU), bearbeitet und ins Pipelinenetz eingespeist werden. Später ist dann auch an feste Terminals gedacht, die neben Gas auch Wasserstoff verarbeiten können.
Nach einer Studie des Global Energy Monitors gibt es in der EU derzeit 21 LNG-Terminals, 26 sind in Planung. Niemand kann heute sagen, ob sie später alle auch gebraucht werden, wenn der im Rahmen des European Green Deal geplante Ausbau der erneuerbaren Energien zügig vorangeht. Bis vor dem Ukrainekrieg haben jedenfalls viele LNG-Terminals unter einer sehr geringen Auslastung gelitten.
Die sichere Versorgung mit Gas in Deutschland hängt an vollen Speichern
Die Lieferkürzungen durch Gazprom und weitere Kürzungen in den nächsten Monaten könnten dazu führen, dass die Gasspeicher in Deutschland bis zum Beginn des Winters nicht hinreichend gefüllt sind – sie also als ausreichender Puffer in der kalten Jahreszeit ausfallen. Üblicherweise dienen die 46 Speicher nicht nur als Puffer, sondern sie werden aus wirtschaftlichen Gründen betrieben. Die Betreiber – Energieversorger und auf das Speichergeschäft fokussierte Unternehmen – kaufen Gas in den Sommermonaten ein, weil es dann weniger kostet.
Gas: Warum der Markt allein die Preise nicht senken wird
Die Infrastruktur an ober- und unterirdischen Speichern ist hierzulande sehr gut. Nach Informationen der Initiative Energien Speichern (Ines) liegt das gesamte Fassungsvermögen für die Ein- und Ausspeisung an deutschen Gasspeichern bei rund 23 Mrd. m3. Deutschland liegt damit auf Rang vier der weltweiten Speicherkapazitäten. Nur in den USA, der Ukraine und in Russland gibt es noch größere Kapazitäten.
Wirtschaftsminister Habeck rät den Deutschen, angesichts der drohenden Knappheit Gas zu sparen. Tatsächlich lag der Gasverbrauch in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach Angaben des Branchenverbands BDEW mit 460 Mrd. kWh schon um 14,3 % niedriger als im Vorjahreszeitraum. Dabei dürften die hohen Preise sicher mindestens ebenso Treiber gewesen sein wie die Sorge um die ungewisse Zukunft.