Erst mit dem Sturmgewehr tauchen, dann schießen
Der Patentstreit zwischen zwei Waffenherstellern behindert die Anschaffung eines neuen Sturmgewehrs bei der Bundeswehr. Im Mittelpunkt steht die „Over the beach“-Fähigkeit. Was verbirgt sich dahinter?
Vergangene Woche hob das Verteidigungsministerium die Vergabeentscheidung auf, dass die Thüringer Firma C. G. Haenel die nächste Generation des Sturmgewehrs für die Bundeswehr produzieren sollte. Grund dafür sind Vorwürfe des unterlegenen Konkurrenten Heckler & Koch (HK) aus Oberndorf am Neckar, der Patentverletzungen geltend macht und eine entsprechende Klage beim Landgericht Düsseldorf eingereicht hat.
Medienberichten zufolge geht es um zwei technische Eigenschaften: zum einen um bestimmte Eigenschaften des 30-Schuss-Magazins, die patentrechtlich von der US-Firma Magpul geschützt sein sollen. Zum anderen um Funktionalitäten des Verschlusses, die dem im Auswahlverfahren der Bundeswehr unterlegenen Modell HK 416 von Heckler & Koch die sogenannte „Over the beach“-Fähigkeit verleihen. Diese Fähigkeit wird besonders bei Kommandounternehmen verlangt, bei denen Soldaten an einer feindlichen Küste landen. Für sie ist es wichtig, sofort schießen zu können, selbst wenn das Gewehr zuvor unter Wasser geraten war.
Wasser läuft blitzartig ab
Bei herkömmlichen Waffen kann das eingedrungene Wasser verhindern, dass der Verschlussträger nach Schussabgabe zurückfährt. Die nach dem Zünden der Treibladung frei werdenden Gase können sich nicht ausbreiten, im schlimmsten Fall kann es die Waffe in den Händen des Benutzers zerreißen. Im weniger schlimmen Fall kommt es zur Ladehemmung, weil die Mechanik für das automatische Nachladen durch die langsamere Bewegung des Verschlusses gestört wird. Bei dem HK-Patent ist das Verschlusssystem so ausgelegt, dass Flüssigkeit blitzschnell abgeleitet wird und die Abläufe bei der Schussabgabe nicht behindert.
Welchen Wert diese „Over the beach“-Fähigkeit für Streitkräfte hat, zeigt sich etwa darin, dass sogar die US-Streitkräfte ihr Prinzip „Buy American!“ bei ihren Elitestreitkräften zugunsten von Waffen aus dem Schwabenland aufgegeben haben. So soll die Antiterroreinheit Delta Force bei der Tötung von Osama bin Laden mit HK-Waffen ausgestattet gewesen sein. Die Kampfschwimmer der Bundeswehr, die beispielsweise in Mali und im Niger im Einsatz sind, nutzen ebenfalls das HK 416. Auch die französischen Streitkräfte setzen auf das Know-how der Oberndorfer. Sie bestellten vor vier Jahren rund 100 000 Sturmgewehre des Typs HK 416.
Weiter mit dem G36?
Wie es mit der Beschaffung des neuen Sturmgewehrs für die Bundeswehr weitergeht, ist völlig ungewiss. Bis dahin bleibt das G36 im Dienst. Der Waffe aus HK-Produktion gab die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Jahr 2015 wegen angeblicher Unzuverlässigkeit „keine Zukunft“ in der Bundeswehr. Mittlerweile sind die Vorwürfe widerlegt und die Beliebtheit des Gewehrs bei den Soldaten anerkannt worden. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Müller schlug sogar vor, auf die Anschaffung einer neuen Waffe zu verzichten. Denn mit dem G36 haben die Truppen „ein gutes und ausgereiftes Sturmgewehr, mit dem die Soldatinnen und Soldaten sehr zufrieden sind“. Auf die „Over the beach“-Fähigkeit müssen sie bei diesem Modell jedoch verzichten.
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