Der erste 3-D-Atlas des menschlichen Gehirns
Jede Gehirnregion hat ihre eigene Struktur. Mehr als 24 000 hauchdünne Hirnschnitte haben Forschende des Forschungszentrums Jülich nun digitalisiert und zum ersten 3-D-Atlas des menschichen Gehirns zusammengetragen.
Das menschliche Gehirn ist nicht einheitlich aufgebaut, sondern lässt klar abgegrenzte Regionen erkennen. Die Unterschiede zeigen sich unter dem Mikroskop je nach Verteilung und Dichte der etwa 86 Mrd. Nervenzellen. Rund 24 000 feinste Hirnschnitte haben die Forschenden um Katrin Amunts am Forschungszentrum dafür untersucht. Das Ergebnis ist die bisher umfangreichste digitale Karte zur zellulären Architektur des menschlichen Gehirns.
Der Atlas dient als „Interface“, um Informationen über das Gehirn räumlich präzise bestimmten Funktionen zuzuordnen. Er ist Teil der Forschungsinfrastruktur EBRAINS des europäischen Human Brain Project, für das die EU gerade 150 Mrd. € an Fördermitteln bis 2023 bewilligt hat.
Eine Art „Google Earth“ des menschlichen Gehirns
„Zum einen wird der digitale Hirnatlas dazu beitragen, Ergebnisse von Bildgebungsstudien, etwa von Patienten, genauer zu interpretieren“, so Katrin Amunts, Direktorin am Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin und Professorin an der Universität Düsseldorf. „Zum anderen soll er Grundlage für eine Art ‚Google Earth‘ des Gehirns werden – denn die Zellebene bildet die beste Basis, um Wissen über ganz unterschiedliche Facetten des Gehirns zusammenzuführen.“
In der digitalen Karte steckt die Forschungsarbeit von mehr als 25 Jahren. Insgesamt 23 Gehirne wurden in Form von Gewebeschnitten gescannt und Schicht für Schicht digitalisiert. Mit der Auswertung waren Dutzende Experten beschäftigt. Die Grenzen zwischen den einzelnen Hirnarealen wurden mithilfe von Bildanalyse und Algorithmen bestimmt. Das Ergebnis: rund 250 Areale konnten die Forschenden bereits festlegen. Das sind etwa 70 % der Hirnrinde und der tieferliegenden Kerngebiete.
Unterschiede von Gehirn zu Gehirn
Gemeinsamkeiten und Unterschiede bezüglich der Größe und Lage einzelner Areale untersuchte das Team um Katrin Amunts. So fand es in der für Sprache wichtigen Broca-Regionen besonders große Unterschiede. Einheitlicher hingegen scheinen die Regionen aufgebaut, die für das Sehen wichtig sind. Aus diesem Grund haben die Wissenschaftler „Wahrscheinlichkeitskarten“ entwickelt, in denen sie mit unterschiedlichen Farben markieren, wie häufig sich ein bestimmtes Areal an der betreffenden Stelle findet.
Nun wollen die Jülicher Forschenden mithilfe des Hirnatlas Struktur und Funktion der Regionen zusammenführen. Damit legen sie den Grundstein dafür, um auch Mechanismen von Erkrankungen des Gehirns besser zu verstehen. „EBRAINS ermöglicht es uns auch, die Karten für Simulationen zu nutzen oder Methoden der Künstlichen Intelligenz einzusetzen, um die Arbeitsteilung zwischen den Hirnarealen besser zu verstehen. Die riesigen Datenmengen, die dabei anfallen, werden mithilfe der EBRAINS-Computing Plattform verarbeitet“, sagt Projektleiterin Amunts.
Rechenpower kommt vom europäischen Supercomputingnetzwerk
Für das Vorhaben ist jede Menge Rechenpower nötig. Sie wird über das neue Europäische Supercomputingnetzwerk FENIX bereitgestellt, zu dem sich fünf führende Zentren für Höchstleistungsrechnen zusammengeschlossen haben – darunter auch das Jülich Supercomputing Centre (JSC). „Es ist beeindruckend, wie weit die Verbindung von Hirnforschung und digitalen Techniken vorangekommen ist“, sagt Amunts. „Viele dieser Entwicklungen laufen im Julich-Brain-Atlas und auf EBRAINS zusammen. Sie helfen uns – und immer mehr Forschern weltweit – die komplexe Organisation des Gehirns besser zu verstehen und gemeinsam die Zusammenhänge aufzudecken.“