Bionik: Gleiten ohne Flügel nach dem Vorbild der Geckos
Mit hohem Tempo durch die Luft gleiten und dennoch unbeschadet landen – dieses Kunststück gelingt dem Saumschwanz-Hausgecko in seinem natürlichen Lebensraum, dem Regenwald von Singapur. Das dahinterliegende Prinzip könnte nun die Robotik im wahrsten Wortsinn beflügeln.
Der Saumschwanz-Hausgecko (Hemidactylus platyurus), der im Regenwald von Singapur zuhause ist, kann von Baum zu Baum springen und dabei in der Luft gleiten. Trotz seines hohen Tempos kann er dennoch punktgenau und unbeschadet landen, praktisch ohne abzubremsen. Ein Wissenschaftsteam des Max-Planck-Instituts für intelligente Systeme in Stuttgart hat zunächst untersucht, wie das Reptil dabei vorgeht – und hat den Vorgang zudem im Labor mit Robotern nachgeahmt.
Am Anfang stand die Beobachtung. Ardian Jusufi, Leiter der Cyber Valley-Forschungsgruppe „Locomotion in Biorobotic and Somatic Systems“ am Stuttgarter MPI, hat viele Jahre lang die Geckos im Freiland erforscht. Sein besonderer Fokus lag auf dem Gleit- und Landeverhalten der Tiere. Die Besonderheit: Die Reptilien werfen bei Gefahr ihren Schwanz ab, der schon bald wieder nachwächst.
Der Schwanz stabilisiert den Körper beim Aufprall
Mit Hochgeschwindigkeitskameras hielt Jusufi fest, wie Geckos von einer 7 m hohen Plattform abspringen und zu einem nahe gelegenen Baum gleiten. Dabei erreichen sie Geschwindigkeiten von bis zu 6 m/s, also umgerechnet 21 km/h. Ohne abzubremsen prallen sie auf den nächsten Baumstamm – ein Pkw wäre im Vergleich dazu beim Aufprall zu Schaden gekommen.
Die Geckos aber landen verletzungsfrei und fallen auch nicht vom Baum. Möglich macht das wohl ihr geringes Körpergewicht von nur 3 g. Bei zwei Tieren hatte das allerdings nicht geklappt, sie konnten sich nicht festhalten. Der Forscher vermutet, dass dass daran liegt, dass sie von Natur aus ihren Schwanz verloren hatten.
Spezielle Biegung des Rumpfes federt die Energie ab
Max-Planck-Forscher Ardian Jusufi zeigt in seinem Video, wie ein Gecko den Aufprall abfedert, indem er seinen Rumpf um bis zu 100 Grad nach hinten beugt. Dabei verlieren zwar die vorderen Beine den Halt, doch gleichzeitig wird Bewegungsenergie abgeleitet, indem der Schwanz gegen den Baumstamm gedrückt wird. Tragisch für schwanzlose Tiere: Sie können nicht genügend abfedern und stürzen ab.
An einem Modell konnten die Forscher die stabilisierende Wirkung des Schwanzes im Labor nachstellen. Sie schufen einen nach dem Vorbild der Geckos inspirierten Roboter, der einen weichen Rumpf besitzt und bei dem der Schwanz abgenommen und wieder aufgesetzt werden kann. Der Roboter ist so programmiert, dass er seinen Schwanz biegt, sobald ein vorderer „Fuß“ eine Oberfläche berührt. Ein Mikrocontroller an der „Schulter“ des technischen Laborgeckos verarbeitet die Informationen und aktiviert einen Motor im „Becken“, der an einer „Sehne“ zieht und so den Schwanz gegen die Wand drückt, um den Roboter zu stabilisieren.
Experimente im Labor
Zusammen mit seinem Postdoc Robert Siddall experimentierte Jusufi mit der weichen Robotereidechse und maß die Kraft, die beim Aufprall auf die Vorder- und Hinterfüße des Roboters wirkten. Je länger der Schwanz des Roboters war, desto geringer die Kraft, die die Hinterfüße von der Oberfläche wegzog. Schwanzlose Roboter aber hatten keine Chance, die Kräfte sind so groß, dass sie den Halt verlieren und abprallen.
„Mit dem Roboter konnten wir etwas messen, was wir mit Geckos im Feld nicht konnten“, erklärt Ardian Jusufi, der leitende Autor der Studie. „Die Reaktionskräfte beim Aufprall nach dem Landeanflug bestätigten, dass der Schwanz ein wesentlicher Grund ist, die Landung bei kurzen Gleitflügen zu ermöglichen. Unser Roboterlander dient nicht nur dazu, eine Entdeckung in einem anderen Forschungsfeld wie der Biologie zu machen, sondern kann zusätzlich dazu beitragen, die Fortbewegung von Robotern zu verbessern, indem er die Robustheit erhöht und die Steuerung vereinfacht.“
Neue Techniken für die Mobilität von Robotern
„Die Natur hat viele unerwartete und elegante Lösungen für technische Probleme – und das wird wunderbar durch die Art und Weise veranschaulicht, wie Geckos ihre Schwänze nutzen können, um einen Frontalzusammenprall in ein erfolgreiches Landemanöver zu verwandeln. Die Landung aus dem Flug ist schwierig, und wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse zu neuen Techniken für die Mobilität von Robotern führen werden“, sagt Robert Siddall.
„Um das Verständnis von Biomechanik zu erweitern, setzen Forscher vermehrt Softroboter ein, die lebensechte Bewegungen nachahmen. Diese können Biologen helfen, Fragestellungen zur Fortbewegung von Tieren zu konkretisieren“, so Jusufi. „In diesem Sinne tragen Roboter zum Verständnis des Bewegungsapparates bei, sodass zunehmend auf Tierversuche verzichtet werden kann.“