World Energy Outlook: Risiken für globale Versorgungssicherheit
Der neue World Energy Outlook 2024 der IEA zeigt Risiken für Energiesicherheit auf. Der Zenit für fossile Energieträger ist 2030 erreicht.
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Einen knappen Monat vor dem Beginn der Weltklimakonferenz COP29 (11. bis 24. November) in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku legt die Internationale Energieagentur (IEA) heute in Paris ihren World Energy Outlook (WEO) 2024 vor. „Regionale Konflikte und geopolitische Spannungen beleuchten einige erhebliche Schwachstellen im heutigen globalen Energiesystem; sie verdeutlichen die Notwendigkeit stärkerer politischer Maßnahmen und größerer Investitionen, um den Übergang zu saubereren und sichereren Technologien zu beschleunigen und auszuweiten“, so die IEA mit Bezug auf die neue Studie. Regierungen wie Energieverbraucher stünden vor kritischen Entscheidungen, denn die Zeit einer umfassenderen Versorgung rücke näher, die Stromnachfrage steige und beides erfordere, die Energiesicherheit neu zu gestalten.
Die jüngste Ausgabe des WEO-Berichts beleuchtet, wie die unsicheren Markttrends, die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels sowie die technologische Entwicklung den weltweiten Energiebedarf verändern. Besonders deutlich wird, dass geopolitische Fragmentierungen die Energiesicherheit und den Kampf gegen Treibhausgasemissionen gefährden. Rund 20 % der globalen Öl- und LNG-Lieferungen passieren derzeit die Meerenge von Hormus, eine der geopolitisch sensibelsten Regionen der Welt. Die Straße von Hormus als wichtiger Transportweg für die fossilen Energieträger und die Abhängigkeit von China bei Produkten wie Solar und Batterietechnik mache die weltweite Energiewirtschaft verwundbarer, betonte Tim Gould, Chief Energy Economist der IEA in Paris. Was auch immer mögliche Lieferausfälle verursache, so Gould, ob kriegerische Auseinandersetzung oder Extremwettereignissen, könne weitreichende Folgen haben als bisher.
World Energy Outlook 2024 mahnt mehr Investitionen in saubere Energien an
Der IEA zufolge wird sich die Energieversorgungslandschaft weltweit in den nächsten Jahren stark verändern. Einerseits wird es ein Überangebot an Öl und Flüssigerdgas (LNG) in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre geben – eine Reservekapazität von fast 50 % bis 2030. Andererseits werde der Bedarf an erneuerbaren Energien und sauberen Technologien weiter steigen.
2023 wurden weltweit über 560 GW an erneuerbaren Stromerzeugungskapazitäten hinzugefügt, was auf das rapide Wachstum in Ländern wie China zurückzuführen ist, das allein 60 % dieser neuen Kapazitäten beisteuerte. Laut IEA-Direktor Fatih Birol bieten diese Entwicklungen die Chance, Investitionen in den Ausbau sauberer Energien zu fördern und ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe abzubauen. Dies könnte eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen.
World Energy Outlook sieht Startschuss für Ära der Elektrifizierung
Der zweite große Wandel ist der hin zum Strom, der weltweit zur dominierenden Energieform werden wird. Der jährliche Zuwachs an Stromverbrauch werde bis 2035 um 6 % höher sein als bisher erwartet, so der WEO 2024. Das würde einem Anstieg von 2200 TWh entsprechen. Der Stromverbrauch wächst damit doppelt so schnell wie der Gesamtenergiebedarf, und mehr als zwei Drittel dieses Wachstums entfallen auf China. Bis 2030 sollen saubere Energien weltweit mehr als die Hälfte des Strombedarfs decken, vor allem durch Solarenergie und Windkraft.
„In früheren Weltenergieausblicken hat die IEA deutlich gemacht, dass die Zukunft des globalen Energiesystems elektrisch ist – und jetzt ist sie für jeden sichtbar“, so Birol. „In der Energiegeschichte haben wir das Zeitalter der Kohle und das Zeitalter des Öls erlebt – und jetzt bewegen wir uns mit großer Geschwindigkeit in das Zeitalter der Elektrizität, das das globale Energiesystem in Zukunft bestimmen und zunehmend auf sauberen Stromquellen basieren wird.“ Der fehlende Zugang zu Energie ist der IEA zufolge nach wie vor die größte Ungerechtigkeit im heutigen Energiesystem: 750 Mio. Menschen – vor allem in Afrika südlich der Sahara – hätten keinen Zugang zu Elektrizität und über 2 Mrd. Menschen keinen Zugang zu sauberen Brennstoffen zum Kochen.
Boom bei den Elektroautos wird Ölverbrauch global nachhaltig senken
Dabei werden fossile Brennstoffe bis 2030 ihren Zenit erreichen, danach dürfte ihr Verbrauch weltweit abnehmen. Regenerative Energiequellen wie Solar- und Windenergie werden – je nachdem welches der drei Szenarien des WEO 2024 zugrunde gelegt wird – die fossilen Brennstoffe mehr oder weniger zurückdrängen können. 2050 würden im Netto-Null-Szenario über 90 % der weltweiten Energieversorgung durch saubere Energien gedeckt. Im sogenannten Steps-Szenario (Stated Policy Scenario), das einfach die heutigen politischen Rahmenbedingungen fortschreibt, würden auch 2050 die fossilen Energieträger weiter die Mehrheit bilden.
Für die weltweite Schwächung des globalen Ölnachfragewachstums gebe es laut IEA-Direktor Birol viele wirtschaftliche und technologische Gründe. Einen hob er in Paris bei der Vorstellung des Berichts besonders hervor: die Elektromobilität: „Wir sehen, dass Elektroautos die Automärkte in allen Schlüsselmärkten erheblich und global durchdringen. In diesem Jahr erwarten wir, dass mehr als 20 % aller Autoverkäufe Elektroautos sein werden, in China sind es mehr als 50 %. Und wir erwarten, dass global im Jahr 2030etwa die Hälfte aller neuen Autoverkäufe elektrisch sein wird, was dem heutigen China entspricht. Und das würde eine erhebliche Menge an Ölverbrauch im Vergleich zu heute ersetzen.“
Klimaziele noch weit entfernt, trotz Fortschritten bei erneuerbaren Energien
Trotzdem ist die Welt laut WEO 2024 noch weit von den Zielen des Pariser Abkommens entfernt. Zwar, so die IEA, würden die globalen CO2-Emissionen bald ihren Höhepunkt erreichen, jedoch reicht der bisherige Rückgang nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Im derzeitigen Steps-Szenario würden die CO2-Emissionen bis 2050 jährlich nur um 1 % sinken, während für das Netto-Null-Szenario eine jährliche Reduktion von 15 % notwendig wäre. Das kann nur gelingen, macht die IEA deutlich, wenn China bei diesem Wandel mitspielt und hilft: Die Treibhausgasemissionen des Landes könnten bis 2050 auf die Hälfte des derzeitigen Niveaus sinken, angetrieben durch die starke Zunahme von erneuerbaren Energien und Energieeffizienzmaßnahmen.
Um die Energiewende zu beschleunigen und gleichzeitig die Risiken der Energiesicherheit zu minimieren, fordert der World Energy Outlook eine verstärkte Resilienz und Flexibilität in den globalen Energiesystemen. Schon 2023 standen saubere Energien zwar für 40 % des weltweiten Energiezuwachses, aber nur 15 % der Investitionen in saubere Energien fließen derzeit in Schwellen- und Entwicklungsländer außerhalb Chinas, obwohl diese Länder zwei Drittel der Weltbevölkerung stellen. „Wir leben heute in einer Welt, in der fast jede Energiegeschichte im Wesentlichen eine China-Geschichte ist“, konstatierte Birol.
In Öl und Gas wird immer noch kräftig investiert
Die IEA hebt hervor, dass bis 2030 rund 270 Mrd. m3 an neuen LNG-Kapazitäten weltweit verfügbar sein werden. „Wir erwarten eine riesige Menge an neuen LNG-Mengen, die 2026 und darüber hinaus auf den Markt kommen werden“, so Birol bei der Vorstellung des Berichts in Paris. Die Mengen kämen hauptsächlich aus Katar und den Vereinigten Staaten, und würden etwa die Hälfte der heutigen weltweiten LNG-Kapazität betragen. Auch auf der Ölseite gäbe es viele neue Projekte in vier Schlüsselländern, alle in den Amerikas. „Wir nennen das das amerikanische Quartett aus den Vereinigten Staaten, Kanada, Brasilien und Guyana, die eine erhebliche Menge an neuer Versorgung bringen werden“, so Birol.
Dies zeige, dass weiterhin in fossile Energieträger investiert wird, obwohl die Welt gleichzeitig die Dekarbonisierung vorantreiben muss. „In der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts würde die Aussicht auf eine reichlichere oder sogar überschüssige Versorgung mit Erdöl und Erdgas – je nachdem, wie sich die geopolitischen Spannungen entwickeln – uns in eine ganz andere Energiewelt versetzen als die, die wir in den letzten Jahren während der globalen Energiekrise erlebt haben“, sagte Birol. Dieses Überangebot würde nämlich einen Abwärtsdruck auf die Preise erzeugen und die von den Preisspitzen hart getroffenen Verbraucher etwas entlasten. Dies, so Birol, könne den Regierungen Spielraum verschaffen, um sich auf verstärkte Investitionen in die Umstellung auf saubere Energien und die Abschaffung ineffizienter Subventionen für fossile Brennstoffe zu konzentrieren.